„ ( …) Ideologen vergessen, daß sie die wirklich bestehende Welt keineswegs bekämpfen, wenn sie nur die Phrasen dieser Welt bekämpfen.“
Georg Lukács (1885-1971)
„ ( …) Ideologen vergessen, daß sie die wirklich bestehende Welt keineswegs bekämpfen, wenn sie nur die Phrasen dieser Welt bekämpfen.“
Georg Lukács (1885-1971)
Heutzutage wird das allzu leicht mißverstanden. Gefühlt vergeht mittlerweile kaum ein Tag, an dem nicht die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird. Rasch ist man da mit Vorwürfen zur Hand; entweder wird jemand als Sexist, Rassist, Faschist oder Antisemit oder ähnliches mehr gescholten. Nur um sich selbst zu erhöhen, da man sich ja auf der moralisch einwandfreien Seite wähnt. Und daraus für sich das Recht ableitet, eine (nicht einmal zwangsläufig) kritische Stimme zu diffamieren oder gleich mundtot zu machen. Daß man dadurch den inhärenten Tatbestand nur verwässert und die eigentliche Gefährdung aus dem Blick verliert, kommt erst gar nicht in den Sinn.
Die Kehrseite der Medaille ist, daß ein derart pauschal Verunglimpfter, anstatt diesen künstlich aufgebauschten Furor konsequent zu ignorieren, sich auch noch genötigt fühlt, zu Kreuze zu kriechen und blumig Abbitte zu leisten. Oder zumindest meint, sich erklären und rechtfertigen zu müssen. Sozialistische Debattenkultur in Reinkultur. Das geht dann so weit, daß man sich im Vorhinein, in vorauseilendem Gehorsam einen Maulkorb auferlegt und sich selbst zensiert. Ein Bärendienst.
Jede noch so zweifelhafte selbsternannte Minderheit stilisiert sich zum Opfer, um auf diese Weise (Diskurs-)Macht zu generieren; Individualisierung ex negativo, ein großangelegtes Ablenkungsmanöver, da systemkonform. Und Macht, die im Zeichen einer vermeintlich höheren Moral dazu mißbraucht wird, den „Gegner“ persönlich anzugreifen, um seine Argumente abzuwerten. Und also ein Gespräch, eine Auseinandersetzung von vornherein zu unterdrücken. Die berühmt berüchhtigte „Alternativlosigkeit“ läßt grüßen. Uneingeschränkte Redefreiheit gebührt bloß noch den Gleichgesinnten. Die gesamte Gesellschaft eine einzige Filterblase, eine kaum noch kaschierte Gleichrichtung des Diskurses. Das propagierte Ziel des Schutzes der sozial-liberalen Demokratie wird damit aber ad absurdum geführt.
Solch ein Gebaren ist dabei insbesondere auf Seiten des links-grünen Spektrums zu beobachten (dem sich der Schreiber dieser Zeilen eigentlich in weiten Teilen verbunden fühlt. – Die kategorische Ablehnung der sogenannten „political Correctness“ auf der Rechten ist freilich auch entschieden abzulehnen). Nur wird dabei geflissentlich übersehen, daß es angesichts einer derart drohenden fragmentierten, weil überindividualisierten und überrreizten Gesellschaft immer schwieriger wird, die nicht gerade unbedeutenden (globalen) Herausforderungen der Zukunft, welche ein Mindestmaß an unvoreingenommenen und konsensbereiten Gemeinsinn erfordern, zu meistern. Von dieser Warte aus betrachtet, sägt die vereinigte Linke also an dem Ast, auf dem sie sitzt …
Ja, in Hongkong oder Weißrußland und allüberall, wo Frauen und Männer, Kinder und Alte trotz Gefahr für Leib und Leben, zumindest aber für ihre soziale Existenz für legitime Forderungen unerschrocken und unverdrossen auf die Straße gehen, ist der Begriff durchaus berechtigt. Hierzulande wird Widerstand freilich viel zu lange schon überstrapaziert und mißbraucht von einer heterogenen Gruppe (schwäbischer) Besserwisser, die mit peinlich schiefen historischen Analogien und hanebüchenen Verschwörungserzählungen von Diktatur faseln, ohne dabei auch nur die leisesten Konsequenzen fürchten zu müssen.
- –Aktualisiert am
Der Rapper Cashmo veröffentlicht ein Lied, in dem er davon erzählt, dass er als Deutscher in seinem Viertel diskriminiert worden sei. Er bekommt viel Zuspruch, aber auch etwas Kritik – auf die er dann maßlos reagiert.
(…)
Die (Meinungsfreiheit) gerät nicht dadurch in Gefahr, dass Menschen für ihre Kunst oder bestimmte Positionen kritisiert werden. Sondern dadurch, dass Kritisierte ihre Gefolgschaft auf Kritiker hetzen.
Dem bleibt nichts hinzuzufügen …
Da wird allerorten bei Sonntagsreden die Gefahr beschworen, die vom Rechtsextremismus ausgeht. Und entschlossenes Vorgehen dagegen propagiert. Und nicht zuletzt die querulanten Demonstrationen gegen die Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zeigen auf bestürzende Weise, wie weit verbreitet und öffentlich sichtbar der Antisemitismus mit seinen hanebüchenen Konstruktionen mittlerweile wieder ist. In dieser besorgniserregenden Situation sendet Sachsen, sendet Dresden ein sonderbares Signal der Toleranz. Verweigert sich selbst gleichzeitig nämlich den notwendigen eigenen Kontrapunkt. „Tut mir ja aufrichtig leid, aber Corona! Das kam alles so überraschend, wir hatten gar keine Möglichkeit, unser Konzept anzupassen“? Ein Armutszeugnis! Wenn das mal kein Wasser auf die Mühlen ist …
Gedenken an Pogromnacht
Dresden: Juden fassungslos über „Pegida“-Veranstaltung am 9. November
- Aktualisiert am
Auch am Jahrestag der Novemberpogrome von 1938 darf die antisemitische und fremdenfeindliche „Pegida“-Bewegung in Dresden demonstrieren. Eine Gedenkveranstaltung wurde hingegen abgesagt.
