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Der neue Volkssport …

oder etwa der Ausbruch einer neuen Volkskrankheit, gar Epidemie, hoch ansteckend,

nicht nur für Polit-Deutschland?

Die Rücktritteritis

heute:

Jürgen „Klinsi“ Klinsmann, denn Abstiegskampf ist nicht jeden Sonnyboys Sache,

dicht gefolgt von:

Reinhard Kardinal Marx, denn es menschelet auch in der kirchlichen Hierarchie gewaltig.

Wer wird der oder die Nächste sein?  Wetten werden angenommen, machen Sie Ihr Spiel!

Bewegte Zeiten, darinnen wir leben.

Ach, waren das noch herrliche Zeiten, als noch ein Mann wie er, sie, es und ich sich ein Herze nahm und – trotz Rüggen, Kreislauf, Füße und manchmal Gedächtnis – selbstlos und ehrlich verkündete: „Isch kandidiere“.

ars gratia artis?

Oder der musische Zweck heiligt die pekuniären Mittel.

Zugegeben, der Schreiber dieser Zeilen weiß nicht um die finanzielle Lage seiner Landeshauptstadt. Aber wieso soll es Stuttgart anders ergehen als vergleichbaren Städten? (Auch wenn der Motor-City dank Daimler, Porsche & Co manche Steuergelder extra zufließen.) Durch die Kessellage ist der Bauplatz naturräumlich beschränkt. In Verbindung mit vergleichsweise hohen Löhnen und Gehältern treibt das die Mieten. Die sich viel zu viele dann doch kaum leisten können. Und dorten sind Straßen und Brücken in Teilen vermutlich ähnlich marode. Ganz zu schweigen von öffentlichen Gebäuden, insbesondere Schulen. Und wahrscheinlich wird dort auch mehr als genug verdienstvollen sozialen oder auch basisdemokratischen Initiativen bzw. alternativen Kunstprojekten die Unterstützung zusammengestrichen.

Demzufolge läßt sich fragen, inwieweit es sich heutzutage noch rechtfertigen läßt, bis zu eine Milliarde (!) Euro zur Sanierung der hiesigen Oper aufzuwenden. Ein paar Nummern kleiner ging es etwa nicht? Oder mag man auf gar keinen Fall auf Carrara-Marmor, Gold und Elfenbein verzichten? Oder ist das allfällige Bestechungsgeld hier bereits eingepreist? Der Neubau der Elbphilharmonie zu Hamburg nimmt sich dagegen mit rund 860 Mio. Euro beinah wie ein Schnäppchen aus.

Man liest nun, der Einbau einer modernen Kreuzbühne ermögliche raschere Wechsel des Bühnenbildes. Und man hört nun, das weltbekannte Ballett erhalte damit eine angemessene Heimstatt. Doch welchen Nutzen haben Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher auf dem platten Lande schließlich von einem gekünstelten Gehüpfe vor variabler Kulisse eines generalsanierten Dreispartenhauses für die obere Mittelschicht an aufwärts? Denn das Land und die Stadt teilen sich die Kosten des zu erwartenden Milliardengrabs dieses Schaufensters. Aber Stuttgart hat ja Erfahrung mit bodenlosen Löchern.

Damit wir uns richtig verstehen.: gerade in Zeiten einer vielfach beschriebenen Unsicherheit und Orientierungslosigkeit, einer vielfach konstatierten Verrohung des Umgangs und einer besorgniserregenden Vergiftung des Diskurses ist die Darbietung von Kunst – und hierunter zählt der Verfasser selbstverständlich auch das Tanztheater – als Reflex einer tiefenpsychologischen Verfassung der Gesellschaft und deren etwaiger Korrektur wichtiger denn je. Doch die Frage bleibt: wie exklusiv und um welchen Preis?

PS, 14.11.2019: Berlin kontert derweil künstlerisch mit dem millionenschweren Ent-Wurf des modernen Scheunentores! Wo man sich auch umschaut, überall Pleiten, Pech und Pannen …

Alternative mit den Alternativen?

Wie der Schreiber dieser Zeilen am vergangenen Sonntag die Live-Übertragung aus dem ARD-Wahlstudio in Erfurt bis kurz nach der ersten Hochrechnung verfolgte  (hernach wechselte er zum Liveticker seiner Hauspostille über), war er doch etwas verwundert ob der beinah schon ignorant zu nennenden Nichtbeachtung einer rechnerisch sich durchaus anbietenden blau-schwarz-gelben Dreier-Koalition, welche er für gar nicht so abwegig hält, denn für ihn sind weder gewisse Kreise der CDU noch der Effdepe über alle Zweifel erhaben (daß ein solches Bündnis keineswegs wünschenswert ist, steht natürlich auf einem ganz anderen Blatt).

