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Über Ultras – diesseits und jenseits.

Das weite Stadionrund. Irgendwo prangt ein Fadenkreuz. Überdimensioniert. Eine Person im Fokus, deutlich zu erkennen. Es handelt sich um Dietmar Hopp, seines Zeichens Mitgründer von SAP und milliardenschwerer Mäzen des Fußballbundesligisten TSG Hoffenheim. Das übermannsgroße Plakat entrollten denn auch nicht Anhänger der Kraichgauer, sondern sogenannte Ultras gegnerischer Mannschaften;  geschehen in Herbst und Winter der laufenden Saison, menschenverachtend, gleichwohl dem Geist der Zeit entsprechend. Ultras, hartgesottene Fans, deren Leben aus wenig mehr denn Fußball zu bestehen scheint. Und die deshalb auch kaum Spaß verstehen. Sie sehen sich stattdessen als Hüter der reinen Lehre ihrer Religion. Und setzen sich dementsprechend gegen zunehmende Kommerzialisierung, Eventisierung und Vermassung zur Wehr. Weshalb ihnen auch die durch Hopps Zuwendungen üppig alimentierte TSG ein Dorn im Auge sein dürfte. An sich hehre Anliegen. Dank derer sich die Ultras vielfach zu den dominanten Fan-Gruppierungen innerhalb ihrer Vereine entwickelt haben, nicht unbedingt der absoluten Anzahl an Unterstützern wegen, jedoch nach Einfluß. Wäre da nicht ihr teils mehr als indifferentes Verhältnis zu Gewaltanwendung. Und ihre nicht unproblematische Nähe zur politischen Rechten. Was durchaus mit ihrem martialischen Auftreten korrespondiert oder ihrer straffen Organisation oder einem einheitlichen Auftreten. So weit, so bescheiden.

Szenenwechsel. Wenden wir unseren Blick auf die andere Seite des Atlantiks, genauer nach Brasilien. Dort scheint der rechtspopulistische Präsident und Ex-Militär Jair Bolsonaro mehr und mehr die autoritäre Karte zu ziehen in seiner Auseinandersetzung mit den anderen Verfassungsorganen, insbesondere auf Seiten der Justiz. Durch mittlerweile geläufige Hetzkampagnen off- und online bringt er seine gläubige Anhängerschaft gegen seine Kritiker in Stellung. Doch nicht etwa die linke Opposition oder die Gewerkschaften lehnen sich dagegen auf. Nein, gestandene Fußball-Fans, Ultras, insbesondere aus Sao Paulo und Rio de Janeiro stehen an der Spitze von und organisieren Proteste/n. Deren Widerständigkeit unter dem Banner der Demokratie hat dabei eine lange Tradition. Denn bereits unter der Militärdiktatur, welche Brasilien von den 1960er bis in die 1980er beherrschte, lebten jene Fangruppen durch innere Demokratie eine gesellschaftliche Alternative vor. Diese Werthaltung blieb dann offenbar auch über die Jahre der formalen Demokratisierung lebendig und präsent. Was zu einem nicht unwesentlichen Grade sicherlich der Tatsache geschuldet ist, daß Brasilien trotz aller wirtschaftlichen Erfolge (mit seinem BIP 2018 auf Rang 9/193 aller Volkswirtschaften laut IWF) ein Gemeinwesen geblieben ist, das hohes Konfliktpotential anhand sozioökonomischer Frontstellungen birgt. Denn die Kluft, die sich zwischen einer exklusiven und immens wohlhabenden Oberschicht auf der einen und einer viel zu breiten unterprivilegierten, bitteramen Unterschicht – ganz zu schweigen von den Ureinwohnern – auf der anderen Seite auftut, ist, wie fast überall in Lateinamerika, allzu groß. Darüber hinaus ist das politische System als notorisch korrupt verrufen (Platz 106/180 laut cpi-Index 2019 von Transparency International), Und schließlich herrscht dort ein latentes Klima der Gewalt vor (Platz 126/163 laut dem Global Peace Index 2020). Bedienungsfaktoren also, die erst einen selbst ernannten „Aufräumer“ wie eben einen J. B. an die Oberfläche spülen konnten. Zum Preis freilich von weiter zunehmender Spaltung, eine Art Paradoxon des Populismus. Gerade unter solch prägenden fragilen Zuständen ist es umso wichtiger, daß sich zumindest Teile der Zivilgesellschaft – denn es gibt in Brasilien natürlich auch Fußball-Anhänger, welche Bolsonaro unterstützen und also dem rechten politischen Spektrum zuzurechnen sind – für zivile Umgangsformen im Alltag und in der Aushandlung politischer Fragen aktiv einsetzen.