(…)
„‘Toleranz impliziert, saß die tolerierte Sache moralisch tadelnswert ist. Weiterhin, daß sie änderbar ist. Von Toleranz gegenüber einen anderen zu reden, impliziert, daß es gegen ihn spricht, daß er jene Eigenschaft nicht ändert, die Gegenstand der Toleranz ist.‘ (…)
Toleranz schließt die Akzeptanz des Wertes des andern nicht ein; ganz im Gegenteil, sie ist eine weitere, vielleicht etwas subtilere und schlauere Methode, die Unterlegenheit des anderen noch einmal zu bekräftigen, und dient als warnende Ankündigung der Absicht, die Andersheit des anderen zu beenden – verbunden mit einer Aufforderung an den anderen, mitzuhelfen, das Unvermeidliche zustande zu bringen. Die bekannte Humanität der Toleranzpolitik geht nicht über die Zustimmung hinaus, den letzten showdown aufzuschieben – unter der Bedingung freilich, daß ebender Akt der Zustimmung die bestehende Ordnung der Überlegenheit weiter stärkt.“
Bauman, Zygmunt: Moderne und Ambivalenz. Das Ende der Eindeutigkeit. Aus dem Englischen von Martin Suhr. Hamburg 20163 ( EV 1991, dt. 1992), S. 22, Anm. 4.
Nicht die Polit-Clowns als solche sind das Erschreckende. Sondern daß sich offenbar immer wieder mehr als genug diensteifrige Lakaien finden, diesen clownesken Willen umstandslos zu exekutieren. Der Rest ist ungläubiges Schweigen … – und banges Warten!
auf: Soundgarden – Superunknown, A&M Records (540215-2), 1994
Vor vier Jahren hatte ich am Vormittag einen Arzttermin. Ich stellte mir den Wecker so, daß ich ohne große Eile noch frühstücken, langduschen und hinausfahren konnte. Nichts Böses ahnend, öfffnete ich dann unmittelbar nach dem Aufstehen meinen Laptop, um mich schlau zu machen, wie sich denn die Amerikaner über Nacht entschieden hatten. Bei irgendeiner vorigen Wahl, mutmaßlich Obamas, war ich tatsächlich lange noch aufgeblieben und hatte die Wahlsondersendungen am TV verfolgt, aber irgendwann so um Dreie oder Viere in der Früh ausgeschaltet, weil einfach nichts geschah: „too close to call“, oder wie die das eben so nennen. Das folgende Ergebnis damals hatte mich dann aber immerhin bestätigt.
Mit dieser Gewissheit, es wird schon alles seinen rechten Gang gehen, ging ich denn auch vor vier Jahren zu Bett. Doch wie ich dann eben der breaking news auf meiner Hausseite, der Allgemeinen Zeitung für Deutschland, gewahr wurde, konnte ich meinen Augen kaum trauen: T, T, T und nochmal T! Das Unwahrscheinliche war eingetreten, der Super-GAU! Charakter und Anstand? Scheinbar allüberall überbewertet und diesseits wie jenseits des Atlantiks auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt! Wenn man sagt, jedes Volk hat die Regierung, die es verdient: was war das dann für ein eigentümliches Volk? Und welche Bedeutung hatte dieses politische Erdbeben dann für uns in Deutschland, für Europa, für die Welt? Ich war wie gelähmt und las jeden greifbaren Artikel, von denen es (un-)erwartungsgemäß eine große Zahl gab, wohl irgendwie nach Halt und Orientierung suchend.
Den Arzttermin hatte ich darob beinah völlig aus den Augen verloren. Icherschien dann glaube ich über eine Viertelstunde oder noch länger zu spät, aber das war mir in diesem Moment so was von schnuppe. Der Arzt hatte denn auch durchaus Verständnis für mich und wir sprachen tatsächlich noch eine ganze Weile miteinander über die eingetretene Situation. So blieb mir wie vielen anderen eben nichts anderes übrig, als sich damit abzufinden und auf die Checks ’n Balances der amerikanischen Verfassung und auf die Zivil-Courage des anderen Amerika zu vertrauen. Aber mit jeder weiteren Entgleisung und jedem neuerlichen Stilbruch stumpfte man zusehends ab und hoffte bloß noch darauf, diese Bad-Comedy-Show möge doch wenigstens im November Zwanzig, ohnehin ein denkwürdiges Jahr, endlich ihr Ende nehmen …
Wie wird nun die Welt ausschauen, wenn ich morgen Früh aufwache? Wird die Erde sich gleichmäßig weiterdrehen oder werden wir aus allen Wolken fallen, eine Schockstarre erleben, eine kurze trügerische Ruhe, die sich dann freilich geschwind in einer gewaltigen Implosion entladen wird? Ich habe mir jedenfalls schon mal vorgenommen, sehr zeitig aufzustehen. Und zur Sicherheit habe ich mir auch keine Termine auf den Vormittag gelegt …
Der 23. Mai ist ein durchaus geschichtsträchtiger Tag. Da liegt es nahe, an einem solchen Datum zu einem gegebenen Zeitpunkt einmal eine Momentaufnahme der Ereignisse und Einschätzungen im unendlichen Strome der Zeit zu machen, welche im nächsten Augenblick bereits vergangen sein werden, und deren tatsächliche Bedeutung für den weiteren Lauf der Geschichte wir allenfalls erahnen können.
