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In der Ruhe liegt die Kraft …

Vor einiger Zeit hatte ich einen Termin in der Stadt. Hierzu parkte ich unweit einer Kirche. Wie ich zurückkam, kam mir eine Frau in ihren Vierzigern in Begleitung einer Jugendlichen, ein End-Teenager wohl, mutmaßlich ihre Tochter, entgegen. Die Frau machte in freundlichem Ton in etwa den Vorschlag, „So, jetzt laß uns mal in die Kirche gehen!“. Worauf die Jüngere dies Ansinnen entrüstet von sich wies, „Niemals! Ich gehe in keine Kirche.“ Die Mutter versuchte es nochmals mit einer sanften, werbenden Stimme: „Ach, komm doch mit!“ Doch die Tochter blieb hart und wiederholte nur umso energischer ihr „Nein! Nein! Nein!“

Mir tat die Frau irgendwie leid. Was trieb die Junge, den Wunsch der Älteren so kategorisch abzulehnen? Sind junge Menschen heutzutage etwa nicht zur Kontemplation in der Lage? Können sie etwa keine Ruhe mehr ertragen? Oder fürchten sie in solchem Falle, mit sich selbst konfrontiert zu werden? Oder wissen sie mit sich allein ohnehin nichts anzufangen? Oder sind sie nicht einmal mehr empfänglich für die Schönheiten eines solchen Baues?

Jenseits der Versenkung ins Gebet kann es ganz praktische bzw. profanere Gründe für einen Kirchenbesuch geben. Denn sommers gewährt ein Kirchengebäude, insbesondere ein solches im romanischen oder gotischen Baustil, eine willkommene vorübergehende Abkühlung gegen die draußen herrschende Hitze. Und handelt es sich nicht gerade um einen touristischen Hotspot, ist ein Gotteshaus vor allem von Stille erfüllt, ein Fluchtpunkt vor äußerlichem Treiben. Aber insbesondere das betörende Spiel der Farben und Formen fasziniert immer wieder aufs Neue. Sich kurzerhand in eine Bank setzen und den Wechsel von Licht und Schatten auf sich wirken lassen. Oder die kunstvolle Architektur: filigran-verspielte Ornamentik, gewaltige Säulen oder auch schlanke, scheinbar leichthändig geschwungene, elegante Bögen und Gewölbe, bunte Ausmalungen, leuchtende, reich verzierte Hoch-Altäre, schillernde Fenster … Und man hält für einen Augenblick ehrfürchtig inne vor der Kunst der mittelalterlichen (oder frühneuzeitlichen) Bauherren. Ein Kirchenraum vermag die unterschiedlichsten Sinne anzusprechen, regt unser ästhetisches Empfinden an – und lohnt daher auch aus diesem Grunde unbedingt das Eintreten.

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Photographie (minimal manipuliert) © LuxOr

Steinerne Zeugen

Ja, die letzten Zeitzeugen auf beiden Seiten – Angreifer oder Verteidiger, Täter oder Opfer – sterben alsbald hinweg. Und damit vermag bald niemand mehr Zeugnis zu geben von Diktatur, Krieg, Zusammenbruch und Holocaust. Aktive Erinnerung an Geschichte, aus erster Hand quasi, verschwindet von selbst. Eine Herausforderung an die Zivil-Gesellschaft wie die Politik, wie man die Erinnerungskultur künftig verantwortlich zu gestalten hat, jenseits wohlfeiler Betroffenheitsrituale in luftigen Sonntagsreden, auf daß auch der Alltag davon durchdrungen sein möge.