Wenn die CDU-Führung ein etwaiges Bündnis mit der Linken kategorisch ausschließen meint zu müssen, da der Partei sonst eine Zerreißprobe drohe, bedeutet das im Umkehrschluß dann unter Umständen nicht auch, daß die Berührungsängste mit der AfD plötzlich nicht mehr so  schwer wiegen? Wollte der Spitzenkandidat der CDU in Thüringen, Mike Mohring, anfangs noch aus reiner Verantwortung für das Land auf die Linke zugehen, scheint ihm nun in Berlin bedeutet worden zu sein, daß die Loyalität zur Partei, siehe oben, eben schwerer wiege (Bei einem Wähleranteil von 31% kann man, auch wenn dieses Resultat zu einem Gutteil den charismatisch-pragmatischen Landesvater-Qualitäten des Bodo Ramelow geschuldet sein mag, indes wohl nicht mehr von einer ausgesprochen linken Wählerschaft ausgehen. Die Linke scheint dorten vielmehr in der Mitte angekommen zu sein, vergleichbar eventuell den Grünen in Ba-Wü mit einem ähnlich sich gebenden Ministerpräsidenten).

Erweist sich aus dieser Perspektive also die AfD plötzlich als das kleinere Übel? Oder warum votiert sein Fraktionsvize bereits offen für einen „Bürgerblock“? Sehen nun manche Altvordere in der Union und deren junge Parteigänger etwa die Gelegenheit endlich gekommen, den vermeintlichen Linksruck der Partei von der ostdeutschen Provinz aus zu korrigieren? Lähmende Hysterie scheint momentan jedenfalls weiter um sich zu greifen und nervöse Selbstbespiegelung, länger schon bei der Sozialdemokratie, neuerdings also auch bei den Christdemokraten. Das Scharren und Murren bei manchen Herren ist deutlich zu vernehmen. Könnten angesichts dessen vielleicht manche lokale Parteistrategen nicht ihre Chance wittern, Entscheidungen der Berliner Parteizentrale schlichtweg zu ignorieren, um eigene Absprachen mit der AfD zu treffen? Früher oder später wird wohl jemand aus purem persönlichen Machtkalkül das Tabu brechen. Oder aber aus blanker Not, wenn schon die versammelten ehemals Bonner Parteien keine eigene Mehrheit mehr auf sich vereinen können, und damit gar hinter die bisherige rot-rot-grüne Koalition zurückfallen. Das aber verheißt nichts Gutes.

PS, 15.12.2019: Und neuerdings sind offenbar gar Schwarze Sonnen in Kreis-CDU-Kreisen (Anhalt-Bitterfeld, S-A) gesellschaftsfähig …

Steinerne Zeugen

Ja, die letzten Zeitzeugen auf beiden Seiten – Angreifer oder Verteidiger, Täter oder Opfer – sterben alsbald hinweg. Und damit vermag bald niemand mehr Zeugnis zu geben von Diktatur, Krieg, Zusammenbruch und Holocaust. Aktive Erinnerung an Geschichte, aus erster Hand quasi, verschwindet von selbst. Eine Herausforderung an die Zivil-Gesellschaft wie die Politik, wie man die Erinnerungskultur künftig verantwortlich zu gestalten hat, jenseits wohlfeiler Betroffenheitsrituale in luftigen Sonntagsreden, auf daß auch der Alltag davon durchdrungen sein möge.

Auf einem ganz anderen Gebiet pflegt man hingegen einen bisweilen wenig zimperlichen Umgang mit Zeugenschaft. Die Rede ist vom Städtebau resp. Denkmalschutz, oder genauer: die Frage nach der Rekonstruktion zerstörter, historischer Bausubstanz – steinerne Zeugen gleichsam der Wirrnisse der Zeiten. Ganze Städte sind nach ihrer zunehmenden Zerstörung im Bombenkrieg ab etwa 1942 bekanntlich bis zur ihrer Unkenntlichkeit wiederaufgebaut worden, man denke dabei bspw. an Heilbronn oder Pforzheim. (In meiner eigenen Geburtsstadt Freiburg verschwanden die letzten Trümmergrundstücke, bis dato als Parkplätze genutzt, im Übrigen erst bis Mitte/Ende der 1980er Jahre.) Manche Ruinen freilich, singuläre Gebäude von hohem symbolischen Wert, häufig auch Gotteshäuser, Mahnmale des Schicksals ihrer Stadt, blieben dagegen lange unbehelligt. So zum Beispiel die Frauenkirche in Dresden. Deren historisierende Rekonstruktion (1994-2005) erfüllte den Schreiber dieser Zeilen bisweilen mit Bauchgrimmen.