Im Folgenden habe ich daher alle Schlagzeilen, welche Punkt Zwölf Uhr mittags auf der Seite meiner Netzhauspostille präsentiert worden sind, hier aufgelistet. Ein bißchen überrascht war ich jedenfalls von der schieren Menge der Artikel und Nachrichten, es dauerte deutlich länger als erwartet, alle Einträge niederzuschreiben; wenn man geschwind mal herunterscrollt, fällt das einem gar nicht so sehr auf. Freilich geht mit der hohen Zahl auch eine Verbreiterung der angesprochenen Themen und Fachgebiete einher. Ein anregendes Kaleidoskop des menschlichen Lebens in seinen Leistungen, Widersprüchen und Nichtigkeiten gleichsam, ein Schaufenster zur Welt, zu Raum und Zeit, ein Spiegel der Gesellschaft. Oder Politik und Poesie des Alltags. Und mal schauen, woran ich mich in einem Jahr noch erinnern kann, was Bestand hat und was nicht …
Allenthalben hört oder liest man, die Wähler der AfD dürften nicht verunglimpft oder ausgegrenzt werden, zumal man einen Wähleranteil von bis zu einem Viertel der abgegebenen gültigen Stimmen aus demokratischer Sicht nicht so ohne Weiteres ignorieren könne oder dürfe. Die Parteien der alten Bonner Republik, insbesondere natürlich die CDU/CSU, versuchen denn auch, diese Wähler zurück in den Schoß der demokratischen Parteien-Familie zu führen, jedoch nicht allein aus altruistischen Motiven staatspolitischer Verantwortung. Häufig wird in diesem Zusammenhang behauptet, viele Menschen wählten die AfD nicht wegen, sondern trotz ihrer antidemokratischen oder völkisch-rassistischen Ausfälle. Dahinter mag wohl die Vermutung oder die Hoffnung stehen, daß das Gros dieser Wählerschaft nur vorübergehend bei der Alternative ihr Kreuzchen setzt – deren Anliegen und Programmatik (beispielsweise Infrastruktur und Grundversorgung in den östlichen Bundesländern) im Kern auch anzuerkennen sei (was freilich verkennt, daß diese Politikfelder auch bloß darum so intensiv alternativ bedient werden, um das angebliche Versagen des demokratischen Systems bundesrepublikanischer Prägung anzuprangern und damit also generell publikumswirksam verächtlich zu machen) -, ihre demokratische Seriosität ansonsten aber über jeden Zweifel erhaben sei. Eine aktuelle Studie des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig, basierend auf einer repräsentativen Umfrage unter 2416 Wahlberechtigten von Mai bis Juli 2018, scheint indes gerade das Gegenteil nahezulegen. Anhand des „Leipziger Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung (FR-LF)“ sollten sich die Probanden zu den folgenden Dimensionen (zu je drei Aussagen) positionieren:
Die jeweilig Gewichtung der einzelnen Items durch Sympathisanten der AfD lassen demnach den Schluß zu, daß
„AfD-Wähler_innen über alle Dimensionen hinweg signifikant höhere Zustimmungswerte in Bezug auf die Dimensionen des Rechtsextremismus zeigten, als die Wähler_innen der anderen Parteien, Nichtwähler_innen und Unentschlossene. Neben der sehr hohen Zustimmung zu Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit unter AfD-Wähler_innen zeigt sich auch eine im Schnitt deutlich erhöhte Ablehnung der Demokratie (Befürwortung einer Rechtsautoritären Diktatur) sowie hoher Antisemitismus, Sozialdarwinismus und ein ausgeprägter Hang zur Verharmlosung des Nationalsozialismus.“ (Vgl. Leipziger Autoritarismus-Studien – Rechtsextremismus, Gewaltbereitschaft, Antisemitismus, Leipzig 2020, S. 8, Schaubilder auf den fortfolgenden Seiten)
Oder, mit anderen Worten, diese Wählerschichten haben sich selbst ausgegrenzt aus dem demokratischen Konsens, haben den einstigen Volksparteien CDU/CSU und SPD (sowie der Linken) bewußt den Rücken gekehrt und eine politische Heimat in der AfD gefunden, welche sie gerade w e g e n deren Aggressivität, politischen Unkorrektheit und systemsprengenden Tendenz unterstützen. Diese für sich zurückgewinnen zu wollen, bedeutete dann nichts anderes, die häufig bemühte und für sich selbst reklamierte Mitte tatsächlich zu verlassen, um den Preis freilich, eben dort empfindlich zu verlieren. Die Konsequenz daraus kann m. E. bloß sein, keinerlei inhaltliche oder andere Konzessionen nach rechts zu machen, denn ein Großteil dieser Wähler dürfte auf Dauer wohl verloren sein. Es dürfte aber wohl auch nicht schaden, tatsächlich einmal konsequent Politik für die große Mitte (worunter ich auch die soziale Unterschicht rechne!) zu machen, und nicht bloß für selbsternannte Möchtegern-Leistungsträger.
Liebe Bundes- (und Landes-)CDU!
Also, langsam aber sicher gehst Du mir gehörig auf den Keks mit Deinem endlosen kopf- und führungslosen Rumgeeiere um die Landtags- und Ministerpräsident-Wahl in Thüringen. Nun verwirft Dein jugendlicher Generalsekretär. P. Z., die gestrige Einigung der regionalen Spitzen-Gliederungen von Linke, SPD, Grüne und CDU in Bausch und Bogen, sekundiert von irgendwelchen semi-prominenten Fraktions- oder Landesvorsitzenden oder Geschäftsführern irgendwelcher Länder. Aber was, bitteschön, ist denn dann die Alternative für Deutschlamd, äh Thüringen? Eine umgehende Neuwahl wird vor Ort kategorisch ausgeschlossen, verständlicherweise nach der Vorgeschichte und der zu erwartenden niederschmetternden Quittung hierfür, wenn auch sehr egoistisch. Das spricht allerdings auch nicht gerade für Deine eigene Durchsetzungsstärke. Sieht man einmal von den spezifisch von der Thüringer Verfassung gegebenen Vorraussetzungen hierfür ab – eventuell ist man für ein solches Vorhaben auch auf Stimmen aus der AfD angewiesen, welche sich also kurzerhand verweigern könnte – , ist der Zeitpunkt durch Deine neuerliche Volte, liebe Bundes-CDU, endgültig ungenutzt verstrichen.
Die andere Pseudo-Alternative, die mir in den Sinn kommt, nämlich einen eigenen Ministerpräsidenten-Kandidaten aufzustellen, ist angesichts der obwaltenden Gemengelage ein mehr als kühnes Unterfangen und dürfte in einem ähnlichen Fiasko enden wie am Fünten Februar, falls sich nicht doch noch Abgeordnete von SPD oder Grünen Deiner Vertreter vor Ort erbarmten – und sich die AfD heroisch enthielte. Der geeignete gesichtswahrende Zeitpunkt hierfür ist also auch verstrichen. Zumal die dortige CDU noch kopfloser dasteht, auch durch Dein eigenes Zutun. Das Experiment mit Christine Lieberknecht, immerhin eine Parteigenossin, scheiterte wiederum an dem Zaudern der Parteigranden vor Ort. Mag der Vorschlag von Bodo Ramelow denn tatsächlich vergiftet gewesen sein, immerhin wäre nicht der Dir verhaßte Vorgenannte an der Spitze der wenn auch provisorischen Experten-Exekutive gestanden. Von pragmatischer Weitsicht zeugte also auch dies Gebaren jedenfalls nicht.
