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Ja, FR hat, was alle suchen …

oder wo schmucke Innenhöfe zum Verweilen einladen.

 

„Z‘ Friburg in de Stadt,

sufer isch’s un glatt“.

(Johann Peter Hebel)

– von wegen!

 

Photographie © LuxOr

 

 

Kann es nicht noch ein bißchen mehr (potentielles) Unglück sein – oder was das Publikum begehrt und wie Medien arbeiten

Donnerstagabend vergangener Woche kam es bekanntlich zu einem Zugunglück südlich Freiburgs, bei dem der Lokomotivführer eines Güterzuges verstarb, als dieser durch die Kollision mit einem auf die Gleise herabgestürzten Teil einer Brücke entgleiste.

Als nähere Umstände noch nicht bekannt waren, titelte der Korrespondent noch nüchtern:

Zug kollidiert mit Brücke : Ein Toter bei Güterzugunfall südlich von Freiburg

  • Aktualisiert am 02.04.2020-22:20

Südlich von Freiburg ist ein Güterzug mit einer Brücke kollidiert und entgleist. Der Fahrer ist tot, mehrere Menschen werden verletzt.

(…)

Einen starken halben Tag später und mittlerweile in Kenntnis des weiteren Verkehrsgeschehens vor Ort um den Tatzeitpunkt, hat sich der Fokus in der Schlagzeile des Berichterstatters der FAZ deutlich gewendet:

Bahnunglück in Auggen : ICE entging knapp der Katastrophe

  • -Aktualisiert am 03.04.2020-14:11

Am Donnerstag ist ein Lokführer ums Leben gekommen, weil bei Auggen ein Betonteil von einer Brücke auf die Gleise gestürzt war. Wenige Minuten zuvor hatte ein aus Freiburg kommender ICE den Bahnabschnitt passiert.

(…)

Der beklagenswerte Tote findet zwar – ganz im Gegensatz zu den Verletzten – noch Erwähnung, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, denn die Aussicht, daß ein ICE  aus den Gleisen hätte springen können, hätte doch viel mehr Tod und Drama versprochen, wonach das Publikum seit eh und je lechzt. Allein, es sollte nicht sein. Na, vielleicht dann beim nächsten Mal wieder …

 

Ein Buchtipp hierzu wäre Sontag, Susan (2003): Das Leiden anderer betrachten. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser, München, Wien.

Ach, wir sind ja alle so ökologisch-grün bewegt!

Eine weitere Folge unsere beliebten Serie des Freiburg-Bashings.

Das Statistische Jahrbuch auf 2018 weist für die Stadt Freiburg – selbsternannte Green City, die sich eines gut ausgebauten Öffentlichen Personennahverkehrs mit StraBa, Bus und S-Bahn rühmt (deren Verwaltung sich derzeit allerdings allzu häufig in irrational anmutenden Männerphantasien von Baumfällaktionen ergeht), deren Bevölkerung sich im Image einer grün-alternativ-aufgeklärten Lässigkeit sonnt und wo im vergangenen September im Zuge der Fridays-for-Future-Bewegung rund 20.000 Menschen für eine ambitioniertere Klimapolitik auf die Straße gegangen sind, – mit 117.198 Einheiten die bislang höchste Dichte zugelassener Kraftfahrzeuge aus (S. 95 resp. 125 im pdf-Dokument).

Immer wieder kapitale Böcke …

Freiburg. Das Desaster um den Platz der alten Synagoge ist kaum vergessen. Denn das Problem der Verplantschung des Gedenkens an Verfolgung und Holocaust ist wohl nimmer in den Griff zu bekommen. Kleine Infostelen werden ignorante Vergnügungssüchtige kaum von ihrem weiteren Treiben abhalten. Und als ob das noch nicht genug wäre, leistet man sich in dessen Verlängerung eine kalte und die Umgebung extrem aufheizende Versteinplättelung der Ringstraßen bis hin zum Siegesdenkmal ohne jegliches auflockernde und O2-spendende Grün dazwischen. Und das in der selbsternannten Green City, Anschauungsunterricht in Verschlimmbesserung!  Vor diesem Hintergrund mutet dann das Selbsteingeständnis des Fehlens mehrerer Mitglieder des Gemeinderates eher peinlich an, da vor Kurzsichtigkeit, Naivität und Beratungsresistenz angesichts zeitnaher Expertenwarnungen nur so triefend.

