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Nach-Krieg und Vor-Krieg oder vom politischen Anstand

Seit gestern Abend ist die Nachkriegszeit in der Bundesrepublik endgültig vorüber. Und der Vorkrieg hat begonnen. Denn der längst tot geglaubte deutsche Militarismus feiert fröhlich Urständ und wird gar wieder parlaments-salonfähig. Oder wie ist A. Gaulands Diktum, Deutsche können, wenn nicht gleich sollen, auf die Leistungen deutscher Soldaten in beiden Weltkriegen stolz sein, anders zu verstehen? Was daran freilich vorbildhaft für die heutige Zeit und zukunftsleitend sein soll, fehlt mir entschieden die Phantasie dazu.
Eine solche Haltung markiert freilich bloß den vorläufigen Höhepunkt einer länger schon zu beobachtenden Entwicklung. Ähnliche andere Symptome lassen sich anführen. So häufen sich bspw. die Berichte über Gaffer, die am Leid von Unfallopfern ihre Sensationsgier befriedigen und sich offenbar nicht entblöden, gar noch zu photographieren oder zu filmen, um dies Spektakel hernach öffentlichkeitswirksam zu teilen: „Mein erster Toter, boah ey!!!“. Und als ob das nicht schon genug wäre, werden neuerdings auch Rettungskräfte, Sanitäter und Feuerwehrleute, bei ihrer an sich schon nicht ungefährlichen Arbeit auch noch behindert, teils gar angegriffen. Auf der medialen Ebene wiederum werden mehr oder weniger beschränkte Kandidaten in unterschiedlichen Casting-Formaten und Doku-Soaps – da sucht der Superstar das Topmodel und tauscht die Frau im Dschungelcamp des Big Brother – öffentlich vorgeführt und gedemütigt, zur Belustigung des johlenden TV-Prekariats. Und aus der Tiefe des Internets nach oben gespült, kursiert blanker Haß mittlerweile ganz offen in Mails, Tweets oder Briefen an sozial exponierte Vertreter aus der Welt der Medien, der Kirchen oder an jegliche andere engagierte Zeitgenossen.
Eine Verrohung der Gesellschaft macht sich mithin breit. Und eben nicht nur (scheinbar?) Zu-kurz-Gekommene, sondern auch solche bloß ohne Kinderstube scharen sich daher nun im Asyl für Derangierte, kurz AfD genannt, – die späte Rache Honeckers für Kohls manchester-kapitalistische Übernahme der verblichenen DDR -, um Opi Gauland und Onkel Höcki. Deren Vorhut marschiert nun tatsächlich in den Bundestag ein. Die Jagdsaison ist auch bereits eröffnet, getreu der alten Maxime „Block, nicht Brei“ (Ab-Spaltungen sind da bekanntlich eher förderlich, weil es hernach die Reihen enger schließt). Und der Feind, siehe oben, ist auch längst schon ausgemacht. Da bringen sich „wir“ in Stellung gegen „die“, welche man dann beispielsweise kurzerhand in Anatolien – warum nicht gleich in Oberschlesien? – zu „entsorgen“ gedenkt. Und die Mitte (und der Rest) beschimpft sich nun gegenseitig. Oder schmollt. Oder unkt. Oder stellt Forderungen. Oder entdeckt urplötzlich die Sozialpolitik als entscheidendes Wahlkampfthema für sich. Oder hat sich schlicht nichts vorzuwerfen. Aber Geschichte wiederholt sich nicht, oder doch?

Staatstragend!

Was längst schon zu ahnen war, ist Sonntagabend zur Gewißheit geworden: der Drops ist geschlotzt, die Wahl ist entschieden. Dieses staatstragende Miteinander genannt TV-Duell dümpelte allzu belang- und lustlos vor sich hin. Es fehlte das Salz in der Suppe, die Diskussion (welche Diskussion?) blieb allzu sehr im Ungefähren stecken, ohne jede positive Zuspitzung, ohne jede gesunde Polarisierung. Woran freilich auch das vierköpfige Moderatorenteam gehörigen Anteil hatte. Denn außenpolitische Fragen und Probleme mögen zwar durchaus spannend sein, zumal in bewegten Zeiten wie diesen, beeinflussen den gemeinen Bürger wie Dich und meiner einer jedoch allenfalls mittelbar. Wohnung und Miete, Rente, Flüchtlingsintegration, innere Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, … – all das, was Lieschen Müller oder Ludwig Piffl tagtäglich bewegt, kam schlichtweg nicht vor. Auch wenn es dem wahlkämpfenden Gast angesichts falscher Fragen (in welcher Realität leben TV-Journalisten resp. –Moderaten eigentlich?) natürlich freisteht, eigene Akzente zu setzen. Doch darauf verzichtete der Herausforderer wohl in einem Anflug von präsidialer Anständigkeit (oder war es doch eher politische Naivität resp. außenpolitische Verliebtheit, was ihn bereitwillig über das hingehaltene dementsprechende Stöckchen springen ließ? Oder traute er sich wahl-programmatisch an diesem Abend schon nicht mehr selbst recht übern Weg, weshalb er eben Zuflucht nahm zu seinem eigentlichen Steckenpferd, eben der Außenpolitik?). Überhaupt blieb vom roten Kandidaten eigentlich bloß sein überkorrekter, unwilliger Konjunktiv in Erinnerung). So bleibt allenfalls der schale Nachgeschmack, daß auch Moderaten qua Fragen-Auswahl und -Anordnung Wahlhilfe leisten können zugunsten der Amtsinhaberin.

Bundes-Angie durfte sich folglich an der Internationalität ihres Telephonnummern-Verzeichnisses berauschen, was offenbar auch völlig ausreichte als Nachweis ihrer Kompetenz. Schulzens Martin gefiel sich derweil in populärem Trumpeltier-Bashing und fiel ansonsten bloß dadurch auf, daß er Recep Rindawahn demonstrativ die Türe zuschlug, was bei der anschließenden willigen Sezier-Runde zwar als Paukenschlag verkauft wurde, nach den Entwicklungen der letzten Zeit freilich auch nicht recht mehr überraschen konnte, wollte man sich nicht ständig vorführen lassen. Damit allerdings noch irgendwelche unentschlossene Wahlberechtigte für die Roten mobilisieren zu können, scheint doch eher Wunschdenken zu sein.

Die Sozialdemokratie droht daher nun eher an der 20%-Marke zu scheitern, was in historischer Perspektive eine Katastrophe für das ganze Land wäre. Und somit spielte dieser Abend des lockeren Geplauders in Einigkeit einzig einem Kontrahenten, welcher gar nicht mit am Tisch saß, äh stand, in die Hände – den Deutschtumsaffen von der AfD nämlich. Deren allzu vielköpfigen Einzug in den Bundestag durch eine hohe Wahlbeteiligung und ein überlegtes Votum möglichst klein zu halten, ist nun erste Bürgerpflicht – und wahrhaft staatstragend!