Und so mußt Du Dir, liebe Bundes-CDU, in der Tat die Frage stellen nach Deiner Glaubwürdigkeit, aber in einem ganz anderen Sinne als Du es meinst. Denn es könnte durchaus sein, daß Du neuerlich an Vertrauen und Zustimmung verlierst, aber weil Du seit dem Wahlabend vorigen Jahres ideologisch verbohrt bist durch diese schiefe kategorische beidseitige Ausschließeritis an der politischen Realität vor Ort vorbei und es Dir neuerdings absolut an pragmatischer Vernunft mangelt – ein simpler Blick auf die Arithmetik des Wahlergebnisses genügt um zu fragen, wo denn Deine staatspolitische Verantwortung geblieben ist – , dieses unwürdige bürgerliche Trauerspiel zu beenden. Stattdessen reitest Du Dich immer weiter in das Schlamassel hinein …
Ooops, he did it again!
Solch unfreiwillige Ehrlichkeit muß man im Grunde bewundern. Christian Lindner ist sein persönlicher Einsatz vor Ort in Erfurt zwar zugutezuhalten, welcher mit zwei Tagen Verzögerung nun zum Rückzug seines Parteigenossen Thomas Kemmerich als thüringischer Ministerpräsident von AfDs Gnaden führte. Hernach rief er sogleich den Parteivorstand ein, um sich dessen Rückhalts zu versichern. Jener sprach ihm gestern dann überraschend deutlich das Vertrauen aus. (Auch nur ein Beleg dafür, daß es sich bei der FDP um eine One-Man-Show handelt). Lindners Presseerklärung offenbarte dann freilich aufs Neue, welch naiv-dreistes Spitzenpersonal die FDP ziert. „Wir haben uns in der AfD geirrt“(!), zitierte die FAZ nicht ohne Häme im Titel. Allen Ernstes, Herr Lindner?! Sie wollen dem poliischen Publikum tatsächlich weismachen, daß Sie nicht die Möglichkeit einer Unterstützung einer liberalen Kandidatur durch die völkisch angehauchte Höcke-AfD durchspielten? Falls aber doch, darin dann dennoch kein größeres Problem sahen, und die Wahl sogar annehmen ließen? Selbst wenn es sich um eine nachträgliche Behauptung der Deutsch-Alternativen handelte, ihr Abstimmungsverhalten für einen etwaigen dritten Wahlgang mit einem dann möglichen bürgerlichen Kandidaten sei hinlänglich bekannt gewesen, so zeugt das liberale Agieren neuerlich von politischer Unbedarftheit. Oder eben Dreistigkeit. Mit der stets sich selbst attestierten politischen Vernunft scheint es jedenfalls nicht allzu weit her zu sein. Wo ist der weiße Ritter, der es diesem Knaben endlich beibringt, daß er seinem Job offenbar nicht recht gewachsen ist? Eine erste Maßnahme: weniger Talkshow-Tingeltangel und dafür einmal konzentriert die Hausaufgaben machen. Einer aktuellen Umfrage des Forsa-Instituts zufolge halbiert sich der Zuspruch für die FDP bei der Sonntagsfrage jedenfalls um die Hälfte auf nun noch Fünf Prozent …
Auch bei dem anderen Partner in Crime offenbarte die Causa Ministerpräsidentenwahl nicht gerade Weitblick oder Durchsetzungskraft. Erst schränkte die Berliner Parteiführung um AKK durch ihre unglückselige Äqui-Distanz zwischen Linken und AfD die Handlungsoptionen ihres thüringischen Landesverbands nach der Wahl nachhaltig ein. Zumal, wie erinnerlich, selbst eine große „Bonner Koalition“ aus SPD, Grünen und FDP unter Führung der CDU keine Mehrheit mehr auf sich vereinen konnte. Dann hielt sich jener kleine Landesverband nicht an die vorgegebene Marschrichtung einer fortgesetzten Enthaltung im dritten Wahlgang. Und nachdem Annegret Kramp-Karrenbauer sich ebenfalls persönlich gen Erfurt aufgemacht hatte, um seitens der CDU den Weg für Neuwahlen freizumachen, da verweigern sich die dortigen schwarzen Abgeordneten in Sorge wohl um ihre parlamentarischen Pfründe diesem von ihnen quasi als „Diktat“ gebrandmarkten Ansinnen der Parteiführung im Bund. Und nehmen also die Bundespartei und ihre Führung, welche das Wohl der Gesamtpartei im Blick hat, in Haftung für ihr persönliches „Fehlverhalten“. Obwohl angeblich jedes einzelne Fraktionsmitglied die Frage ihres eigenen Vorsitzenden am Tag vor der unsäglichen Ministerpräsidentenwahl, ob sie denn bereit seien, individuell die Konsequenzen zu übernehmen für eine etwaige Mitwahl Thomas Kemmerichs, bejahte … Daß nun wiederum die Bundesregierung bzw. der Koalitionsausschuß mit dem Gewicht der Bundeskanzlerin und auf Druck der Morgenluft witternden SPD sich genötigt fühlte einzugreifen, läßt für die nominelle CDU-Vorsitzende nun jedenfalls auch nicht unbedingt eine rosige Zukunft erwarten. (Auch wenn es natürlich bedenklich ist, eine an sich regelkonform zustande gekommene Wahl unbedingt meint revidieren zu müssen. Die Protagonisten vor Ort sind freilich auch „verbrannt“, weshalb eine Neuwahl des gesamten Landtags neuerliche demokratische Legitimation verschaffen könnte.)
Unmittelbare Folge ganz allgemein sollte nun u. a. sein, den Umgang mit der AfD einerseits und ihren Wälern andererseits nochmals kritisch zu überprüfen und dann auch öffentlich zu kommunizieren. Denn daß sich bis zu einem Viertel der Wählerschaft auf Dauer nicht ignorieren lassen, liegt auf der Hand. Aber man muß sich für derlei Feldversuche ja nicht unbedingt den radikalsten Landesverband aussuchen.