Und dennoch wartete kürzlich der Leiter des Eigenbetriebs Friedhof mit einem ähnlich richtungsweisenden Vorschlage auf angesichts einer veränderten Bestattungskultur durch den Trend hin zu Feuerbestattungen und Urnenbeisetzungen bei gleichzeitiger Aufgabe zahlreicher klassischer Familienreihenerdgräber; da sich auf dem städtischen Hauptfriedhof im Stadtteil Brühl/Beurbarung daher mittlerweile viele Freiflächen auftun, könne man diese ganze „tolle Anlage doch behutsam zum Park für die ganze Familie forcieren(!)“, insbesondere als Naherholungsgebiet für den in unmittelbarer Nachbarschaft neu entstehenden Stadtteil auf dem ehemaligen Güterbahnhofgelände. Ausdrücklich kann sich der jugendbewegte Visionär bspw. Liegebänke vorstellen. Man möge den Gedanken einmal weiterspinnen: da solle eine der letzten Ruhestätten auf dem Stadtgebiet ohne Not preisgegeben werden. Und zwar zugunsten einer zusätzlichen Partymeile. Dagegen möchte ich allerdings mein entschiedenes „Wehret den Anfängen!“ einwerfen. Denn was bedeutete das anderes als die Einladung zu ausufernden Grillgelagen, Saufexzessen, gewalttätigen Ausbrüchen und häßlichen Müllbergen?! Denn in Zeiten eines eklatanten Mangels an Gespür, Anstand und Rücksichtnahme bzw. einer ausufernden Selbstbezogenheit und Vergnügungsmaximierung würde die in Freiburg beinahe behördlich geförderte Spaßgesellschaft solch einen Park komplett für sich vereinnahmen. Wie man verschiedenerorts eigentlich nicht ganz überraschend feststellen durfte, siehe oben. Der Umgang mit ihren Toten sagt im Übrigen einiges über die Gesellschaft der Lebenden aus.

Oder steht da eventuell ein ganz andere Gedanke Pate? Denn würde, bei Einrichtung einer Dependance der Pathologie, ähnlich innovativ wie das Parkkonzept, nicht die Umwelt geschont durch die Einsparung von Transportkosten u. dgl., wenn die allfälligen Alkoholleichen praktischerweise vor Ort gleich entsorgt werden und nebenbei also dem Friedhof wieder neue Kunden zugeführt werden könnten …

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Info: Der betreffende Artikel „Über die Zukunft der Friedhöfe“ aus der Badischen Zeitung vom 28.07.2018, auf dem dieser Beitrag beruht, ließ sich leider aus unerfindlichen Gründen partout nicht verlinken.

Wenn lokale selbsternannte Links-Grüne die Ökonomie für sich entdecken …

Nachtökonomie. Schon mal gehört? Klingt doch irgendwie nach einem Stichwort oder gleich einem ganzen Kapitel aus einer Einführung in die neoliberale Betriebswirtschaftslehre für jung-dynamische und spaß-orientierte Berufssöhne und –Töchter. Doch weit gefehlt: dieses Unwort – nun soll also auch die eigentlich der Ruhe vorbehaltene Nacht einer radikalen Durchökonomisierung unterworfen werden – führt Monika Stein im Munde. Ihres Zeichens sich links gebende, grün-dissidente Kandidatin zur OB-Wahl in meiner Heimatstadt Freiburg i. Br., wo es heute ins Stechen geht zwischen ihr, dem grün-konservativen Amtsinhaber Dieter Salomon und dem Überraschungssieger aus der ersten Runde, dem von SPD und FDP unterstützten Martin Horn.