Die Frauenkirche zu Dresden

Natürlich wäre es eine konsvervatorische Herausforderung geworden, eine Ruine dauerhaft (begehbar?) zu erhalten und hierbei insbesondere die Sicherheit für Besucher und Passanten zu gewährleisten. Gleichwohl begab man sich damit der einmaligen Gelegenheit, ein Fragezeichen, einen mahnenden Zeigefinger, ein originales Denk-mal! für die Nachwelt zu bewahren, einen Gedenk-Ort zu schaffen um einen Torso, dem im Februar 1945 eben jenes Schicksal widerfuhr, wogegen sich die Mahnung richtet. Stattdessen tilgte man die Zerstörung, damit aber auch die mahnende Erinnerung daran, ein für alle Mal aus dem Stadtbild, so als ob nie etwas geschehen wäre. Und das bloß um der Vereinheitlichung und Harmonisierung, der Überzuckerung des Stadtbildes willen. Die feierliche Weihe fand dann im Oktober 2005 statt.

Das ist nun mittlerweile auch wieder dreizehn Jahre her. Doch auch andernorts in unserer Berliner Republik bricht sich derzeit im Umgang mit historischer Bausubstanz eine bedenkliche, weil homogenisierend-verklärende Geschichtsvergessenheit Bahn. Dem Dresdner Wiederaufbau kann man ja immerhin zugutehalten, daß hier auf noch existente originale Reste aufgebaut worden ist. Vor allem aber ist das historische Ensemble wenig vorbelastet durch die reichsdeutsche Vergangenheit. Davon kann andernorts nun allerdings keineswegs die Rede sein. Ganz im Gegenteil, hie und da scheint eher der preußisch-deutsche Militärgeist fröhlich Urständ zu feiern. Der Bund und das notorisch klamme und in Planungsfragen übel beleumundete Land Berlin (Stichwort „BER“) leisten sich für über eine halbe Milliarde Euro den Wiederaufbau des barock-klassizistischen (Stadt-)Schlosses der Hohenzollern. Just an der Stelle also, wo von 1976-2006 das Vorzeige-Objekt der Ost-Berliner Genossen, der Palast der Republik, auf dem weitläufigen Gelände des Originalbaues stand.

Der künftige Schloßplatz zu Berlin – © Sandy Lunitz

Und nur wenige Kilometer in südwestlicher Richtung entfernt, wird gerade das Zentrum Potsdams dem Erdboden gleichgemacht. Funktionsbauten aus den 1960/70er Jahren  im Stile des zeitgenössischen Brutalismus (u. a. ein Rechenzentrum oder Gebäude der hiesigen FH) müssen n. a. dem Wiederaufbau der Garnisonskirche weichen, zunächst offenbar nur des Glockenturms; dem aber das Kirchenschiff wohl unweigerlich folgen wird. So als ob im Westen niemals ähnlich unterkühlte und deshalb gerade realistische, zeit-adäquate und also eigentlich erhaltenswerte Gebäudekomplexe errichtet worden wären. Hat denn das architektonische Erbe der DDR absolut keine Daseinsberechtigung, sind denn die materiellen Hinterlassenschaften des anderen deutschen Staates jenseits von SED-Diktatur und Stasi-Verfolgung automatisch weniger wert? Ein nachgeholter Abrechnungsfuror gleichsam gegen die vermeintlich steingewordene Ideologie des im Wettstreit der Gesellschaftssysteme unterlegenen Gegners von einst. Bei oberflächlicher Betrachtung wird hier also durch Steuergelder ein weiterer barockisierender Prachtbau errichtet, in dessen Glanz und Gloria sich die neureichen Promi-Neubürger der ehemaligen Residenzstadt zu sonnen und lustwandeln gedenken. Doch angesichts der Vergangenheit dieses Kirchenbaus als DAS Symbol der unseligen Symbiose aus etatistischem deutschen Protestantismus und preußisch-deutschem, nationalen Machtstaat, kulminierend im Tag von Potsdam (21.03.1933), scheint die Frage mehr als berechtigt, welcher Geist hier tatsächlich am Wirken ist.

