Schlagwort-Archive: Tod

Relativitätstheorie

 

Wir haben

die gewaltigen Wassermassen

die verheerenden Waldbrände

den müden Wahlkampf

die neuer-lich abgestürzte MANNSCHAFT und

das unendliche Leid eines fernen Landes

gesehen.

Doch all das und noch viel mehr verblaßt, relativiert sich, verliert an Bedeutung, wenn man einen geliebten Menschen an das letzte Ufer begleitet und ihn hilflos gehen sieht …

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Photographie © LuxOr

 

Das andere Amerika

Achtung vor den Toten

Wie ist zahllosen unschuldigen Opfern

eines unsichtbaren Täters adäquat zu gedenken?

Statt immer nur der schieren nackten Zahl

den realen Toten ein Leben gegeben –

eine lyrische An-Dacht, ein kollektives Denk-Mal!

New York Times : Den Toten eine Stimme

  • Von Kai Sina
  • -Aktualisiert am 25.05.2020-19:09

Am „Memorial Weekend“ hatte die „New York Times“ eine journalistische Sternstunde: eine Kollektivpoetik des Totengedenkens, das die Tradition von Walt Whitman und Edgar Lee Masters mit der Corona-Moderne verbindet. Namen, nichts als Namen, versehen mit nur jeweils einer persönlichen Angabe, und über all dem die erschütternde Nachricht: „U.S. Deaths near 100 000, an Incalculable Loss“.

Hunderttausend Tote, ein unermesslicher Verlust: Die bilderlose, grafikfreie Titelseite der „New York Times“ vom vergangenen Sonntag ist binnen kurzem zu einer journalistischen Ikone geworden. In Hunderten Kurznachrufen, die aus Dutzenden, insbesondere regionalen Tageszeitungen zusammengestellt wurden, überführt sie die kalte Opferstatistik, die uns alle durch die Corona-Monate hindurch begleitet, in einen Katalog des gelebten Lebens: „Romi Cohn, 91 Jahre, New York City, rettete 56 jüdische Familien vor der Gestapo“; „Jéssica Beatriz Cortez, 32 Jahre, Los Angeles, vor drei Jahren in die Vereinigten Staaten eingewandert“; „Stanley Marvin Grossman, 83 Jahre, Nanuet, New York, vielen bekannt für seine erstaunliche Donald-Duck-Imitation“, „Larry Sartain, 77 Jahre, Des Plaines, Illinois, stand jeden Morgen um fünf Uhr auf, um die Bibel zu lesen“ – und immer weiter so fort.

(…)

Zum geneigten Weiterlesen

Eine Verschwörungstheorie der anderen Art

 

Photographie © LuxOr

 

Kann es nicht noch ein bißchen mehr (potentielles) Unglück sein – oder was das Publikum begehrt und wie Medien arbeiten

Donnerstagabend vergangener Woche kam es bekanntlich zu einem Zugunglück südlich Freiburgs, bei dem der Lokomotivführer eines Güterzuges verstarb, als dieser durch die Kollision mit einem auf die Gleise herabgestürzten Teil einer Brücke entgleiste.

Als nähere Umstände noch nicht bekannt waren, titelte der Korrespondent noch nüchtern:

Zug kollidiert mit Brücke : Ein Toter bei Güterzugunfall südlich von Freiburg

  • Aktualisiert am 02.04.2020-22:20

Südlich von Freiburg ist ein Güterzug mit einer Brücke kollidiert und entgleist. Der Fahrer ist tot, mehrere Menschen werden verletzt.

(…)

Einen starken halben Tag später und mittlerweile in Kenntnis des weiteren Verkehrsgeschehens vor Ort um den Tatzeitpunkt, hat sich der Fokus in der Schlagzeile des Berichterstatters der FAZ deutlich gewendet:

Bahnunglück in Auggen : ICE entging knapp der Katastrophe

  • -Aktualisiert am 03.04.2020-14:11

Am Donnerstag ist ein Lokführer ums Leben gekommen, weil bei Auggen ein Betonteil von einer Brücke auf die Gleise gestürzt war. Wenige Minuten zuvor hatte ein aus Freiburg kommender ICE den Bahnabschnitt passiert.

(…)

Der beklagenswerte Tote findet zwar – ganz im Gegensatz zu den Verletzten – noch Erwähnung, steht aber nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, denn die Aussicht, daß ein ICE  aus den Gleisen hätte springen können, hätte doch viel mehr Tod und Drama versprochen, wonach das Publikum seit eh und je lechzt. Allein, es sollte nicht sein. Na, vielleicht dann beim nächsten Mal wieder …

 

Ein Buchtipp hierzu wäre Sontag, Susan (2003): Das Leiden anderer betrachten. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser, München, Wien.