Zunächst läßt sich fragen, ob denn die Konzeption eines wie auch immer integrierten Nachtlebens – das nämlich mag wohl der Begriff der Nachtökonomie besagen – eigentlich zu den Kernaufgaben einer Stadtverwaltung gehört. Zumal in Zeiten knappen Wohnraums, teils maroder Infrastruktur und sozialer Brennpunktbildung. Sinnvoll wäre ein solches Konzept in der Tat dann, wenn es zu einer Dezentralisierung des Nachtlebens beitrüge und mithin der Beruhigung der am meisten betroffenen Viertel der Innen- und Altstadt, namentlich des sogenannten Bermuda-Dreiecks, diente. Doch wird hier eher der Versuch unternommen, die Haupt-Leidtragenden,  vor allem auch alteingesessene Anwohner, gegen allzu vergnügungssüchtige, in Vororte zugereiste Studenten auszuspielen, wenn das Nachtleben einseitig als Standortfaktor betrachtet wird. Die Bewohner der Innenstadt, ihre Lebensqualität im nächtlichen Alltag sollen mithin zugunsten sprudelnder Steuereinnahmen der restlichen Stadtgemeinde im Namen des Vergnügungs-Kommerz zum Opfer dargebracht werden, dessen Haupt-Anhänger in verkehrsberuhigten und friedhofsseligen Vierteln ihre selbstgefällige, öko-alternative Salon-Attitüde ausleben. Derweil die Innenstadt (gewollt?) zum rechtsfreien Raum mit Müllhalde mutiert. Liebe Frau Stein und all die anderen Lifestyle-Freiburger, wissen Sie was, ich rufe Sie bei Gelegenheit samstags- oder sonntagsfrüh an, oder auch werktags, sollte es Ihnen da besser passen, lade Sie ein zu meinem Elternhaus in das besagte Bermuda-Dreieck, drücke Ihnen Eimer und Lappen in die Hand und dann putzen Sie mal gern die urinierten und erbrochenen Resultate Ihrer Nachtökonomie aus den Hauseingängen weg. Sie müssen dann bloß entschuldigen, daß ich unter Umständen etwas überreizt sein werde, qua Schlafmangel, denn Ihre ach so geschätzten Kneipiers halten sich nicht an die schon großzügigen Polizeistunden; stattdessen bewirten und beschallen sie Ihre/ihre ach so gehätschelte (nicht allein studentische) Kundschaft bis weit in die frühen Morgenstunden hinein auf den Freisitzen, bei weit geöffneten Fenstern und Türen, teils auch mit nicht zugelassenen Außenlautsprechern, und das sommers wie winters, sieben Tage die Woche. Und ohne daß es diese Stadtverwaltung je kümmerte. Freiburg, Du Verlogene!

 

Frau Steins Programmpunkt „Nachtleben“ im Wortlaut:

Nachtleben

In Freiburg gibt es viele junge Menschen, die hier aufgewachsen oder als Studierende und Arbeitnehmer*innen hierher gezogen sind – und auch viele nicht mehr ganz so junge Menschen, die Wert auf ein lebendiges Nachtleben legen. Dabei gibt es Interessenkonflikte, die durch die Politik nicht verleugnet werden dürfen, sondern die die Politik versuchen muss auszugleichen. Daher wird es mit mir als Oberbürgermeisterin folgendes geben:

  1. Ein Clubkonzept für die Innenstadt
  2. Räume für die Musikszene und die freie Kunstszene
  3. Nachtökonomie als Standortfaktor

Das Freiburger Nachtleben befindet sich einer Krise. In den letzten Jahren mussten mehr Clubs schließen als neue eröffneten. Der schwindende Raum sorgt dafür, dass viele Veranstalter Party- und Konzertreihen kaum noch aufrechterhalten können. Die stadtprägende Vielfalt der Szene ist davon stark bedroht.

Die Freiburger Innenstadt ist das pulsierende Herz Freiburgs. Das Nachtleben dort hat in den letzten Jahren gelitten. Kellerclubs, kleine Kneipen, aber auch größere Clubs, öffentliche Plätze für Nachtschwärmer*innen, das Stadttheater bilden die lebensnotwendige Arterie. Freiburger Bürger*innen, Tourist*innen und auch viele aus dem Umland schätzen die Stadt dafür. Ich will das erhalten.

Fehlende Räume treffen jedoch nicht nur die Partygänger*innen und Organisator*innen, sondern auch Musiker*innen jeglicher Musikstile. Freiburg hat eine große Anzahl praktizierender Bands, Musikensembles und auch Einzelkünstler*innen. Diese benötigen Proberäume, um ihrer Kreativität freien Lauf lassen zu können. Seit dem Wegfall des alten Güterbahnhofsgeländes, einem Ort, an dem die Mehrzahl der Proberäume in Freiburg beheimatet war, hat sich die Situation nochmals verschärft. Damit die Kreativen unserer Stadt ihr Potential ausschöpfen können, werde ich mich dafür einsetzen, dass die Stadt sich des Raumproblems intensiver annimmt. Im Moment plant die FWTM ein Musiker*innenhaus, aber der Gemeinderat hat seine Zustimmung noch nicht gegeben. Für diese werde ich kämpfen, denn ein solches Haus ist ein erster wichtiger Schritt zur Lösung der Problematik.

