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Ein neues zukunftsträchtiges Geschäftsfeld

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Anhänger des SV Darmstadt und von Eintracht Frankfurt haben sich zu einer Massenschlägerei verabredet und dadurch einen großen Polizeieinsatz ausgelöst. Die Auseinandersetzung dehnte sich bis auf die Autobahn aus.

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Heutzutage wird doch alles vermarktet und zu Geld gemacht, selbst in Bereichen, welche man eigentlich nicht für handelbar hielt.

Auch die DFL ist bekanntlich stets bestrebt, die Einnahmen ihrer sechsunddreißig Teilnehmer zu steigern, um den Vorsprung ihrer spansischen und englischen Pendants in Sachen TV-Vermarktung nicht noch größer werden zu lassen. Warum also nicht aus der Not eine Tugend machen und die grassierende Gewaltbereitschaft innnerhalb der Gesellschaft im Allgemeinen wie auch im Milieu der sogenannten Fußballfans im Besonderen zu kanalisieren und in pekuniäre Bahnen umzuleiten, indem man eine parallele Bundesliga der offenen Fan-Feldschlacht aus der Taufe hebt? Die Infrastruktur ist ja glücklicherweise bereits vorhanden, im Auto-Land Deutschland führen Straßen noch in das letzte Nirgendwo und verödete Felder und Wiesen finden sich auch allüberall, den fortgesetzten Dürresommern seit 2018 sei’s gedankt. Die mediale Begleitung ist somit gesichert. Und der gebeutelten Bauernschaft ist nebenbei auch noch unter die Arme gegriffen. Den Pandemie-Auflagen kann mittels Ganzkörpervermummung auch problemlos entsprochen werden. Das Regelwerk wird derweil auf ein Minimum beschränkt, da man andernfalls zu viele Interessenten intellektuell überfordern und abschrecken dürfte. Ziel ist, den Gegner auf den Boden zu zwingen, bis dieser sich nicht mehr rührt. Gewonnen hat, wer nach einer vorgegebenen Zeit mehr seiner Kämpfer noch stehen hat; Die den Sieg freilich dann erst erringen, wenn sie unmittelbar im Anschluß noch alle drei Strophen des Deutschlandliedes wie ein Mann harmonisch und korrekt intonieren. Der Anteil der Standhaften vs. der Ausfälle entspricht jedenfalls dem sonst üblichen Torverhältnis. Ein Unentschieden gibt es nicht, nur Sieg oder Niederlage; sofalls kommt es zu einem Entscheidungskampf Eins gegen Eins. Alternativ wäre auch ein Spiel-Modus denkbar, nach dem eine Begegnung dann entschieden ist, wenn von der einen Mannschaft kein Kämpfer mehr steht. Für die Werbewirtschaft sicher sehr reizvoll. Auf- und Abstieg schließlich sorgen auch am Tabellenende für Spannung. Alles in allem also ein Unterfangen, dessen ökonomische Bedeutung für strukturschwache ländliche Gebiete, aber auch für die psychosoziale Hygiene breiter Schichten nicht zu unterschätzen und also durchaus förderungswürdig erscheint.

Über Ultras – diesseits und jenseits.

Das weite Stadionrund. Irgendwo prangt ein Fadenkreuz. Überdimensioniert. Eine Person im Fokus, deutlich zu erkennen. Es handelt sich um Dietmar Hopp, seines Zeichens Mitgründer von SAP und milliardenschwerer Mäzen des Fußballbundesligisten TSG Hoffenheim. Das übermannsgroße Plakat entrollten denn auch nicht Anhänger der Kraichgauer, sondern sogenannte Ultras gegnerischer Mannschaften;  geschehen in Herbst und Winter der laufenden Saison, menschenverachtend, gleichwohl dem Geist der Zeit entsprechend. Ultras, hartgesottene Fans, deren Leben aus wenig mehr denn Fußball zu bestehen scheint. Und die deshalb auch kaum Spaß verstehen. Sie sehen sich stattdessen als Hüter der reinen Lehre ihrer Religion. Und setzen sich dementsprechend gegen zunehmende Kommerzialisierung, Eventisierung und Vermassung zur Wehr. Weshalb ihnen auch die durch Hopps Zuwendungen üppig alimentierte TSG ein Dorn im Auge sein dürfte. An sich hehre Anliegen. Dank derer sich die Ultras vielfach zu den dominanten Fan-Gruppierungen innerhalb ihrer Vereine entwickelt haben, nicht unbedingt der absoluten Anzahl an Unterstützern wegen, jedoch nach Einfluß. Wäre da nicht ihr teils mehr als indifferentes Verhältnis zu Gewaltanwendung. Und ihre nicht unproblematische Nähe zur politischen Rechten. Was durchaus mit ihrem martialischen Auftreten korrespondiert oder ihrer straffen Organisation oder einem einheitlichen Auftreten. So weit, so bescheiden.

