ruht der See – eine Winterspätlese
Am Waldsee
Im Ried
Um den Litzelsee
Photographie © LuxOr
Tags darauf, ein Sonntag, war ich in meinem eigenen Revier wieder solo unterwegs. Zumal ein Gutteil meines Weges kaum mit einem Kinderwagen zu absolvieren gewesen wäre. Die Sonne war mir noch immer hold. Und so stromerte ich zwei Stunden vielleicht die Hotspots einer meiner gewohnten Touren ab. So hatte ich also ein rühriges Wochenende draußen erleben dürfen. Zum Abend hin fuhr ich schließlich noch ins nächste heimelige Kleinstädtle den Fjudscha heimzusuchen, wo ich dann auch übernachtete, Corona machts möglich dank Ausgangssperre.
Wie ich mich dann zwei Tage später wieder gen Westen aufmachte, fiel es mir allerdings siedend heiß ein, daß ich ein eminent wichtiges Vorhaben ja sträflichst unterlassen hatte, nämlich den Wasserstand zu kontrollieren … 🙂 Den zu begutachten steht daher nun ganz oben auf der To-do-List für meinen nächsten Kurztrip nach Hause.
Photographie © LuxOr
Im Märzen ’19 weilte ich anläßlich einer Usschdellig mal wieder in Zürich. Welche Kunstrichtung bzw. welches Thema mich damals tatsächlich zu dem Besuch animierte, weiß ich heute leider gar nicht mehr zu sagen. Doch aus zweierlei Gründen blieb mir dieser Cooltour-Trip anschließend in Erinnerung.
Zunächst verfuhr ich mich nämlich böse, da ich am Autobahn-Ende statt rechts runter abzubiegen geradeaus fuhr. Ich bildete mir nämlich ein, ich würde den rechten Weg rein aus der Erinnerung finden und hatte demnach überhaupt keine smarte Wegunterstützung zur Hand. Das mag für sich genommen zunächst gar nicht tragisch sein. Sind doch Männer per se die geborenen Pfadfinder ;-). Ich fuhr indes, aus lauter Freude darüber, daß ich mich einigermaßen wieder orientiert hatte, offenbar bei Rot über eine Ampel. Was ich freilich überhaupt nicht bemerkte, zumal auch kein Blitzer auslöste. Für mich überquerte ich den Strich noch bei Gelb. Der Wochen später eingetrudelte Strafzettel wies jedoch etwas anderes aus. Zähneknirschend bezahlte ich das nicht zu knappe Sümmchen, da ich mir ziemlich sicher war, daß ein Widerspruch hier nicht fruchten würde. Außer Spesen nix jewesen …
Davon wußte ich damals natürlich noch nichts. Wie ich also das Museumsgebäude wieder verließ, strahlte mich die Frühlingssonne so verführerisch an, daß ich spontan beschloß, noch ein wenig zu bleiben und in den nahen Gässchen der Altstadt bzw. unten an Fluß und See herumzuschlendern. Zumal ich ja auch meine extra mitgebrachte Butterbrezel ihrer Bestimmung zuführen wollte, denn Cooltour-Genuß kann durchaus hungrig machen. Gedacht, getan: munter kauend und mit einem wachen Photo-Blick tigerte ich also los. Nach einem Abstecher ins Grossmünster – wo ich natürlich meinen Heißhunger nochmals bemeisterte – strebte ich die Uferstraße an der Limmat entlang und wechselte auch das Ufer hinüber zum Fraumünster, welches freilich so stark frequentiert schien, daß ich kurzerhand darauf verzichtete, die Chagall-Bilder dorten aufzusuchen. Ihr geheimnisvolles Blau hatte ich glücklicherweise schon bei anderer Gelegenheit bewundern können. Schließlich trieb es mich direkt ans Wasser (ob nun des Sees oder der Limmat, weiß ich leider nie so genau). Auf diesem spontanen Streifzug entstanden einige Photos. Irgendwie besonders angetan haben es mir freilich die folgenden „Untersichten“, warten doch auch unter Brücken manch überraschend ansprechende Ausblicke auf Entdeckung. Der junge Mann im weißen Anorak fütterte übrigens die diversen Wasservögel. Er, das mittelalterliche Paar, das braven Statisten gleich so stille stand, und alle anderen sind mir jedenfalls gänzlich unbekannt.