Auch die freie Kunstszene hat Raumprobleme. Nachwuchskünstler*innen sind auf Ateliersuche und finden oft keine Orte, um ihre Kunst einer geneigten Öffentlichkeit vorzustellen.

Ein weiterer Baustein für mehr Räume für all diese verschiedenen Aktivist*innen, welche einen großartigen Beitrag leisten, diese Stadt so lebendig, bunt und kreativ zu gestalten, kann ein kommunales Zwischennutzungskonzept sein.

Nachtleben und Nachtökonomie werden in Teilen der Bevölkerung und auch der Stadtverwaltung als etwas Störendes wahrgenommen. Ein erhöhter Geräuschpegel, Müll und Alkohol gehören zum Nachtleben, und ich kann verstehen, dass dies zu Konflikten führt, besonders in der bewohnten Innenstadt. Doch bei den Debatten darf man nicht vergessen, dass Nachtleben und Nachtökonomie neben einer kulturellen Bereicherung auch ein Standortfaktor sind. Gerade eine Stadt wie Freiburg, die nicht von großer Industrie lebt, sondern deren ökonomische Stärke mit der Universität verknüpft ist, braucht genau diesen Standortfaktor. Eine Universität lebt davon, dass junge Erwachsene sich für ein Studium in Freiburg entscheiden. Für diese Bevölkerungsgruppe ist ein lebendiges und vielfältiges Nachtleben ein Faktor für eine solche Entscheidung.

Kurz gesagt: Freiburg profitiert von einem lebendigen Nachtleben. Ich werde mich darum kümmern, dass dieses durch kommunale Maßnahmen wieder Fahrt aufnimmt und dass die Nutzungskonflikte des öffentlichen Raumes offensiv angegangen und nicht verleugnet werden.

Zu den konkreten Maßnahmen, die ich ergreifen werde, gehören die Erarbeitung eines Clubkonzepts und die unkompliziertere Vergabe von Clublizenzen sowie die Einrichtung einer Breitenförderung der Sub- und Clubkultur und die Erarbeitung eines Nachtlebenkonzepts. Der schnelle Aufbau des Musiker*innenhauses mit weitere Proberäumen kann ebenso Raum für kulturelle Nutzung schaffen wie die Erstellung eines kommunalen Zwischennutzungskonzepts.

Das Amt für öffentliche Ordnung wird unter meiner Führung ein Partner und nicht Verhinderer der Veranstalter*innen in Freiburg. Konkret: Der jetzige Amtsleiter Herr Rubsamen ist eine Fehlbesetzung durch den amtierenden Oberbürgermeister Salomon, und diese muss schleunigst korrigiert werden.

(K)eine Atempause?

So, also eine Billion oder Tausend Milliarden. Eine Zahl mit zwölf Nullen. Eigentlich unvorstellbar. Aber genau diese immense Menge an Bäumen möchte Felix Finkbeiner, ein gerademal zwanzigjähriger Student der „Internationalen Beziehungen“ aus Tutzing in Oberbayern, weltweit pflanzen lassen. Das entspreche schätzungsweise einem Drittel des gesamten Weltbaumbestandes oder der Waldfläche Russlands in toto. Alles zur Rettung des Weltklimas, da Pflanzen bekanntlich das schädliche CO2 binden und in Sauerstoff umwandeln. (Und darüber hinaus auch der Bodenerosion und also der fortgesetzten Verwüstung entgegenwirken.) Angefangen hatte er im zarten Alter eines Viertklässlers von zehn Jahren noch mit einer Million. Inzwischen seien rund um den Globus aber bereits Fünfzehn Milliarden Bäume in 193 Ländern auf Spendenbasis gepflanzt worden, teils auf Staatsland, weitab von Siedlungen. Und offenbar ohne landwirtschaftlich nutzbare Flächen für die immer noch stetig wachsende Weltbevölkerung einzuschränken.

