Schlagwort-Archive: Umweltzerstörung

Mein Freund, der Baum …

Ehedem erblickte ich von meinem Balkon aus ein stolzes, weil widerständiges Laub-Bäumchen. Am Rande des Grundstücks gelegen, nah an einer Böschung sich erhebend, vis-à-vis des Funktionsbaues einer kleinen Werft, spendete es Schatten und bot wohl manchen Vogelfamilien ein Heim. Doch eines schönen Morgens wurde ich von ohrenbetäubendem Lärm geweckt; einem Überfallkommando gleich, rückte doch tatsächlich ein Baumfälltrupp an und sägte besagtes Bäumchen kurzerhand ab. Der darüberliegenden Ferienwohnung nahm es angeblich zu viel Licht und seine Äste trieben angeblich allzu raumgreifend. Daher senkte die Hausgemeinschaft den Daumen. Erwogen die Eigentümer denn nicht die Möglichkeit, das wackere Bäumchen beizeiten zurechtzustutzen, um diese grüne Mikro-Lunge weiter zu erhalten? Wie dem auch sei, und welche (vermeintlich) objektiven Gründe dem auch entgegenstanden: Dieser Baumfrevel, wie manch anderer auch, erzürnt den Schreiber dieser Zeilen jedenfalls bis heute. (Auch wenn es natürlich sein kann, daß der vorvergangene Dürre-Sommer Achtzehn unserem Bäumchen ohnehin den Garaus gemacht haben würde.) Dies sind nun die kläglichen Überreste des kleinen Biotops, bloßes Gestrüpp kaschiert kaum einen bemitleidenswerten Torso …

Szenenwechsel, einige wenige hundert Meter Luftlinie gen Osten in den nächsten Ortsteil.

Ein strammes Nadel-Bäumchen, frisch gepflanzt, in unmittelbarer Nachbarschaft eines immerhin schmucken Baumstumpfs, wartet ungeduldig darauf, luftige Höhen erklimmen zu können und über das Ufer zu wachen als weithin sichtbarer Solitär. Die Hoffnung bleibt …

Photographie © LuxOr

Auslöschung

Schlimm genug, daß der Mensch große Säugetiere, aber auch Insekten und Pflanzen zum Aussterben bringt. (Insbesondere die Konsequenz eines Verschwindens der Letzteren ist dabei noch kaum im allgemeinen Bewußstein angelangt.) Darüber etwas aus dem Blick gerät bisweilen, daß der Mensch auch dem Menschen selbst der größte Feind ist. Und dabei soll hier nicht vom homo suicidalis, der seine Umwelt vollends zerstört, die Rede sein. Oder von genozidalen Gewaltexzessen vergangener Epochen, begangen an den First Nations, den Aborigines, den Ureinwohnern Nord- und Südamerikas oder Ozeaniens, an den Herero und Nama in Deutsch-Südwest, den Armeniern im Osmanischen Reich oder der Shoa. Auch nicht von den Massenmorden neueren Datums an den Tutsi in Rwanda oder den ethnischen Säuberungen auf dem Balkan. Oder von den systematischen Vertreibungen der Rohingya in/aus Myanmar.

Nein, heutzutage geht ein solcher Prozeß bisweilen deutlich geräuscharmer vonstatten, zumal wenn es sich um kleine bis kleinste Völkerschaften oder Stämme handelt, die keinen Staat samt Administration in unserem Sinne bilden und auch anderwärtig über kaum eine Lobby verfügen. Indigene Völker in vermeintlich abgeschiedenen Weltecken, in schwer zugänglichen, aber teils rohstoffreichen (natürlich!) Regionen der Erde; diese fallen noch immer partikularen Interessen von Repräsentanten der herrschenden Mehrheitsbevölkerung zum Opfer, insbesondere in den noch existenten Urwaldsystemen in Südamerika oder Südostasien. Solch ein trostloses Schicksal rückt exemplarisch ein neuer Dokumentarfilm über die Piripkura im brasilianischen Regenwald in den Fokus. Von diesem Volkstamm sind noch drei Angehörige übrig, von denen zwei, Onkel und Neffe, nach traditioneller Art als Jäger und Sammler im Wald untertauchen, während die letzte Frau, bereits „domestiziert“, in einer Art Sozialstation lebt. Das Ende läßt sich in diesem speziellen Falle unschwer ausmalen, denn nach dem bald zu erwartenden Ableben dieser letzten Vertreter ihres Volkstammes wird die Verfügungsgewalt über Holz und Boden(-schätze) wohl an den Meistbietenden übergehen, wenn nicht gleich an den Rücksichtslosesten. Solch eine Auslöschung betrifft jedoch nicht allein die physische Existenz. Nein, denn damit einher geht in der Regel auch das Aussterben einer Sprache. Und mit diesem Kulturträger geht also auch eine jahrhundertalte Tradition, geht eine spezifische Sicht auf das Leben, geht Welt-Wissen, geht (alternative) Kulturtechnik, ein Wert an sich, unwiederbringlich verloren.

Glücklich kann sich da noch nennen, wer auf einer abgelegenen Insel lebt. Etwa das Volk der Sentinelesen auf den Andamanen im Nirgendwo des Indischen Ozeans. Dort suchte dennoch ein US-Amerikaner im vergangenen November in einem typischen Fall westlichen Hochmuts diesen Volksstamm, welcher in selbstgewählter völliger Isolation von jeglicher „Zivilisation“ lebt, für das Christentum zu bekehren. (Wenn wir einmal von der Existenz eines liebenden Gottes ausgehen, dann wird er seinen „unschuldigen“ Kindern vermutlich genauso innig zugetan sein, wie wenn sie (zwangs-)bekehrt wären.) Obwohl jede physische Kontaktaufnahme zu den Inselbewohnern behördlicherseits verboten ist. Der Missionar wurde denn auch offenbar am Strand noch mit Pfeil und Bogen getötet.

Kann der moderne Mensch demnach, so läßt sich fragen, die Begegnung mit dem naiven Urzustand seines älteren Menschen-Bruders nicht ertragen, schämt er sich dessen und muß er folglich diese in seinen Augen uneindeutige und unnütze, wenn nicht gleich unbequeme, da implizit einen Vorwurf transportierende, Lebensart um jeden Preis seiner eigenen angleichen, ansonsten aber umstandslos vernichten?

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Postscriptum, 13./14.12.2018:

Noch diese Woche tagt in Kattowitz die UN-Klimakonferenz. Und vergangenen Montag wurde international der Wiederkehr jenes Tages gedacht, an dem vor nunmehr siebzig Jahren die Erklärung der Menschenrechte erfolgte. Der Im Verlauf der Jahrzehnte noch weitere, gleichwohl ebensowenig bindende, Pakte über wirtschaftliche und soziale Rechte und Freiheiten folgten. Vor diesem Hintergrund muß sich die sogenannte internationale Staatengemeinschaft denn auch die Frage gefallen lassen, ob sie tatsächlich nicht in der Lage sei, Rechte für Kollektive wie etwa ganze Völker zu etablieren und auch durchzusetzen, damit deren Lebens-Raum unversehrt erhalten bleibe. Sonst übernehmen alsbald selbsternannte Menschheits-Beglücker vom Schlage eines Jeff Bezos endgültig das Ruder, welcher den Exodus des homo „sapiens“ in den Kosmos projektiert. Aber das bedeutet schließlich nichts anderes als die Gestaltungs- und Widerstandskraft der Menschheit aufzugeben, denn es wäre der bequeme Weg …