Der beseelende Sonnenschein begleitete mich übrigens noch die ganze Rückfahrt über. Weshalb ich, wieder zurück in der Heimat, kurzerhand noch einen Schlenker gen Westen einlegte, nun den Sonnenuntergang an „meinem“ See zu photographieren. Zuhause ließ ich den Abend dann gemütlich ausklingen. Ich hatte einen kurzweiligen Tag mit eindrücklichen Bildern erleben dürfen und startete nun zufrieden und frohgemut in die anstehenden Ferien.
Photographie © LuxOr
Photographie © LuxOr
(…) Aber die Stadt war zum Staunen. Sie war nichts als ein dunkler, schieferfarbener Strich, aus dem die Türme aufwuchsen. Gregor zählte sie: sechs Türme. Ein Doppelturm und vier einzelne Türme, die Schiffe ihrer Kirchen weit unter sich lassend, als rote Blöcke in das Blau der Ostsee eingelassen, ein riesiges Relief. Gregor stieg vom Rad und betrachtete sie. Er war auf diesen Anblick nicht gefaßt. Sie hätten es mir sagen können, dachte er. Aber er wußte, daß die Leute im Zentralkomitee für so etwas keinen Sinn hatten. Für sie war Rerik ein Platz wie jeder andere, ein Punkt auf der Landkarte, in dem sich eine Zelle der Partei befand, eine Zelle hauptsächlich aus Fischern und den Arbeitern einer kleinen Werft. Vielleicht war auch nie jemand vom Zentralkomitee in Rerik gewesen. Sie hatten keine Ahnung, daß es hier diese Türme gab. Und wenn sie es wußten, so würden sie doch nur über Gregors Ansicht lachen, daß solche Türme einen Einfluß auf die Parteiarbeit hätten. Wenn Gregor ihnen gesagt hätte, was er im Anblick von Rerik dachte, daß man nämlich in einer Stadt, in der es solche Türme gab, mit ganz anderen Argumenten arbeiten müsse als mit denen, die für gewöhnlich in den Flugblättern standen, so hätten sie nur die Schultern gezuckt. Bestenfalls hätten sie gesagt: dort wohnen genau die gleichen Menschen wie auf dem Wedding. Und das war richtig. Die Fischer von Rerik waren sicherlich genau die gleichen Menschen wie die Arbeiter von Siemensstadt. Aber sie wohnten unter den Türmen. Sie wohnten selbst dann noch unter ihnen, wenn sie auf die See hinausfuhren. Denn die Türme waren auch Seezeichen.
Von ihnen aus muß die See bis an die Grenze des Hoheitsgebietes zu beobachten sein, dachte Gregor. Sieben Meilen. Sieben Meilen Flucht lagen im Blick dieser Türme. Aber auf keinen Fall saßen die Anderen in den Turmluken. Das war eine gute Sache, dachte Gregor, daß es keine Türme für die Anderen waren. Wer saß denn darin? Niemand saß darin. Es waren leere Türme.
Aber obwohl die Türme leer waren, fühlte sich Gregor von ihnen beobachtet. Er ahnte, daß es schwierig sein würde, unter ihren Blicken zu desertieren. Er hatte es sich ziemlich einfach vorgestellt: sein letzter Instrukteurauftrag lautete auf Rerik, er würde ihn ausführen und dabei den Verbindungsmann aus Rerik über die Hafen- und Transportverhältnisse ausforschen. Aber er hatte nicht mit diesen Türmen gerechnet. Sie sahen alles. Auch einen Verrat.