Dies Unternehmen, diese individuelle Initiative ist aller Ehren wert, Nichts soll unversucht bleiben, den Klimawandel irgendwie einzudämmen. Zumal so viele Grünflächen, so viele Bäume Neubauten, der allgegenwärtigen Zubetonierung nicht nur in Stadtgebieten zum Opfer fallen. Ohne daß freilich andernorts für eigentlich verordnete Ersatzpflanzungen gesorgt würde. Wie beispielsweise kürzlich erst in meiner Heimatstadt Freiburg auf Pressenachfrage behördlich kleinlaut eingestanden werden mußte. Ein jeder kann sich zudem beteiligen. Und wie es scheint, ist dem ambitionierten Projekt auch durchaus Erfolg beschieden, wie eine gerade erfolgte internationale Konferenz in Monaco unter Beteiligung von Vertretern aus Wirtschaft und Politik dank weiterer Spendenzusagen bestätigt. Auch die UNO ist schließlich mit im Bunde.

Gleichwohl drängen sich mir dabei zwei Fragen auf. Wie will man, da die massiven Aufforstungen vor allem in armen tropischen Gebieten – des schnelleren Wachstums wegen – erfolgen sollen, eben jene neuen Waldflächen ganz praktisch vor Spekulation, Abholzung und Verbrennung schützen? Und, gesetzt den Fall, diese Neupflanzungen hätten dennoch dauerhaft Bestand, ist es da ganz grundsätzlich nicht doch auch ein probates Instrument, unsere auf Raubbau und Verschmutzung, auf grenzenlose Mobilität und bedenkenlose Wegwerfmentalität basierende Wirtschafts- und Lebensweise unhinterfragt auf Dauer zu stellen? Weshalb sollten sich sonst auch Vertreter aus der Wirtschaft beteiligen …

 

Die Vorher-Nachher-Show oder Faschisierung des öffentlichen Raumes

Meine Geburtsstadt, vorher:

Vorher – der „alte“ Platz der alten Synagoge

 

Ein Platz im Rechteck, nach Süden und Osten hin durch Kollegiengebäude der hiesigen alma mater begrenzt, in den anderen Richtungen durch Gehweg und Straße. Eine ausgedehnte durchgehende Grünfläche, auf zwei Seiten eingefaßt von einer niedrigen Mauer, welche als Sitzgelegenheit dient. Am nördlichen Ende ein Obelisk zum Gedenken an einen Sohn der Stadt, Karl von Rotteck (1775-1840), liberaler Politiker, Staatswissenschaftler und Historiker (Dieser vertrat eine aus heutiger Sicht problematische Position bezüglich der Judenemanzipation; für damalige Verhältnisse war eine solche Haltung indes durchaus nicht unüblich). Einige Meter davor ein gelbes Hinweisschild nach Art der Straßenverkehrszeichen, Richtung und Entfernung nach Gurs / Frankreich angebend; ein Ort in den Pyrenäen, wohin im Oktober 1940 die badischen, pfälzischen und saarländischen Juden von den Nationalsozialisten nach der Niederlage Frankreichs im Juni jenen Jahres deportiert wurden.

Vorher – Rottteck, KG II & das Gurs-Schild

 

Am südlichen Ende schließlich eine Gedenkplatte in Erinnerung an den vormaligen Standort der von den lokalen NS-Größen in der Reichspogromnacht (09.11.1938) zerstörten Freiburger Synagoge.

Von Landesarchiv Baden-Württemberg, CC BY 3.0 de

Vorher – die alte Synagoge (1926) / Von Landesarchiv Baden-Württemberg, CC BY 3.0 de

 

Vorher – die Gedenkplatte zur alten Synagoge

 

Vorher – die Gedenkplatte / Von © Jörgens.mi /, CC BY-SA 3.0

 

Der Name: Platz der alten Synagoge. Ein Ort der Erinnerung und Mahnung mithin, vernachlässigt gewiß und ziemlich verschlafen, aber beschaulich auch, im besten Sinne also lang-weilig; eine Stätte des Innehaltens zwischen Großstadt-Treiben, Verkehr und kühlem akademischen Betrieb. Ein Platz, der eine behutsame Rekonstruktion und Modernisierung dufchaus verdiente, aus Respekt vor der Geschichte, vor den (jüdischen) Opfern des Nationalsozialismus.