Ultras bundesligadeutscher Couleur scheinen dagegen vielmehr allzu satt und saturiert zu sein – wenn man sich bspw. schon eine Dauerkarte und Fahrten zu Auswärtsspielen leisten kann – und darüber hinaus schlichtweg unambitioniert, als daß von dieser Seite ein verantwortungsvolles Eintreten für gesellschaftliche Belange zu erwarten wäre, Erfahrungen mit einer Diktatur existieren fast nur noch aus zweiter Hand, als daß sie in diesem Milieu aktuell handlungsleitend wirken könnten. Und in dem Teil Deutschlands, wo die Konfrontation mit einem diktatorischen Regime noch nicht gar zu lange vorüber ist und also Spuren im kollektiven Gedächtnis bzw. im Alltagsleben hinterlassen haben könnte, fallen gerade „Fans“ unterklassiger Vereine aus Sachsen, Anhalt oder Thüringen immer wieder mit Gewaltbereitschaft  und rechtsradikalen Parolen auf. (Daß es in Ostdeutschland außer Union Berlin – und dem Sonderfall RB Leipzig – keine weiteren Erstbundesligisten gibt und die Anzahl der ostdeutschen Vereine in der Zweiten Liga mehr als überschaubar ist – ohne Aussicht auf Besserung –, ist freilich eine andere Geschichte, Stichwort: „verblühte Landschaften“!) Vielleicht lassen ja die Erfahrungen mit coronalen Einschränkungen oder die aktuelle Protestwelle gegen unverhältnismäßige Polzeigewalt und Rassismus den ein oder anderen „Fußball-Proleten“ hierzulande auch einmal nachdenklich innehalten. Allein darauf zu vertrauen, fällt schwer …

 

Quellen bzw zur weiteren Lektüre:

 

Schweigt.

Vergangene Nacht noch in Christa Wolfs Ein Tag im Jahr gelesen. Dort auf das Gedicht Schweigt des chilenischen Literatur-Nobelpreisträgers Pablo Neruda gestoßen. Teils durchaus mit aktuellem Bezug. Aber lest selbst:

Schweigt

 

Jetzt zählen wir zwölf

und wir rühren uns alle nicht.

 

Einmal laßt uns auf Erden

in keiner Sprache sprechen,

für eine Sekunde stehenbleiben,

nicht soviel die Arme bewegen.

 

Da wir nicht vermögen, einträchtig zu sein,

wenn wir unser Leben so viel rühren,

vielleicht vermag Nichtstun einmal,

vielleicht ein großes Schweigen

diese Trostlosigkeit zu unterbrechen,

dieses uns nie Verstehen,

dieses mit dem Tod uns Bedrohen,

vielleicht soll die Erde uns lehren,

wenn alles tot erscheint

und doch alles lebendig war.

 

Jetzt werde ich bis zwölf zählen

Und du schweigst und ich geh fort.

Pablo Neruda: Schweigt, zit. n. Christa Wolf: Ein Tag im Jahr. 1960-2000. Frankfurt a. M. 20133, S. 392, („“Donnerstag, 27. September 1984, Berlin, Friedrichstraße“)

Steinerne Zeugen

Ja, die letzten Zeitzeugen auf beiden Seiten – Angreifer oder Verteidiger, Täter oder Opfer – sterben alsbald hinweg. Und damit vermag bald niemand mehr Zeugnis zu geben von Diktatur, Krieg, Zusammenbruch und Holocaust. Aktive Erinnerung an Geschichte, aus erster Hand quasi, verschwindet von selbst. Eine Herausforderung an die Zivil-Gesellschaft wie die Politik, wie man die Erinnerungskultur künftig verantwortlich zu gestalten hat, jenseits wohlfeiler Betroffenheitsrituale in luftigen Sonntagsreden, auf daß auch der Alltag davon durchdrungen sein möge.