Plötzlich erinnerte sich Gregor daran, daß er sich schon einmal von einem Hügel aus einer Stadt am Meer genähert hatte. Die Stadt hatte Tarasovka geheißen. Tarasovka auf der Halbinsel Krim. Es war Abend geworden, und sie hatten endlich die Erlaubnis bekommen, die Luken der Panzer zu öffnen, und Gregor war sogleich mit dem Oberkörper durch die Luke gekrochen, um frische Luft zu schöpfen, den Abendwind eines Manövertags der Roten Armee. Da hatte er die Stadt drunten am Fuß der Steppenhügel liegen sehen, ein Gewirr aus grauen Hütten an der Küste eines golden schmelzenden Meeres – ganz anders war diese Stadt gewesen als Rerik mit seinen roten Türmen vor dem eisigen Blau der Ostsee -, und der Genosse Leutnant Choltschoff, aufrecht in der Luke des Panzers, der vor Gregors Panzer fuhr, hatte ihm zugerufen: Das ist Tarasovka, Grigorij! Wir haben Tarasovka genommen! Gregor lachte zurück, aber es war ihm gleichgültig, daß die Tankbrigade, der er als Manövergast zugeteilt war, Tarasovka genommen hatte, er war plötzlich fasziniert von dem goldenen Schmelzfluß des Schwarzen Meeres und dem grauen Gestrichel der Hütten am Ufer, ein schmutzig-silbernes Gefieder, das sich zusammenzuziehen schien unter der Drohung eines dumpf dröhnenden Fächers aus fünfzig Tanks, aus fünfzig dröhnenden Wolken Steppenstaubs, aus fünfzig Pfeilen eisernen Staubs, gegen die Tarasovka den goldenen Schild seines Meeres erhob. Und Gregor sah, wie der Kommandeur, im vordersten Panzer stehend, seinen Arm erhob; das Dröhnen erstarb, die große Steppenbewegung stand still, und die Wolken Staubs erhoben sich zu Schleiern, zu Fahnen, die sich senkten vor dem Schild aus Gold. Unter seinem Gefieder aus fünfhundert grauen Hütten begann Tarasovka wieder zu atmen, ehe der Tag erlosch.
Im Anblick Reriks erinnerte Gregor sich an Tarasovka, weil dort sein Verrat begonnen hatte. Der Verrat hatte darin bestanden, daß ihm, als einzigem, der goldene Schild wichtiger gewesen war als die Einnahme der Stadt. Gregor konnte nicht feststellen, ob Choltschoff und die übrigen Offiziere und Soldaten den Schild überhaupt gesehen hatten; sie sprachen nur über ihren Sieg. Für Choltschoff war Tarasovka eine Stadt, die zu erobern war; für die Genossen des Zentralkomitees war Rerik ein Punkt, der gehalten werden mußte – es gab keine goldenen Schilde, die sich erhoben, keine roten Riesentürme, die Augen hatten.
Vielleicht hatte der Verrat schon früher begonnen, vielleicht schon in einem plötzlichen Ermüden während einer Vorlesung in der Lenin-Akademie, auf die der Jugendverband Gregor geschickt hatte, für seine organisatorischen Verdienste in Berlin. Es wäre besser gewesen, wenn sie mich nie dorthin geschickt hätten, dachte Gregor, in das Land, in dem wir gesiegt haben. Wenn der Sieg errungen war, hatte man Zeit, sich für anderes zu interessieren als für den Kampf. Sie hatten ihm zwar gepredigt, auch in ihrem Lande ginge der Kampf weiter, aber ein Kampf nach dem Sieg war etwas ganz anderes als ein Kampf vor dem Sieg. Am Abend von Tarasovka hatte Gregor begriffen, daß er Siege haßte.
Was hatte er aus Moskau mitgebracht? Nichts als einen Namen. In die Lenin-Akademie trat man ein wie in ein Kloster: man legte seinen Namen ab und wählte einen neuen. Er ließ sich Grigorij nennen. Während er in Moskau die Technik des Sieges studierte, hatten die Anderen in Berlin gesiegt. Man schickte ihn über Wien zurück, mit einem falschen Paß, der auf den Namen Gregor lautete. Er lernte eine dritte Form des Kampfes kennen: den Kampf nach einer Niederlage. In den Kampfpausen dachte er an den goldenen Schild von Tarasovka. Die Genossen im Zentralkomitee waren nicht mit ihm zufrieden. Sie fanden, er sei flau geworden.
Alfred Andersch: Sansibar oder der letzte Grund. Roman, Zürich 1970 (EV 1957), S. 20-23.
Photographie (noch mittels eines vorsintflutlichen Nokia-Handys vor bald zehn Jahren)
© LuxOr
Photographie © LuxOr
Photographie © LuxOr
und heuer gar mit meiner Wenigkeit in Aktion als Objekt der Meta-Begierde
Photographie © Mädchen aus Suomi – oder aber „Bierchen“ …
Bisher erschienen:
Rings ein Verstummen, ein Entfärben:
Wie sanft den Wald die Lüfte streicheln,
Sein welkes Laub ihm abzuschmeicheln;
Ich liebe dieses milde Sterben.