 

Nachher, im August 2017:

Nacher — der „neue alte“ Platz bei der Übergabe (02.08.2017)

 

Besagter Platz wurde nun im Zuge des Stadtbahnausbaus und der Aussperrung des Durchgangsverkehrs tatsächlich umgestaltet und Anfang diesen Monats der Öffentlichkeit übergeben. Und man kann sagen, es wurde ganze Arbeit geleistet. Das Grün ist größtenteils verschwunden; zwei, drei dürre Bäumchen auf den Stirnseiten vermögen ihre Alibi-Funktion kaum zu kaschieren, zumal sie vom Boden an über den ersten Meter jeweils eingekastelt sind durch ein Sitzpodest aus Holz. Der Platz ist nun von allen Seiten aus zwar problemlos begehbar, gleicht mit seinen beigen Steinplatten indes einer wüsten Ödnis. Der Rotteck ist offenbar zur persona non grata erklärt, der Mahn-Weiser nach Südfrankreich gleichfalls mittlerweile unerwünscht. Zum Theater hin gen Westen spritzen stattdessen mehrere Wasserspiele auf zur Erquickung von Hund, Kind und Kegel. Gen Südwesten zu nun das Herzstück der Neuanlage, ein permanent überlaufendes Wasser-Bassin, das in seinen Maßen dem Grundriß der alten Synagoge nachempfunden ist. Darinnen, kaum zu erkennen, die alte Gedenkplatte, ertränkt – um sie herum sabbernde Hunde, planschende Kinder und diese knipsende entzückte Erwachsene. Im Übrigen keinerlei erhellende Angaben, was es mit diesem Orte, seiner Bedeutung und seiner Geschichte eigentlich auf sich hat, nirgends.

Von Markus Wolter - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0

Nachher – der „Gedenkbrunnen“ bei der Übergabe, im Hintergrund die neue UB / Von Markus Wolter – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0

 

Nichts anderes als ein hitze-strahlender neuer Aufmarschplatz, der nicht atmet, der ohne Leben, ohne Farbe ist, ohne Identität, der keinen echten Widerhaken bietet für das Auge. Stattdessen vor Öde und Leere nur so trieft, vor Kälte, vor Härte. Kongenial bildet er daher nun eine Einheit mit dem im wahrsten Sinne des Wortes blendenden Monolithen der neuen hiesigen Universitätsbibliothek (UB) – in Stein, Glas und Beton gehauener Nihilismus, Faschisierung des öffentlichen Raumes in der Vertikalen wie der Horizontalen. (Stein)platt(e) gemachte Geschichte, Verwässerung des Geschehens, Verplanschung des Gedenkens (resp. Vereisung, denn eine besonders intelligente Zeitgenossin entblödete sich nicht vorzuschlagen, das Wasser-Bassin winters in eine Eisbahn umzuwandeln …).

Gegen begehbare, erfahrbare Mahnmale ist ja zunächst überhaupt nichts einzuwenden. So ist das Stelenfeld in Berlin, das nationale Hoocaust-Mahnmal, mit der Zeit auch zu einem Besuchermagneten geworden. Und es wird immer Menschen geben, die aus Unwissenheit oder Indifferenz (oder etwa Beklemmung?) sich für Dritte irritierend verhalten. Jenem Monument in seiner langsam ansteigenden Monströsität – als solche wiederum auch anfechtbar – ist freilich eine ernsthafte Intention, welche zum Ge-Denken herausfordert, durchaus abzulesen. Derweil das Freiburger Planschbecken vielleicht gut gemeint war, in seiner schlußendlichen Ausführung jedoch sein Heil allein in der oberflächlichen Zerstreuung sucht und also auf ganzer Linie scheitert. Die Stadt ist dabei Wiederholungstäter, man denke bloß an die unselige, da dermaßen inkonsequente Änderung von Straßennamen: Avanti, Dilletanti!