Auf einem ganz anderen Gebiet pflegt man hingegen einen bisweilen wenig zimperlichen Umgang mit Zeugenschaft. Die Rede ist vom Städtebau resp. Denkmalschutz, oder genauer: die Frage nach der Rekonstruktion zerstörter, historischer Bausubstanz – steinerne Zeugen gleichsam der Wirrnisse der Zeiten. Ganze Städte sind nach ihrer zunehmenden Zerstörung im Bombenkrieg ab etwa 1942 bekanntlich bis zur ihrer Unkenntlichkeit wiederaufgebaut worden, man denke dabei bspw. an Heilbronn oder Pforzheim. (In meiner eigenen Geburtsstadt Freiburg verschwanden die letzten Trümmergrundstücke, bis dato als Parkplätze genutzt, im Übrigen erst bis Mitte/Ende der 1980er Jahre.) Manche Ruinen freilich, singuläre Gebäude von hohem symbolischen Wert, häufig auch Gotteshäuser, Mahnmale des Schicksals ihrer Stadt, blieben dagegen lange unbehelligt. So zum Beispiel die Frauenkirche in Dresden. Deren historisierende Rekonstruktion (1994-2005) erfüllte den Schreiber dieser Zeilen bisweilen mit Bauchgrimmen.

Die Frauenkirche zu Dresden

Natürlich wäre es eine konsvervatorische Herausforderung geworden, eine Ruine dauerhaft (begehbar?) zu erhalten und hierbei insbesondere die Sicherheit für Besucher und Passanten zu gewährleisten. Gleichwohl begab man sich damit der einmaligen Gelegenheit, ein Fragezeichen, einen mahnenden Zeigefinger, ein originales Denk-mal! für die Nachwelt zu bewahren, einen Gedenk-Ort zu schaffen um einen Torso, dem im Februar 1945 eben jenes Schicksal widerfuhr, wogegen sich die Mahnung richtet. Stattdessen tilgte man die Zerstörung, damit aber auch die mahnende Erinnerung daran, ein für alle Mal aus dem Stadtbild, so als ob nie etwas geschehen wäre. Und das bloß um der Vereinheitlichung und Harmonisierung, der Überzuckerung des Stadtbildes willen. Die feierliche Weihe fand dann im Oktober 2005 statt.

Das ist nun mittlerweile auch wieder dreizehn Jahre her. Doch auch andernorts in unserer Berliner Republik bricht sich derzeit im Umgang mit historischer Bausubstanz eine bedenkliche, weil homogenisierend-verklärende Geschichtsvergessenheit Bahn. Dem Dresdner Wiederaufbau kann man ja immerhin zugutehalten, daß hier auf noch existente originale Reste aufgebaut worden ist. Vor allem aber ist das historische Ensemble wenig vorbelastet durch die reichsdeutsche Vergangenheit. Davon kann andernorts nun allerdings keineswegs die Rede sein. Ganz im Gegenteil, hie und da scheint eher der preußisch-deutsche Militärgeist fröhlich Urständ zu feiern. Der Bund und das notorisch klamme und in Planungsfragen übel beleumundete Land Berlin (Stichwort „BER“) leisten sich für über eine halbe Milliarde Euro den Wiederaufbau des barock-klassizistischen (Stadt-)Schlosses der Hohenzollern. Just an der Stelle also, wo von 1976-2006 das Vorzeige-Objekt der Ost-Berliner Genossen, der Palast der Republik, auf dem weitläufigen Gelände des Originalbaues stand.

