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Über Zivilisation(en)

Waren die schon viel zu langen zwölf der phantasierten ewigen tausend Jahre denn tatsächlich ein „Zivilisationsbruch„(D. Diner)? Der Firniß der Zivilisation ist dünn. Wo steht denn geschrieben, daß Zivilisation, trotz des berühmten und viel-beschworenen „Zivilisationsprozesses“ (N. Elias), stets progressiv voranschreitet? Und dabei den Menschen zwangsläufig und irreversibel zu einem besseren, weil kooperativ-solidarischen, friedliebenden Wesen macht, der seine atavistischen Affekte unter Kontrolle hält? (Am Ende läuft es jedenfalls auf die Frage nach dem jeweiligen Menschenbild hinaus.) Ist der NS-Verfolgungswahn, der Holocaust nicht vielmehr Vollzug (ein radikaler allerdings) einer ab dem Ende des 18. Jahrhundert etwa ohnehin allerorten in Mode kommenden „Bio-Macht“ (M. Foucault) über das Leben? Ist Auschwitz nicht vielmehr die auf die Spitze getriebene technisch-funktionale Ratio, ein jeder Zivilisation ab einem bestimmten Grad notwendig eingeschrieben und also im Grunde jederzeit und überall wiederholbar? Nicht die Monstrosität unterscheidet also die NS-Verbrechen von ähnlichem Geschehen, von Gewaltexzessen insbesondere im 20. Jh., sondern „einzig“ ihre technische Perfektion. Aber das ist gerade das Signum unseres Zeitalters der Moderne.

 

PS; 11.05.2020: Und wer mag denn dieser Tage noch mit Fug und Recht behaupten, daß wir in einer Zeit der verfeinerten Sitten, in einer Zeit der allgemeinen Gesittung leben?