Pleiten, Pech und Pannen also? Oder sind nicht vielmehr alle hier aufgeführten Beteiligten sehenden Auges, aber irgendwie doch ohne Sinn und Verstand gesprungen? Wie dem auch sei, der Schaden ist da, und es ist unser aller Schaden: die politische Kultur, ohnehin lange schon unter Druck, hat neuerlich beträchtlich Schaden genommen. Oder, wie es der Kommentator meiner Hauspostille treffend ausdrückt: „Die bürgerlichen Parteien haben in Erfurt verspielt, was im politischen Geschäft eine der wichtigsten Währungen ist: ihre Glaubwürdigkeit.“ Denk ich an Deutschland in der Nacht …
PS, 22.02.2020: Der vorläufige Schlußpunkt des bürgerliichen Trauerspiels? Warum nicht gleich so oder so ähnlich!!!
Politisch liberal heißt heutzutage, keine Moral oder Verantwortung zu kennen und entweder heulsusige Leichtmatrosen zu sein (Wie erinnerlich: nach der Bundestagswahl 2017 und dem mutwilligen Platzenlassen der schwarz-grün-gelben Koalitionsverhandlungen zog sich der Herr Lindner beleidigt (und wenig überzeugend!) auf den Standpunkt zurück, nach dem Wiedereinzug in den Bundestag könne man nicht sogleich Regierungsverantwortung übernehmen: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Dies scheint heute, bei ungleich diffizilerer staatspolitischer Ausgangs- und Gemengelage, freilich kein Hinderungsgrund mehr für Frei-von-Skrupeln-Demokraten zu sein.) Oder aber mit jedem sich ins politische Bett zu legen. Thüringen, der neue alte „Mustergau“; mit persönlich gerade einmal läppischen fünf Prozent sich zum Ministerpräsidenten aufschwingen zu lassen, welch Demokratie-Verständnis. Rechtsextrem ist das neue Bürgerlich. Auf welch gefährliches Spiel läßt man sich da ein, in wessen Abhängigkeit begibt man sich denn da ( in die des Landesverbands einer Partei, der auf dem Radar des Verfassungsschutzes ist nämlich ..) ! Der Damm ist jedenfalls schneller gebrochen. Daher frisch auf nun, alle aufrechten HamburgerInnen, schlagt sie, die neuen National-Demokraten, und werft sie aus der Bürgerschaft!
PS, 06.02.2020: Nicht die NSDAP war die größte Gefahr für die Demokratie am Ende der Weimarer Republik, sondern Männer vom Schlage eines Hugenberg oder von Papen. Und im Übrigen haben auch die wenigen verbliebenen Liberalen im März 1933 geschlossen – wie auch das Zentrum – für das Ermächtigungsgesetz gestimmt, darunter Theodor Heuss und Reinhold Maier …
Ist er etwa um seinen guten Ruf in einer künftigen Geschichtsschreibung besorgt? Der plötzliche Aktionismus von Labour-Chef Jeremy Corbyn befremdet doch eher, wirkt unglaubwürdig und kommt wohl eher zu spät. Denn hat er die aktuelle Einbahnstraße von Boris Johnson durch seine intransigente Haltung, durch seine quälende Weigerung, auch nur ein Schrittchen auf Theresa May und ihr zugegeben wohl nicht gerade optimales Austrittsszenario zuzugehen, nicht selbst nach Kräften heraufbeschworen? Hätte er sich beizeiten besonnen, hätte der Brexit – freilich noch immer so unnötig wie ein Kropf – in einer nationalen Kraftanstrengung einer Koalition der Vernünftigen in geordneten Bahnen über die Bühne gehen können, womöglich auch zu vorteilhafteren Konditionen für das Vereinigte Königreich dank einer geeinten „Heimatfront“. Zumal sich beide über das Was ja wohl grundsätzlich einig waren. Stattdessen wird uns nun schon seit Monaten ein Lehrstück der besonderen Art, ein Schmierentheater gegeben, nämlich wie weit es kommt, wenn man persönlichen Eitelkeiten, ideologischer Halsstarrigkeit, politischer Kurzsichtigkeit und populistischer Rücksichtslosigkeit nicht rechtzeitig Einhalt gebietet. Zum Fremdschämen! Denn die Zeche zahlen mal wieder Hinz und Kunz …
PS, 25.09.2019: Weit gefehlt offenbar, Jeremy Corbyn und seine Labour Party können sich nach wie vor nicht zu einer eindeutigen Positionierung über den Brexit aufraffen. Das mag der allgemeinen Spaltung der britischen Gesellschaft geschuldet sein, als deren Spiegelbild die Partei quasi zu betrachten ist. Doch kann es sich eine große traditionsreiche und staatstragende Partei wie Labour angesichts der weiteren krisenhaften Zupitzung einer nicht nur nationalen Frage tatsächlich leisten, andauernd nur herumzulavieren? Gerade auch in diesem Augenblick, wo die Zwangsbeurlaubung des Parlaments durch eine wenig zimperliche Regierung von höchster juristischer Seite als unrechtens verworfen worden ist und also eine glaubwürdige Alternativposition aufgebaut werden müsste? Zweifel daran sind durchaus angebracht, wie auch ein Blick auf aktuelle demoskopische Werte anzuzeigen scheint. Eine größte Oppositionspartei hat in Entscheidungssituationen von historischer Tragweite ernsthafte Orientierung anzubieten, sonst hat sie ihren eigenen Anspruch, Korrektiv einer in diesem konkreten Falle noch dazu entschlossenen Exekutive zu sein, nachgerade verwirkt.
Schlagzeilen, in eigentümlicher Koinzidenz, aus meiner allgemeinen Hauspostille an einem x-beliebigen Donnerstag:
Physiker erweisen ihre gesellschaftspolitische Relevanz, indem sie Dynamiken des Hasses innerhalb rechtsextremer Neztwerke untersuchen und auch Gegenmaßnahmen entwerfen.
Rechtsextreme Netzwerke : Wie stoppt man den Hass?
Rechtsextreme Netzwerke stiften im Internet immer wieder zu blutigen Taten an. In einer neuen Studie untersuchen Physiker die Dynamiken des Hasses – und entwickeln vier Strategien dagegen.