Der künftige Schloßplatz zu Berlin – © Sandy Lunitz

Und nur wenige Kilometer in südwestlicher Richtung entfernt, wird gerade das Zentrum Potsdams dem Erdboden gleichgemacht. Funktionsbauten aus den 1960/70er Jahren  im Stile des zeitgenössischen Brutalismus (u. a. ein Rechenzentrum oder Gebäude der hiesigen FH) müssen n. a. dem Wiederaufbau der Garnisonskirche weichen, zunächst offenbar nur des Glockenturms; dem aber das Kirchenschiff wohl unweigerlich folgen wird. So als ob im Westen niemals ähnlich unterkühlte und deshalb gerade realistische, zeit-adäquate und also eigentlich erhaltenswerte Gebäudekomplexe errichtet worden wären. Hat denn das architektonische Erbe der DDR absolut keine Daseinsberechtigung, sind denn die materiellen Hinterlassenschaften des anderen deutschen Staates jenseits von SED-Diktatur und Stasi-Verfolgung automatisch weniger wert? Ein nachgeholter Abrechnungsfuror gleichsam gegen die vermeintlich steingewordene Ideologie des im Wettstreit der Gesellschaftssysteme unterlegenen Gegners von einst. Bei oberflächlicher Betrachtung wird hier also durch Steuergelder ein weiterer barockisierender Prachtbau errichtet, in dessen Glanz und Gloria sich die neureichen Promi-Neubürger der ehemaligen Residenzstadt zu sonnen und lustwandeln gedenken. Doch angesichts der Vergangenheit dieses Kirchenbaus als DAS Symbol der unseligen Symbiose aus etatistischem deutschen Protestantismus und preußisch-deutschem, nationalen Machtstaat, kulminierend im Tag von Potsdam (21.03.1933), scheint die Frage mehr als berechtigt, welcher Geist hier tatsächlich am Wirken ist.

Modell des Turmes der (neuen) Garnisonskirche zu Potsdam

Man kann solcherlei Bau-Projekte vorwärts in die Vergangenheit noch so wohlmeinend erinnerungspolitisch und geschichtsdidaktisch begleiten; allein daß sie heutzutage gedacht, geplant, schließlich dann (in Teilen zumindest) mehrheitsfähig und also errichtet werden können, sagt doch einiges über die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft, unserer politischen Kultur aus. Einerseits weitverbreitete Schlußstrich-Mentalität, andererseits Sehnsucht nach ornamentaler (oder gar imperialer?) Größe und oberflächlichem Glanz, nach kitschiger Kulisse und barocker Betäubung. Revisionismus und Populismus scheinen mithin im Zentrum unserer Städte, in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen zu sein. Und die AfD ist nur e i n Symptom hiervon.

Wie ich vorigen Monat mit einem alten Freund durch Hamburg streifte, fragten wir uns immer wieder, was denn das für ein Turm sei, der alles andere überragend aus der Silhouette der Stadt hervorsticht, dabei aber seltsam düster und trostlos wirkt. Es handelt sich um den Turm der ehemaligen, neogotischen Hauptkirche der alten Hansestadt, St. Nikolai, – mit 147 m einstmals das höchste Gebäude der Welt. Dieser trotzte dem Feuersturm der Flächenbombardements auf Hamburg im Juli/August 1943.

Der Turm-Torso der ehemaligen Hauptkirche St.-Nikolai inmitten einer scheinbar gerade erst geräumten Trümmerlandschaft – © LuxOr, 07.18

Politik und Kirche fällten dann die für die quietistischen, fortschrittsgläubigen und wirtschaftswunderbeseelten 1950/60er Jahre bemerkenswert weitsichtige Entscheidung, den Turm-Torso als Mahnmal der Nachwelt zu erhalten. Auch wenn er dann im Anschluß erst einmal – jahrzehntelang vernachlässigt – zusehends verfiel. Bis  Ende der 1980er Jahre auf private Initiative hin durch Spenden wieder Bewegung in die Angelegenheit kam. Der Turm konnte gesichert (und bis Anfang diesen Jahres erneut aufwändig saniert) werden, und auf halber Höhe wurde eine Aussichtsplattform samt Außenlift installiert. Verschiedene Exponate – ein Mosaik und Skulpturen – laden künstlerisch zur Reflexion und Kontemplation ein. In der Krypta schließlich wurde ein Informationszentrum samt Dauerausstellung zum Bombenkrieg auf Hamburg eingerichtet. Historische Bauten – Ruinen zumal, auch vermeintlich häßlich-ungestaltes – sprechen zu uns in ihrer ganz eigenen Sprache. Man muß nur den Willen aufbringen, zu hören …