Und Stadtväter wie Rat, allesamt allzu laissez-faire-grün-bewegt, geben sich auf einmal ach so überrascht, daß ihre notorisch feiersüchtige und spaßwütige Bevölkerung das Gelände okkupiert, die Stadtreinigung tagsüber daher Extra-Touren über den Platz fegen und frühmorgens erst einmal die delikate Hinterlassenschaft der nächtlichen Gelage entsorgen darf. Doch Party-People sind heutzutage ja auch künstlerisch veranlagt und verewigen sich in hochprozentiger Laune gerne gekritzelt auf den Steinplatten. Weshalb sich die Stadtverwaltung nun genötigt sieht, hierfür eine spezielle Reinigungsmaschine über mehrere Hunderttausend Euro anzuschaffen. Ganz zu schweigen von der peinlichen Posse um die Namensgebung (warum nicht einfach den alten Namen beibehalten?) und die unsensible Terminierung der späteren öffentlichen Einweihung unter quasi-Ausschluß der jüdischen Gemeinde. Allüberall mithin (bewußte?) Geschichtsvergessenheit, oben wie unten, hier wie dort (Berlin läßt momentan bekanntlich das Stadtschloß wiederauferstehen, in Potsdam droht derweil neuerdings der Wiederaufbau der Garnisonskirche). Da beschleicht einen bisweilen unwillkürlich der Verdacht, daß wir eben doch deutschlandalternativer gestimmt sind, als weite Teile von uns sich gemeinhin eingestehen wollen. Denk ich also an Deutschland in der Nacht …

 

Simpel aller Länder, vereinigt Euch!

Lebt man auf dem Lande, also nicht in irgendwelchen seelenlosen Schlafdörfern aus der Retorte, sondern in alten agrarisch geprägten Orten, soll es schon mal vorkommen, daß sich Kühe in der Nachbarschaft finden. Bisweilen mögen diese dann auch Glocken tragen, deren Klang zugegeben schon durchdringend schallen kann – insbesondere wenn Menschen sie schellen. Nichtsdestotrotz wirkt dies Gebimmel in seiner beständigen Monotonie doch eher beruhigend-kontemplativ. Dennoch scheint es Zeitgenossen zu geben, die sich nicht entblöden, dagegen gerichtlich vorzugehen. Und die Justiz, nicht minder dämlich, nimmt diese Beschwerde an bzw. gibt dem Beschwerdeführer auch noch Recht, wie eben erst in Oberbayern geschehen: Gericht verbietet Kuhglocken.

Nun kann man das Landleben vielleicht nicht mit dem nächtlichen Treiben im Zentrum einer deutschen Großstadt vergleichen, wo der Schreiber dieser Zeilen aufwuchs und seine Familie immer noch lebt. Gleichwohl nimmt es Wunder, daß sich die Ordnungskräfte hier vornehm zurückhalten, Anzeigen gegen Lokale wegen mangelnden öffentlichen Interesses nicht zur Verfolgung gelangen, auch wenn diese Lokalitäten ihre Ausschankzeiten draußen eigenmächtig einfach weiter ausdehnen und die Nachbarschaft auf engstem Raum bis eins, wochenends bis mindestens zwei Uhr nachts bei geöffneten Türen und Fenstern umpfzg-mäßig beschallen. Danach herrscht aber noch lange keine Ruhe, denn die über den Durst getrunkenen Nachtschwärmer lautsprechern erst noch bis anno ultimo, werfen Müllsäcke und -Kübel um, entledigen sich sorglos ihrer Fastfood-Schachteln auf der Straße, – wozu ist denn schließlich die Stadtreinigung da? -, reihern und urinieren wahllos in Türnischen – hinterlassen mithin ein Schlachtfeld. Und das geschieht nahezu allabendlich während der warmen Jahreszeit. Wo bleibt da die öffentliche Autorität und Ordnungsmacht? Zumal ich mich noch der Zeiten erinnere, daß man sommers dort mit geöffnetem Fenster schlafen konnte. Obgleich die erwähnten Bums-Lokale auch damals schon existierten …

Aber nein, man sonnt sich ja in seinem Image der weltoffenen, südländisch-libertären, stramm ökologisch ausgerichteten, grün-alternativen Vorzeige-Kommune, die freilich jenseits allen medienwirksamen Straßenbahnbaus und Partnerstadtsammelns längst jeglichen Gestaltungswillen aufgegeben hat und einen rechtsfreien Party-Raum kaum wieder unter Kontrolle zu bringen vermag, falls dieser Wille überhaupt vorhanden sein sollte, was doch stark anzuzweifeln ist. Es sei betont, daß ich hier keineswegs einem polizeistaatlich durch-regulierten offentlichen Raum das Wort rede, doch herrscht nicht allerorten eine falsch verstandene Liberalität vor, die jeglicher Form von Rücksichtslosigkeit Tür und Tor öffnet? Aber wenn mal irgendwo ein paar harmlose Kuhglocken bimmeln, dann finden sich doch stets ein, zwei Simpel …