Davon unabhängig gedenkt die Hessissche Landesregierung, ein Melderegister über Hass-Kommentare im Netz zu installieren; vielleicht, um die mutmaßlich sehr hohe Dunkelziffer solcherlei Äußerungen einmal publik zu machen.
Hass-Kommentare : Hessen geht gegen Hetze im Netz vor
Um Hass-Kommentare im Internet zu bekämpfen, will die hessische Landesregierung ein Meldesystem aufbauen. „Auch im Netz ist die Würde des Menschen zu wahren“, betont Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).
An sich aller Ehren wert, doch dürften dem ganz praktische Hürden im Wege stehen: Denn wer soll all die verborgenen Verbalentgleisungen eigentlich aufspüren und was geschieht hernach damit? Ganz abgesehen von einer allgemeingültigen und stichhaltigen Definition, was einen Hasskommentar eigentlich ausmacht. Und damit sind wir bei der eigentlichen Frage angelangt. Denn das Landgericht trat am selben Tag mit einem aufsehenerregenden Urteil hervor:
Hass-Posts gegen Renate Künast : Erlaubt ist alles
„Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Drecksau“ – solche und noch krassere Kommentare prasselten auf Renate Künast ein. Das Landgericht Berlin sieht darin keine persönliche Schmähung, sondern nur zulässige Sachkritik.
Zunächst ist ganz generell festzuhalten, daß eine unabhängige Justiz ein hohes Gut darstellt und unter allen Umständen zu verteidigen ist. Zudem sind alle vor dem Gesetz gleich und niemand kann ein Urteil so mir nix, dir nix bestellen. Denn wir Deutsche haben leidvolle Erfahrungn gemacht mit vorauseilendem Gehorsam in der Rechtsprechung. Und positiv hervorzuheben ist bspw. auch die Tendenz in der aktuellen Rechtsprechung, Raser, welche bei illegalen Autorennen den Tod unbeteiligter Dritter verschulden, neuerdings des Mordes anzuklagen. Hierbei ergingen bekanntlich auch die ersten Verurteilungen.
Außer Frage steht jedenfalls die außerordentliche Rolle der Rechtsprechung für ein gedeihliches MIteinander aller Bürger untereinander. Da nimmt es freilich umso mehr wunder, wie das besagte Landgericht zu Berlin gerade jenes Verhalten höchstrichterlich sanktioniert, welches die beiden zuvor genannten Akteure wirksam einzuhegen versuchen. Unsere politische Kultur ist seit dem Auftreten der blauen Deutsch-Alternativen und Ihrer Brüder und Schwestern im Geiste nachhaltig vergiftet. Und das Erschreckende daran ist weniger das, was tatsächlich angesprochen, sondern vielmehr, wie es ausgeprochen wird. Und wie rücksichtlos dabei mit dem politischen „Gegner“ umgegangen wird. Als ob es sich um einen Kampf auf Biegen und Brechen handele, welcher nur mit der völligen Niederlage des Kontrahenten enden könne. Carl Schmitt und Konsorten lassen grüßen. Aller Orten werden mittlerweile engagierte Kommunalpolitiker bedrocht und auch tätlich angegriffen. Im Juni diesen Jahres wurde gar der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke ermordet. Bisweilen scheint es, als ob hier systematisch ein Klima der Angst erzeugt werden solle. Derlei physischen Gewaltakten voraus geht dabei häufig ein verbales Trommelfeuer, das die Grenzen des bislang Sagbaren nach und nach, noch unmerklich zunächst, sprengt und den Diskurs nachhaltig verroht. Beinahe fühlt man sich an Weimar erinnert, an (rechte) Klassenjustiz gegen Demokraten und Linke. Und an die bekanntesten Opfer solcher medialer Hetze, Matthias Erzberger und Friedrich Ebert. Der eine bezahlte diesen Kampf gegen Beleidigung und Verleumdung direkt mit seinem Leben, der andere mit seiner Gesundheit.
Nun ist Berlin (noch?) nicht Weimar. Gleichwohl kann es einem ineressierten Zeitgenossen bisweilen angst und bang werden ob solcher Entscheide. Art. 1 GG in seinen Absätzen besagt bekanntlich:
(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.
(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.
(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.
Die Grenze dessen, was durch freie Meinungsäußerung gedeckt ist, sollte also durch die Würde eines jeden Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Überzeugung etc., eindeutig markiert sein. Doch diese wird hier bei weitem überspannt. Denn das Urteil jenes Landgerichts gegen Renate Künast stellt nichts anderes als einen Freibrief dar, überhaupt alles über alle und alles sagen zu dürfen. Denn beim besten Willen läßt sich wohl nicht bloß meines Erachtens nach in Äußerungen wie den obig zitierten keine zulässige Sachkritik mehr erkennen. Ganz im Gegenteil, bedeutet solch ein ignorantes Zu-Kreuze-Kriechen vor einer verabsolutierten Meinungsfreiheit letzten Endes nichts anderes als sehenden Auges die bürgerliche Ordnung aufzugeben.
Eine Pointe indes noch zum Schluß: Bekanntlich handelt es sich bei unserer Bundesrepublik ja um einen demokratischen Rechtsstaat, was, wie bereits erwähnt, auch besagt, daß vor dem Gesetz alle gleich sind. Wer oder was sollte künftig also einen Angeklagten, einen Verurteilten, einen Prozeßbeteiligten, einen Prozeßbeobachter, einen Kommentator oder schlichtweg Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller daran hindern, den zuständigen Richter als Person der Öffentlichkeit in zulässiger Sachkritik an seiner Verhandlungsführung oder seinem Urteil bspw. als „Hurensohn“ oder „olle Toppsau“ zu bezeichnen und zu bedrohen?
PS, 09.10.2019: Die Blindheit ist wohl weiter verbreitet als man denken sollte angesichts zahlreicher Parlamentarierinnen des Bundestags, welche laut einer Umfrage durch die ARD Opfer von „Hate Speech“ geworden sind. Hat Deutschland etwa ein Problem mit einer indifferenten oder misogynen Rechtsprechung, ist die Justiz in Berlin eventuell gar unterwandert von rechten Richtern?
PPS, 28.04.2020:
Der vorerst letzte Akt dieses Dramas: Künast gewinnt gegen rechten Blogger
… im Süßwarenregal und auf dem Couchtisch?