Auf einem ganz anderen Gebiet pflegt man hingegen einen bisweilen wenig zimperlichen Umgang mit Zeugenschaft. Die Rede ist vom Städtebau resp. Denkmalschutz, oder genauer: die Frage nach der Rekonstruktion zerstörter, historischer Bausubstanz – steinerne Zeugen gleichsam der Wirrnisse der Zeiten. Ganze Städte sind nach ihrer zunehmenden Zerstörung im Bombenkrieg ab etwa 1942 bekanntlich bis zur ihrer Unkenntlichkeit wiederaufgebaut worden, man denke dabei bspw. an Heilbronn oder Pforzheim. (In meiner eigenen Geburtsstadt Freiburg verschwanden die letzten Trümmergrundstücke, bis dato als Parkplätze genutzt, im Übrigen erst bis Mitte/Ende der 1980er Jahre.) Manche Ruinen freilich, singuläre Gebäude von hohem symbolischen Wert, häufig auch Gotteshäuser, Mahnmale des Schicksals ihrer Stadt, blieben dagegen lange unbehelligt. So zum Beispiel die Frauenkirche in Dresden. Deren historisierende Rekonstruktion (1994-2005) erfüllte den Schreiber dieser Zeilen bisweilen mit Bauchgrimmen.

Die Frauenkirche zu Dresden

Natürlich wäre es eine konsvervatorische Herausforderung geworden, eine Ruine dauerhaft (begehbar?) zu erhalten und hierbei insbesondere die Sicherheit für Besucher und Passanten zu gewährleisten. Gleichwohl begab man sich damit der einmaligen Gelegenheit, ein Fragezeichen, einen mahnenden Zeigefinger, ein originales Denk-mal! für die Nachwelt zu bewahren, einen Gedenk-Ort zu schaffen um einen Torso, dem im Februar 1945 eben jenes Schicksal widerfuhr, wogegen sich die Mahnung richtet. Stattdessen tilgte man die Zerstörung, damit aber auch die mahnende Erinnerung daran, ein für alle Mal aus dem Stadtbild, so als ob nie etwas geschehen wäre. Und das bloß um der Vereinheitlichung und Harmonisierung, der Überzuckerung des Stadtbildes willen. Die feierliche Weihe fand dann im Oktober 2005 statt.

Das ist nun mittlerweile auch wieder dreizehn Jahre her. Doch auch andernorts in unserer Berliner Republik bricht sich derzeit im Umgang mit historischer Bausubstanz eine bedenkliche, weil homogenisierend-verklärende Geschichtsvergessenheit Bahn. Dem Dresdner Wiederaufbau kann man ja immerhin zugutehalten, daß hier auf noch existente originale Reste aufgebaut worden ist. Vor allem aber ist das historische Ensemble wenig vorbelastet durch die reichsdeutsche Vergangenheit. Davon kann andernorts nun allerdings keineswegs die Rede sein. Ganz im Gegenteil, hie und da scheint eher der preußisch-deutsche Militärgeist fröhlich Urständ zu feiern. Der Bund und das notorisch klamme und in Planungsfragen übel beleumundete Land Berlin (Stichwort „BER“) leisten sich für über eine halbe Milliarde Euro den Wiederaufbau des barock-klassizistischen (Stadt-)Schlosses der Hohenzollern. Just an der Stelle also, wo von 1976-2006 das Vorzeige-Objekt der Ost-Berliner Genossen, der Palast der Republik, auf dem weitläufigen Gelände des Originalbaues stand.