Szenenwechsel. Wenden wir unseren Blick auf die andere Seite des Atlantiks, genauer nach Brasilien. Dort scheint der rechtspopulistische Präsident und Ex-Militär Jair Bolsonaro mehr und mehr die autoritäre Karte zu ziehen in seiner Auseinandersetzung mit den anderen Verfassungsorganen, insbesondere auf Seiten der Justiz. Durch mittlerweile geläufige Hetzkampagnen off- und online bringt er seine gläubige Anhängerschaft gegen seine Kritiker in Stellung. Doch nicht etwa die linke Opposition oder die Gewerkschaften lehnen sich dagegen auf. Nein, gestandene Fußball-Fans, Ultras, insbesondere aus Sao Paulo und Rio de Janeiro stehen an der Spitze von und organisieren Proteste/n. Deren Widerständigkeit unter dem Banner der Demokratie hat dabei eine lange Tradition. Denn bereits unter der Militärdiktatur, welche Brasilien von den 1960er bis in die 1980er beherrschte, lebten jene Fangruppen durch innere Demokratie eine gesellschaftliche Alternative vor. Diese Werthaltung blieb dann offenbar auch über die Jahre der formalen Demokratisierung lebendig und präsent. Was zu einem nicht unwesentlichen Grade sicherlich der Tatsache geschuldet ist, daß Brasilien trotz aller wirtschaftlichen Erfolge (mit seinem BIP 2018 auf Rang 9/193 aller Volkswirtschaften laut IWF) ein Gemeinwesen geblieben ist, das hohes Konfliktpotential anhand sozioökonomischer Frontstellungen birgt. Denn die Kluft, die sich zwischen einer exklusiven und immens wohlhabenden Oberschicht auf der einen und einer viel zu breiten unterprivilegierten, bitteramen Unterschicht – ganz zu schweigen von den Ureinwohnern – auf der anderen Seite auftut, ist, wie fast überall in Lateinamerika, allzu groß. Darüber hinaus ist das politische System als notorisch korrupt verrufen (Platz 106/180 laut cpi-Index 2019 von Transparency International), Und schließlich herrscht dort ein latentes Klima der Gewalt vor (Platz 126/163 laut dem Global Peace Index 2020). Bedienungsfaktoren also, die erst einen selbst ernannten „Aufräumer“ wie eben einen J. B. an die Oberfläche spülen konnten. Zum Preis freilich von weiter zunehmender Spaltung, eine Art Paradoxon des Populismus. Gerade unter solch prägenden fragilen Zuständen ist es umso wichtiger, daß sich zumindest Teile der Zivilgesellschaft – denn es gibt in Brasilien natürlich auch Fußball-Anhänger, welche Bolsonaro unterstützen und also dem rechten politischen Spektrum zuzurechnen sind – für zivile Umgangsformen im Alltag und in der Aushandlung politischer Fragen aktiv einsetzen.

Ultras bundesligadeutscher Couleur scheinen dagegen vielmehr allzu satt und saturiert zu sein – wenn man sich bspw. schon eine Dauerkarte und Fahrten zu Auswärtsspielen leisten kann – und darüber hinaus schlichtweg unambitioniert, als daß von dieser Seite ein verantwortungsvolles Eintreten für gesellschaftliche Belange zu erwarten wäre, Erfahrungen mit einer Diktatur existieren fast nur noch aus zweiter Hand, als daß sie in diesem Milieu aktuell handlungsleitend wirken könnten. Und in dem Teil Deutschlands, wo die Konfrontation mit einem diktatorischen Regime noch nicht gar zu lange vorüber ist und also Spuren im kollektiven Gedächtnis bzw. im Alltagsleben hinterlassen haben könnte, fallen gerade „Fans“ unterklassiger Vereine aus Sachsen, Anhalt oder Thüringen immer wieder mit Gewaltbereitschaft  und rechtsradikalen Parolen auf. (Daß es in Ostdeutschland außer Union Berlin – und dem Sonderfall RB Leipzig – keine weiteren Erstbundesligisten gibt und die Anzahl der ostdeutschen Vereine in der Zweiten Liga mehr als überschaubar ist – ohne Aussicht auf Besserung –, ist freilich eine andere Geschichte, Stichwort: „verblühte Landschaften“!) Vielleicht lassen ja die Erfahrungen mit coronalen Einschränkungen oder die aktuelle Protestwelle gegen unverhältnismäßige Polzeigewalt und Rassismus den ein oder anderen „Fußball-Proleten“ hierzulande auch einmal nachdenklich innehalten. Allein darauf zu vertrauen, fällt schwer …

 

Quellen bzw zur weiteren Lektüre:

 

Nachsitzen in Sachen Wehrhaftigkeit!

Eine Chefsache führt nur dann zum Erfolg, wenn es auch die Sache der unteren Chargen ist.

Das Konzept der wehrhaften Demokratie bleibt eine hohle Phrase, solange die, welche sie ernst meinen und aufstehen um sich (stellvertretend für alle anderen) zu wehren, allein gelassen werden, und die, welche sie von Staats wegen eigentlich zu exekutieren hätten, sich aus welchen Gründen auch immer lieber aus der Verantwortung ziehen.

Der schwache Staat – ARD, 06.04.2020, 23:15h