Die Autorin der Allgemeinen Zeitung schreibt dieser Tage in einem Artikel angesichts der Ankündigung eines sehr bekannten Süßwarenherstellers, diesen Monat Päckchen sortenreiner Goldbären ins Sortiment aufzunehmen, von einer Prozedur, die dem Schreiber dieser Zeilen bislang vollkommen fremd war:
„Egal ob auf dem Kindergeburtstag oder Jahre später zum Horrorfilm auf dem Sofa: Das Snackritual beim Gummibärchenessen bleibt zeitlebens gleich. Mit akribischer Sorgfalt werden die Gummibären erstmal nach Farben sortiert und je nach Vorlieben in einer bestimmten Reihenfolge vernascht. Die ungeliebte Sorte wird üblicherweise zuerst verputzt; es ist quasi ungeschriebenes Gesetz, sich die liebste Sorte für den Schluss aufzuheben. Der blinde Griff in die Tüte gilt in Liebhaberkreisen als Akt eines Seelenlosen – doch genau den will der Süßwarenhersteller seinen Fans künftig ermöglichen.“
Könnte es nicht sein, daß, wer am Couchtisch vor der Glotze oder auch am Eßtisch beim Hautgericht peinlich darauf bedacht ist, eine Vermischung von Beilagen oder auch bloß farblich verschiedenem Konfekt unter allen Umständen zu vermeiden, vermutlich auch in seinem Alltag und seinem Sozialverhalten häufig ein bornierter Zeitgenosse mit einem festgefügten wohlgeordneten Weltbild ist, der auch sonst ausschließlich mit Seinesgleichen Umgang pflegt? Ein Hoch jedenfalls auf die deutsche Süßwarenindustrie, die dem deutschen Spießer nun auch auf diesem bislang sträflichst vernachlässigten Gebiete verführerische Angebote macht.
Photographie © Piemont-Kirsche
Unter der Überschrift Der Verbots-Wahnsinn leitet der Kommentator der F.A.Z. seinen Text folgendermaßen ein:
Verbote spalten die Gesellschaft. Sie kennen nur Schwarz und Weiß. Sie passen nicht in eine bunte Welt.
Ist das Argument der angeblich unmöglichen Passung mit der sog. „bunten Welt“ nicht eher eine willkommene Ausrede einer pervertierten sich liberal gebenden Haltung – wohlsituiert in verkehrsberuhigten, friedhofsstillen Villenvierteln -, seine Hände bequem in den Schoß zu legen und nichts an seinem Gebaren in Frage zu stellen? Existieren durch ein allzu starres Festhalten an einem überkommenen verabsolutierten Freiheitsdogma nicht eher zu wenige Verbote (man denke bspw. an die Finanzwirtschaft, die Landwirtschaft, die Auto-Industrie bzw das Verkehrswesen im Allgemeinen, die Kultur-Industrie, die politsche Kultur, oder, im kleineren Maßstab, das Nachtleben)? Und bedroht solch eine nonchalant-egoistische Haltung nicht erst recht das, was sie zu schützen vorgibt, eben die viel zitierte „bunte Welt“? Stattdessen „anything goes“ und nach mir die Sintflut …
Ist er etwa um seinen guten Ruf in einer künftigen Geschichtsschreibung besorgt? Der plötzliche Aktionismus von Labour-Chef Jeremy Corbyn befremdet doch eher, wirkt unglaubwürdig und kommt wohl eher zu spät. Denn hat er die aktuelle Einbahnstraße von Boris Johnson durch seine intransigente Haltung, durch seine quälende Weigerung, auch nur ein Schrittchen auf Theresa May und ihr zugegeben wohl nicht gerade optimales Austrittsszenario zuzugehen, nicht selbst nach Kräften heraufbeschworen? Hätte er sich beizeiten besonnen, hätte der Brexit – freilich noch immer so unnötig wie ein Kropf – in einer nationalen Kraftanstrengung einer Koalition der Vernünftigen in geordneten Bahnen über die Bühne gehen können, womöglich auch zu vorteilhafteren Konditionen für das Vereinigte Königreich dank einer geeinten „Heimatfront“. Zumal sich beide über das Was ja wohl grundsätzlich einig waren. Stattdessen wird uns nun schon seit Monaten ein Lehrstück der besonderen Art, ein Schmierentheater, gegeben, nämlich wie weit es kommt, wenn man persönlichen Eitelkeiten, ideologischer Halsstarrigkeit, politischer Kurzsichtigkeit und populistischer Rücksichtslosigkeit nicht rechtzeitig Einhalt gebietet. Zum Fremdschämen! Denn die Zeche zahlen mal wieder Hinz und Kunz …
PS, 25.09.2019: Weit gefehlt, Jeremy Corbyn und seine Labour Party können sich nach wie vor nicht zu einer eindeutigen Positionierung zum Brexit aufraffen. Das mag der allgemeinen Spaltung der britischen Gesellschaft geschuldet sein, als deren Spiegelbild die Partei quasi zu betrachten ist. Doch kann es sich eine große traditionsreiche und staatstragende Partei wie Labour angesichts der weiteren krisenhaften Zupitzung einer nicht nur nationalen Frage tatsächlich leisten, andauernd nur herumzulavieren? Gerade auch in diesem Augenblick, wo die Zwangsbeurlaubung des Parlaments durch eine wenig zimperliche Regierung von höchster juristischer Seite als unrechtens verworfen worden ist und also eine glaubwürdige Alternativposition aufgebaut werden müsste? Zweifel daran scheinen durchaus angebracht, wie auch ein Blick auf aktuelle demoskopische Werte anzeigt. Eine größte Oppositionspartei hat in Entscheidungssituationen von historischer Tragweite ernsthafte Orientierung anzubieten, sonst hat sie ihren eigenen Anspruch, Korrektiv einer in diesem konkreten Falle noch dazu entschlossenen Exekutive zu sein, nachgerade verwirkt.
Ist es wirklich schon so spät?
Ist es fünf vor zwölf oder nicht doch eher schon fünf nach?