Modell des Turmes der (neuen) Garnisonskirche zu Potsdam

Man kann solcherlei Bau-Projekte vorwärts in die Vergangenheit noch so wohlmeinend erinnerungspolitisch und geschichtsdidaktisch begleiten; allein daß sie heutzutage gedacht, geplant, schließlich dann (in Teilen zumindest) mehrheitsfähig und also errichtet werden können, sagt doch einiges über die Befindlichkeiten unserer Gesellschaft, unserer politischen Kultur aus. Einerseits weitverbreitete Schlußstrich-Mentalität, andererseits Sehnsucht nach ornamentaler (oder gar imperialer?) Größe und oberflächlichem Glanz, nach kitschiger Kulisse und barocker Betäubung. Revisionismus und Populismus scheinen mithin im Zentrum unserer Städte, in der Mitte unserer Gesellschaft angekommen zu sein. Und die AfD ist nur e i n Symptom hiervon.

Wie ich vorigen Monat mit einem alten Freund durch Hamburg streifte, fragten wir uns immer wieder, was denn das für ein Turm sei, der alles andere überragend aus der Silhouette der Stadt hervorsticht, dabei aber seltsam düster und trostlos wirkt. Es handelt sich um den Turm der ehemaligen, neogotischen Hauptkirche der alten Hansestadt, St. Nikolai, – mit 147 m einstmals das höchste Gebäude der Welt. Dieser trotzte dem Feuersturm der Flächenbombardements auf Hamburg im Juli/August 1943.

Der Turm-Torso der ehemaligen Hauptkirche St.-Nikolai inmitten einer scheinbar gerade erst geräumten Trümmerlandschaft – © LuxOr, 07.18

Politik und Kirche fällten dann die für die quietistischen, fortschrittsgläubigen und wirtschaftswunderbeseelten 1950/60er Jahre bemerkenswert weitsichtige Entscheidung, den Turm-Torso als Mahnmal der Nachwelt zu erhalten. Auch wenn er dann im Anschluß erst einmal – jahrzehntelang vernachlässigt – zusehends verfiel. Bis  Ende der 1980er Jahre auf private Initiative hin durch Spenden wieder Bewegung in die Angelegenheit kam. Der Turm konnte gesichert (und bis Anfang diesen Jahres erneut aufwändig saniert) werden, und auf halber Höhe wurde eine Aussichtsplattform samt Außenlift installiert. Verschiedene Exponate – ein Mosaik und Skulpturen – laden künstlerisch zur Reflexion und Kontemplation ein. In der Krypta schließlich wurde ein Informationszentrum samt Dauerausstellung zum Bombenkrieg auf Hamburg eingerichtet. Historische Bauten – Ruinen zumal, auch vermeintlich häßlich-ungestaltes – sprechen zu uns in ihrer ganz eigenen Sprache. Man muß nur den Willen aufbringen, zu hören …

Beyond the Definite oder die Erfahrung eines Meisterwerks

HAL

Damals in Berlin, im Jahre 2001, ein früher Sonntagnachmittag, Frühling; ein riesiger, leicht geschwungener Saal, doch fast leer, eine kleine Schar nur verliert sich im weiten Raum, Eingeweihte vielleicht oder auch Novizen, eine riesige Leinwand, die dadurch nochmal so groß wirkt; Richard Straußens Sonnenaufgang („Also sprach Zarathustra“), Affen in Afrika, ein Monolith, ein Knochen, ein Schnitt, das Universum, eine Mission, HAL, das Sternenkind;  keine Ablenkung durch exaltierte, omnipräsente Schauspieler, kaum Dialog, volle Konzentration auf das Geschehen, auf die Geschichte (welche Geschichte?!), auf mannigfaltige Klanglandschaften, auf rasend bunte, phantastische Bilderwelten („Jupiter and Beyond the Infinite“); keine klassische, strukturierte Narration, kein angespanntes Mitfiebern, kein bewußtes Verstehen, bloß sprachloses Staunen, bloß gebanntes Schauen und Lauschen, bloß ahnendes Fühlen, ein unwiderstehlicher Sog, eine Berückung, ein Hineinversinken  – Beyond the Definite: Kubricks 2001: A Space Odyssey!