Von hinnen geht die stille Reise,
Die Zeit der Liebe ist verklungen,
Die Vögel haben ausgesungen,
Und dürre Blätter sinken leise.
Die Vögel zogen nach dem Süden,
Aus dem Verfall des Laubes tauchen
Die Nester, die nicht Schutz mehr brauchen,
Die Blätter fallen stets, die müden.
In dieses Waldes leisem Rauschen
Ist mir als hör‘ ich Kunde wehen,
daß alles Sterben und Vergehen
Nur heimlich still vergnügtes Tauschen.
Nikolaus Lenau (1802-1850)
Photographie (unbearbeitet) & Filmchen © LuxOr
Vergiß nicht,
daß jede Wolke,
so schwarz sie ist,
dem Himmel zugewendet,
doch ihre lichte Sonnenseite hat.
Friedrich Wilhlem Weber (1813-1894)
Photographie (unbearbeitet) © LuxOr
Als Hobby-Photograph erfreue ich mich an Höhen, Bögen und Kanten und bin auch manch ungewöhnlicherer schiefer Perspektive nicht abgeneigt. Bin ich mal unterwegs – nicht immer, aber immer öfter -, dann halte ich natürlich stets Ausschau nach derartigen Objekten meiner visuellen Begierde. Und letztens war es dann mal wieder so weit, in Hamburg, der altehrwürdigen Hansestadt, wurde ich fündig. Besuchte dorten nämlich vorvoriges Wochenende den Strolchi, einen alten Freund aus längst vergangenen gemeinsamen Chorzeiten und überhaupt, den es über die Zwischenstation meiner Geburtsstadt vor einer ganzen Weile nun schon gen Norden verzog. Durchstreiften also von nicht ganz so früh – sind ja schließlich auch nicht mehr die Jüngsten und darüber hinaus beide passionierte Nachtkrabbs! 🙂 – bis zum späten Abend die Hafenmetropole an der Elbe. Und klapperten dabei doch einige Sehenswürdigkeiten ab. (Auf die ansonsten von mir heiß geliebten soziologischen Feldstudien verzichteten wir heuer im Falle der Reeperbahn allerdings schweren Herzens … 😉 Hatte im Übrigen auch so lieblichen Damenkontakt; eine Heiratswillige aus Oldenburg nämlich und ihr flotter Jungfernflor, der ich für selbstlose siebzich Cent mit Anstand, Stil und Schere schließlich erfolgreich ans Textil durfte. Und seien wir doch mal ehrlich, welche Schöne vermag denn schon meinem apart melierten Bis-zu-vierzehn-Tage-Bart widerstehen oder meinem symbadisch-sonoren Baß? :-))
Hamburg – eine Stadt am Wasser, ohnehin stets ein Pluspunkt. Eine Stadt, die sich fast ausnahmslos im besten Sonnenlicht präsentierte, ideale Voraussetzung also für ausgedehnte Entdeckungen per pedes. (Eine Stadt aber auch vom Winde verweht, was mich, entgegen meiner üblichen sommerlichen Gewohnheit, nötigte, langärmlig und –hosig zu lustwandeln!) Eine Stadt außerdem mit einem unerwartet beschaulichen Viertel, das herrliche Aussichten bietet und durchaus eine längere Erkundung lohnt – Blankenese. Und schließlich eine Stadt von beeindruckender Architektur, sei es nun der Moderne oder vergangener Epochen.
Tag 1: U. a. Landungsbrücken – Speicherstadt – Elbphilharmonie
Tag 2: U. a. Alter Elbtunnel – Willkomm-Höft / Wedel – Blankenese
Tag 3: U. a. Rathaus – „Michel“ – Alster
Die Zeit verging darob wie im Fluge, wir konnten längst nicht alles erlaufen, wie uns der Rundblick vom „Michel“ lehrte. Das Geschaute machte aber zugleich Lust auf mehr. Darum: Hamburg, ich komme wieder!
(Photographie: LuxOr, wo nicht anders angegeben)
Geschichten, Schritte und Beobachtungen
Geschichten mitten aus dem Leben; über Momente die uns prägen, Freude, Schmerz, Hoffnung und Schicksal dem wir täglich begegnen. Ein kleiner Blick ins Innere, ein Blick hinter die Tür.
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