Anfassen.

Stockfinstere Nacht war es heuer, gegen Viere in der Früh, als ich diese Zeilen las. Schmökerte wiederum im Tag im Jahr. Dieser Tagebucheintrag fiel mir schon vorher ob seiner ungewöhnlichen Kürze auf. Auf den letzten drei Seiten wird dann allerdings klar, woher diese Sprachlosigkeit rührt – ein Mensch ist verstorben. Nach einem schweren Autounfall. Und auch wenn die Situation eine gänzlich andere ist als heute, beschreibt die Autorin, Christa Wolf, ein universelles, zutiefst menschliches Bedürfnis (nicht nur) in Reaktion auf solch eine Schreckensnachricht, das allerdings unerfüllt bleibt. Wie auch heute leider Gottes vielfach, auch gerade im Angesicht des Todes … *

„(…) – kam der Anruf von Dieter.

Eben sei ihnen Helmut unter den Händen weggestorben.

(…)

Irgendwann ging mir eine Zeile durch den Kopf: In der Erstarrung such ich nicht mein Heil./Das Schaudern ist der Menschheit bestes Teil/ – „Schaudern“, das ist das Wort. Mir schaudert. Nachts wurde ich mehrmals wach, schaudernd. Daß wir alle sterben müssen? Nicht nur das, glaube ich. Daß wir falsch gelebt haben und leben? Ja. Das vielleicht noch mehr.

(…)

Ich telefonierte noch mit Annette und Tinka (ihre Töchter, Anm. L.), auch darüber, wie es in dem Krankenhaus zugegangen sei und daß Dieter darüber einen „Bericht“ machen will – Helmut ist nicht mehr ins Leben zurückzuholen. Immer sah ich ihn vor mir, wie er eine Woche vorhher war, als wir ihm sogar ein Radio brachten und glaubten, er sei über dem Berg. Er glaubte es auch. – Tinka erzählte noch von dem Besuch bei Martins Bruder in Rostock – wie deprimierend mies manche Leute hier leben müßten. Daß sie bei zwölf Grad Wassertemperatur ins Meer gesprungen sei, Helene und Anton auch.

Ich hätte sie alle um mich versammeln und jeden einzelnen anfassen mögen.“

Christa Wolf: Ein Tag im Jahr. 1960-2000. Frankfurt a. M. 20133, S. 447ff, („“Sonntag, 27. September 1987, Woserin“)

 

* Was mag darinnen vorgegangen sein?

In welcher Not muß er sich befunden haben? Und in welcher Einsamkeit?

Requiescat in Pace, Thomas Schäfer!

 

Selbstische Ignoranz bis in den Tod – und noch darüber hinaus!

Da haben die Damen und Herren Parlamentarier also den bequemen Weg gewählt. Und im Falle der Organspende bei festgestelltem Hirntod beim gestrigen Votum im Bundestag die ausdrückliche Zustimmung des Einzelnen zum Gesetz gemacht. Daß es überhaupt zu einer gesetzlichen Neuregelung gekommen ist, läßt darauf schließen, daß Not am Mann ist, sprich: der Bedarf an Spenderorganen ist hoch, die Bereitschaft zur Spende dagegen stagniert bzw. ist rückläufig. Mit der von Gesundheitsminister Spahn entworfenen Widerspruchslösung hätte dieser Trend eventuell umgekehrt werden können, wenn ein jeder zunächst einmal als Spender angesehen würde. Von einer staatlichen Bevomundung, einem Spendezwang quasi, kann dabei aber nicht die Rede sein. Ganz im Gegenteil, der gemeine Bürger wäre damit vielmehr angehalten, sich mit seiner eigenen Körperlichkeit und deren Endlichkeit auseinanderzusetzen. Und als Ergebnis dieser inneren Klärung stünde dann eventuell die Bereitschaft, einem Bedürftigen nach Eintritt des eigenen Todes einen letzten Dienst zu erweisen, auf daß jener die Möglichkeit erhalte weiterzuleben. (Zumal es einem auf dem Totenbett doch eigentlich egal sein kann, ob er oder sie denn noch „komplett“ verbrannt oder vergraben werde.) Oder eben auch nicht. Durch die nun akzeptierte Zustimmungsregelung wird der Bürger freilich von jeglicher Selbstprüfung entlastet. Da im Wesentlichen alles beim Alten bleibt. Denn ob eine dezente Anfrage bei irgendwelchen Behördengängen etwas an der bescheidenen Spendebereitschaft ändern kann, mag doch bezweifelt werden, Das bißchen Gemeinsinn opfert man lieber auf dem Altar einer selbstischen Ignoranz. Und den Leidtragenden ruft man derweil ob dieses Befundes zu, tragt euer Los mannhaft?