Der künftige Schloßplatz zu Berlin – © Sandy Lunitz

Und nur wenige Kilometer in südwestlicher Richtung entfernt, wird gerade das Zentrum Potsdams dem Erdboden gleichgemacht. Funktionsbauten aus den 1960/70er Jahren  im Stile des zeitgenössischen Brutalismus (u. a. ein Rechenzentrum oder Gebäude der hiesigen FH) müssen n. a. dem Wiederaufbau der Garnisonskirche weichen, zunächst offenbar nur des Glockenturms; dem aber das Kirchenschiff wohl unweigerlich folgen wird. So als ob im Westen niemals ähnlich unterkühlte und deshalb gerade realistische, zeit-adäquate und also eigentlich erhaltenswerte Gebäudekomplexe errichtet worden wären. Hat denn das architektonische Erbe der DDR absolut keine Daseinsberechtigung, sind denn die materiellen Hinterlassenschaften des anderen deutschen Staates jenseits von SED-Diktatur und Stasi-Verfolgung automatisch weniger wert? Ein nachgeholter Abrechnungsfuror gleichsam gegen die vermeintlich steingewordene Ideologie des im Wettstreit der Gesellschaftssysteme unterlegenen Gegners von einst. Bei oberflächlicher Betrachtung wird hier also durch Steuergelder ein weiterer barockisierender Prachtbau errichtet, in dessen Glanz und Gloria sich die neureichen Promi-Neubürger der ehemaligen Residenzstadt zu sonnen und lustwandeln gedenken. Doch angesichts der Vergangenheit dieses Kirchenbaus als DAS Symbol der unseligen Symbiose aus etatistischem deutschen Protestantismus und preußisch-deutschem, nationalen Machtstaat, kulminierend im Tag von Potsdam (21.03.1933), scheint die Frage mehr als berechtigt, welcher Geist hier tatsächlich am Wirken ist.

Modell des Turmes der (neuen) Garnisonskirche zu Potsdam

Man kann solcherlei Bau-Projekte vorwärts in die Vergangenheit noch so wohlmeinend erinnerungspolitisch und geschichtsdidaktisch begleiten; allein daß sie heutzutage gedacht, geplant, schließlich dann (in Teilen zumindest) mehrheitsfähig und also errichtet werden können, sagt doch einiges über die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft, unserer politischen Kultur aus. Einerseits weitverbreitete Schlußstrich-Mentalität, andererseits Sehnsucht nach ornamentaler (oder gar imperialer?) Größe und oberflächlichem Glanz, nach kitschiger Kulisse und barocker Betäubung. Revisionismus und Populismus scheinen mithin im Zentrum unserer Städte, in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen zu sein. Und die AfD ist nur e i n Symptom hiervon.

Wie ich vorigen Monat mit einem alten Freund durch Hamburg streifte, fragten wir uns immer wieder, was denn das für ein Turm sei, der alles andere überragend aus der Silhouette der Stadt hervorsticht, dabei aber seltsam düster und trostlos wirkt. Es handelt sich um den Turm der ehemaligen, neogotischen Hauptkirche der alten Hansestadt, St. Nikolai, – mit 147 m einstmals das höchste Gebäude der Welt. Dieser trotzte dem Feuersturm der Flächenbombardements auf Hamburg im Juli/August 1943.

Der Turm-Torso der ehemaligen Hauptkirche St.-Nikolai inmitten einer scheinbar gerade erst geräumten Trümmerlandschaft – © LuxOr, 07.18

Politik und Kirche fällten dann die für die quietistischen, fortschrittsgläubigen und wirtschaftswunderbeseelten 1950/60er Jahre bemerkenswert weitsichtige Entscheidung, den Turm-Torso als Mahnmal der Nachwelt zu erhalten. Auch wenn er dann im Anschluß erst einmal – jahrzehntelang vernachlässigt – zusehends verfiel. Bis  Ende der 1980er Jahre auf private Initiative hin durch Spenden wieder Bewegung in die Angelegenheit kam. Der Turm konnte gesichert (und bis Anfang diesen Jahres erneut aufwändig saniert) werden, und auf halber Höhe wurde eine Aussichtsplattform samt Außenlift installiert. Verschiedene Exponate – ein Mosaik und Skulpturen – laden künstlerisch zur Reflexion und Kontemplation ein. In der Krypta schließlich wurde ein Informationszentrum samt Dauerausstellung zum Bombenkrieg auf Hamburg eingerichtet. Historische Bauten – Ruinen zumal, auch vermeintlich häßlich-ungestaltes – sprechen zu uns in ihrer ganz eigenen Sprache. Man muß nur den Willen aufbringen, zu hören …