Heute vor 75 Jahren wurde Albrecht Haushofer (1903-1945) ermordet.
Moabiter Sonette
I . IN FESSELN
Für den, der nächtlich in ihr schlafen soll,
so kahl die Zelle schien, so reich an Leben
sind ihre Wände. Schuld und Schicksal weben
mit grauen Schleiern ihr Gewölbe voll.
Von allem Leid, das diesen Bau erfüllt,
ist unter Mauerwerk und Eisengittern
ein Hauch lebendig, ein geheimes Zittern,
das andrer Seelen tiefe Not enthüllt.
Ich bin der erste nicht in diesem Raum,
in dessen Handgelenk die Fessel schneidet,
an dessen Gram sich fremder Wille weidet.
Der Schlaf wird Wachen wie das Wachen Traum.
Indem ich lausche, spür ich durch die Wände
Das Beben vieler brüderlicher Hände.
V . AN DER SCHWELLE
Die Mittel, die aus diesem Dasein führen,
ich habe sie geprüft mit Aug‘ und Hand.
Ein jäher Schlag – und keine Kerkerwand
Ist mächtig, meine Seele zu berühren.
Bevor der Posten, der die Tür bewacht,
den dicken Klotz von Eisen sich erschlösse,
ein jäher Schlag – und meine Seele schösse
hinaus ins Licht – hinaus in ferne Nacht.
Was andre hält an Glauben, Wünschen, Hoffen,
ist mir erloschen. Wie ein Schattenspiel
scheint mir das Leben, sinnlos ohne Ziel.
Was hält mich noch – die Schwelle steht mir offen.
Es ist uns nicht erlaubt, uns fortzustehlen,
mag uns ein Gott, mag uns ein Teufel quälen.
XXXIX . Schuld
Ich trage leicht an dem, was das Gericht
mir Schuld benennen wird: an Plan und Sorgen.
Verbrecher wär‘ ich, hätt‘ ich für das Morgen
des Volkes nicht geplant aus eigner Pflicht.
Doch schuldig bin ich anders als ihr denkt,
ich mußte früher meine Pflicht erkennen,
ich mußte schärfer Unheil Unheil nennen –
mein Urteil hab ich viel zu lang gelenkt …
Ich klage mich in meinem Herzen an:
ich habe mein Gewissen lang betrogen,
ich hab mich selbst und andere belogen –
ich kannte früh des Jammers ganze Bahn –
ich hab gewarnt – nicht hart genug und klar!
und heute weiß ich, was ich schuldig war …
Haushofer, Albrecht (1993): Moabiter Sonette. Mit einem Nachwort von Ursula Laack-Michel, 4. Auflage, München, S. 9, 13, 47. Erstveröffentlichung 1946.
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