So ist das Leben!

Zu Allerseelen

Am Schluss sind alle immer blöder
Und hängen meistens am Katheder
Die allerwenigsten werden Leichenträger
Aber jeder wird vom Leichenträger einmal Auftraggeber.

So endet das Leben
In Paris begraben sie den Pariser
In Schrunns-Tschgunns den Schrunns-Tschgunnzen
Alles Blunzen
Alles Blunzen

Alles Bluuuunzen
Is eh wurscht
Wies kommt so kommts
Alles Blunzen
Zu was denn
Wofür denn
Des is mir doch so egal
Is ma wurscht
Des is mir so egal
Da könnte ich gar nicht sagen was ich lieber hab
Des is ma so wurscht
Machts euch nicht ins Hemad
Is eh wurscht wies kummt so kummts
Irgendwann hörts auf.

Aus: Josef Hader – So ist das Leben (Josef Hader: Privat. Geco Tonwaren, 1995)

„In Gefahr und großer Not bringt der Mittelweg den Tod“, oder so ähnlich …

Na, ob das ma nich ins Auge geht. Die unendliche Geschichte geht weiter. Nach langem Ringen werden die Briten Mitte Dezember erneut an die Wahlurnen gerufen. Das alles beherrschende Thema dürfte wenig überraschend der leidige Brexit sein (und der Wahlkampf darüber wohl ein mit harten Bandagen geführter). Die brexit-kritische Opposition, welche sich bislang gegen Neuwahlen gesträubt hatte, geht jedoch mit völlig unterschiedlichen Voraussetzungen in diesen Wahlkampf. Denn Liberaldemokraten und schottische Nationalisten wollen den Austritt aus der Europäischen Union quasi ganz abblasen, setzen den regierenden konservativen Brexiteers also eine klare Alternativposition entgegen und stehen wohl nicht zuletzt deswegen in Umfragen gut da. Ganz anders Labour, die eigentlich größte Oppositionspartei. Nach deren Wahl-Agenda solle nochmals mit Brüssel verhandelt werden und dieser neue Vertragsentwurf dann durch ein neuerliches Referendum der Bevölkerung zur Entscheidung vorgelegt werden. Das mag auf den ersten Blick nicht unvernünftig klingen, zumal es durchaus ein demokratischer Prozess ist, auch vor dem Hintergrund, daß der Sieg der Austreter im (ersten?) Referendum auf nachweislich falschen Angaben beruhte. Doch auf den zweiten Blick überwiegen eher die Zweifel. Mal ganz abgesehen davon, ob sich Brüssel bzw. jeder einzelne Mitgliedstaat ein weiteres Mal auf Verhandlungen mit ungewissem Ausgang einließe. Es dürfte wohl schwer vermittelbar sein, wieso alles nochmals (komplett?) aufgeschnürt werden sollte, wo es schon schwierig genug war, überhaupt zu einem Vertragstext zu gelangen. Oder meint Herr Corbyn etwa noch immer, es besser machen zu können? Das grenzt schon an Hochmut und Größenwahn. Das Wahlvolk wäre jedenfalls wohl kaum amused über solch eine mutwillige Verlängerung des ohnehin schon allzu lange gegebenen hochnotpeinlichen Austrittstheaters. Darüber hinaus drückt Labour sich hierbei erneut um eine eigene deutliche Positionierung herum. Ob damit überhaupt noch ein Blumentopf zu gewinnen ist? Nun rächt sich jedenfalls endgültig das endlos unentschiedene Herumlavieren. Denn, wie schon der deutsche Barock-Dichter Friedrich von Logau (1605-1655) wußte, „In Gefahr und grosser Noth // Bringt der Mittel-Weg den Tod.“

übern Gottesacker …

 

Der Friedhof

Dort, wo gemach die Eb’ne in Wellen sich
zum Hügel aufschwingt, steht noch in gelbem Laub
ein Bäumepaar allein, ertrinkend
Kreuze noch dort in dem Herbstgesträuche.

Und still hinab verliert in die Weite sich
ein Weg. Den halten Bäume dir rot im Blick
lang noch, wenn schon ins Grenzenlose
alles verwehte -, vom Wind getrieben.

Da wandle die verwachsenen Pfade noch
zum Hügel auf und steh bei den Kreuzen lang,
und blick nach Westen, wo das letzte
Feuer versinkt in ein armes Glühen.

 

Johannes Bobrowski (1917-1965)

 

 

Photographie © LuxOr