Wir stehen erst relativ am Beginn von kontinentalen Verteilungskämpfen angesichts von Gelben Westen, Bürgerkriegen oder Hunger- & Natur-Katastrophen und Raubbau – zugunsten unseres Wegwerf-Konsums – rund um den Globus. Wir vermüllen und verschmutzen und verböllern, was wir nur können. (Und Nationalismus und Popelismus feiern allerorten fröhlich Urständ, derweil Europa auseinanderdriftet.) Und das alles vor dem Hintergrund des sich immer deutlicher bemerkbar machenden Klimawandels. Der freilich als kaum mehr zu beherrschende Hypothek künftigen Generationen aufgebürdet wird, da wir uns lieber in bequemlicher Ignoranz üben. Doch wie sollen nachgeborene Geschlechter diese Kraftanstrengung einer radikalen Änderung unserer Lebens- und Wirtschaftsweise durch harte Einschnitte vollbringen und gleichzeitig den Zusammenhalt, nicht nur nach innen, sondern über Grenzen hinweg, sichern und stärken, wenn, was ihnen (medial) vorgelebt wird, bereits jetzt nichts anderes als Vergnügungsmaximierung, Egoismus und Rücksichtslosigkeit, Hass und das Recht des Stärkeren ist? Eine gründliche Rehumanisierung tut not …
Hugh, Gutmensch Kassandra hat gesprochen. Aber vielleicht kommt auch alles ganz anders. Und wir besinnen uns und gehen unvoreingenommen aufeinander zu und beginnen neu von ganz unten – Willkommen 2019!
Laut einer kürzlich veröffentlichten Forsa-Umfrage für das RTL/ntv-Trendbarometer spricht sich eine deutliche Mehrheit der Deutschen gegen eine Kurskorrektur der CDU unter einem/einer neu gewählten Vorsitzenden aus. Demnach begrüßten beinahe zwei Drittel (63 %) aller Befragten (warum fragt eigentlich niemals einer mich?) den Schwenk der Christdemokraten in die Mitte. Aber auch wenn im Folgenden versucht wird, dies mit dem Argument zu untermauern, die Partei habe unter Helmut Kohl – also zu Zeiten, wo (nicht nur) die konservative Welt noch in Ordnung war, – ja mehr Wähler verloren als unter Angela Merkel, seien an dieser Meinung doch Zweifel angebracht. Und zwar aus zwei Gründen. Denn bleibt mit einem einseitigen Fokus auf die Mitte das Feld rechts der Union nicht unweigerlich unbesetzt? Gäbe man damit nicht die rechte Flanke kampflos preis? Dort könnten sich dann nämlich die chronisch politisch-inkorrekten Radikal-Alternativen dauerhaft einrichten. Denn es ist wohl nicht anzunehmen, daß die AfD nur deshalb verschwindet, weil das Symbol einer ihr verhassten Politik, Angela Merkel, irgendwann in näherer Zukunft abtritt. Die Folgen dieser Politik sind ja vielmehr auch nach Ende dieser Ära aller Orten zu spüren. (Um etwaigen Mißverständnissen vorzubeugen, dies ist wohl gemerkt keine Kritik an der Merkelschen Entscheidung zur Grenzöffnung vom Sommer 2015!). Im Übrigen selbst kein CDU-Wähler, war der Schreiber dieser Zeilen bspw. auch enttäuscht von ihrer Abkehr von der Wehrpflicht oder ihrer Zustimmung zur Homo-Ehe.
Auf der anderen Seite des politischen Spektrums gewänne dagegen die SPD u. U. wieder etwas Luft zum Atmen und politischen Überleben als (kleine) Volkspartei, verträte die CDU wieder konservativere Positionen (gelt, Langnese! ;-)). Andernfalls droht sie nämlich zwischen CDU und AfD auf der einen, Grünen und Linken auf der anderen Seite zerrieben zu werden. Und ob das für die politische Kultur in unserem Lande, welche in den letzten Monaten und Jahren ohnehin bereits merklich gelitten hat, auf Dauer so förderlich ist, wage ich doch zu bezweifeln.
Mag sein, daß die Sozialdemokraten handwerkliche Fehler begingen in Personal- wie Sachfragen (dieses ständige Abarbeiten an vergangenen Hartz-IV-Schlachten zeugt jedenfalls nicht gerade von Zukunftsgewissheit ebenso wenig wie das ständige Schrauben allein an der Rente), das Thema Soziale Gerechtigkeit bleibt jedenfalls nach wie vor akut. Angesichts der Tatsache, daß in einem hochindustrialisierten und vermeintlich kultivierten („das Land der Dichter und Denker“) Land wie Deutschland vergleichsweise kaum Bildungsgerechtigkeit herrscht, wie eine aktuelle OECD-Studie belegt, könnten die Genossen doch bspw. einmal ihr (schul-)bildungspolitisches Profil jenseits diverser Gemeinschaftsschulphantasie(-losigkeit)en und allein wahltaktisch motivierter Versprechungen von zusätzlichen Lehrerstellen schärfen. Und dies auch mit Blick auf die teils allzu fetischisierte Digitalisierung der Schule. Und da ein jeder gerade ohnehin von der (eben nicht bloß Segen spendenden) digitalisierten Welt schwadroniert, könnte sich die SPD der Aufgabe widmen, diesen gerade vor sich gehenden Strukturwandel aktiv sozial-verträglich mitzugestalten. Und da heutzutage sowieso alles mit allem zusammenhängt und alles politisch ist, ließen sich Bildung und Strukturwandel bestens in den größeren Rahmen einer Raum- und Infrastrukturpolitik einpassen, die für genügend bezahlbaren Wohnraum, sozial-kulturelle (es braucht ja nicht immer gleich eine Elb-Philharmonie zu sein!) und gesundheitliche Grundversorgung vor Ort und zuverlässige und realistische kollektive Mobilität von morgen (bitte kein neuerliches Stuttgart 21- oder BER-Fiasko!) sorgt. Das mag zunächst vielleicht politisch naiv klingen, und wahrscheinlich tauchen diese Fragen auch allesamt in einschlägigen Papieren der SPD auf (ich gebe zu, ich bin auch kein passionierter Leser von Parteiprogrammen). Doch dann müssen solche Themen auch entsprechend prominent besetzt, verlinkt und propagiert werden. Ob das allerdings in Regierungsverantwortung erfolgreich geleistet werden kann, scheint derzeit doch mit einem großen Fragezeichen versehen zu sein.
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