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Justitia mit Blindheit geschlagen?

Schlagzeilen, in eigentümlicher Koinzidenz, aus meiner allgemeinen Hauspostille an einem x-beliebigen Donnerstag:

Physiker erweisen ihre gesellschaftspolitische Relevanz, indem sie Dynamiken des Hasses innerhalb rechtsextremer Neztwerke untersuchen und auch Gegenmaßnahmen entwerfen.

Rechtsextreme Netzwerke : Wie stoppt man den Hass?

Rechtsextreme Netzwerke stiften im Internet immer wieder zu blutigen Taten an. In einer neuen Studie untersuchen Physiker die Dynamiken des Hasses – und entwickeln vier Strategien dagegen.

Davon unabhängig gedenkt die Hessissche Landesregierung, ein Melderegister über Hass-Kommentare im Netz zu installieren; vielleicht, um die mutmaßlich sehr hohe Dunkelziffer solcherlei Äußerungen einmal publik zu machen.

Hass-Kommentare : Hessen geht gegen Hetze im Netz vor

Um Hass-Kommentare im Internet zu bekämpfen, will die hessische Landesregierung ein Meldesystem aufbauen. „Auch im Netz ist die Würde des Menschen zu wahren“, betont Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).

An sich aller Ehren wert, doch dürften dem ganz praktische Hürden im Wege stehen: Denn wer soll all die verborgenen Verbalentgleisungen eigentlich aufspüren und was geschieht hernach damit? Ganz abgesehen von einer allgemeingültigen und stichhaltigen Definition, was einen Hasskommentar eigentlich ausmacht.  Und damit sind wir bei der eigentlichen Frage angelangt. Denn das Landgericht trat am selben Tag mit einem aufsehenerregenden Urteil hervor:

Hass-Posts gegen Renate Künast : Erlaubt ist alles

„Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Drecksau“ – solche und noch krassere Kommentare prasselten auf Renate Künast ein. Das Landgericht Berlin sieht darin keine persönliche Schmähung, sondern nur zulässige Sachkritik.

Zunächst ist ganz generell festzuhalten, daß eine unabhängige Justiz ein hohes Gut darstellt und unter allen Umständen zu verteidigen ist. Zudem sind alle vor dem Gesetz gleich und niemand kann ein Urteil so mir nix, dir nix bestellen. Denn wir Deutsche haben leidvolle Erfahrungn gemacht mit vorauseilendem Gehorsam in der Rechtsprechung. Und positiv hervorzuheben ist bspw. auch die Tendenz in der aktuellen Rechtsprechung, Raser, welche bei illegalen Autorennen den Tod unbeteiligter Dritter verschulden, neuerdings des Mordes anzuklagen. Hierbei ergingen bekanntlich auch die ersten Verurteilungen.

Außer Frage steht jedenfalls die außerordentliche Rolle der Rechtsprechung für ein gedeihliches MIteinander aller Bürger untereinander. Da nimmt es freilich umso mehr wunder, wie das besagte Landgericht zu Berlin gerade jenes Verhalten höchstrichterlich sanktioniert, welches die beiden zuvor genannten Akteure wirksam einzuhegen versuchen. Unsere politische Kultur ist seit dem Auftreten der blauen Deutsch-Alternativen und Ihrer Brüder und Schwestern im Geiste nachhaltig vergiftet. Und das Erschreckende daran ist weniger das, was tatsächlich angesprochen, sondern vielmehr, wie es ausgeprochen wird. Und wie rücksichtlos dabei mit dem politischen „Gegner“ umgegangen wird. Als ob es sich um einen Kampf auf Biegen und Brechen handele, welcher nur mit der völligen Niederlage des Kontrahenten enden könne. Carl Schmitt und Konsorten lassen grüßen. Aller Orten werden mittlerweile engagierte Kommunalpolitiker bedrocht und auch tätlich angegriffen. Im Juni diesen Jahres wurde gar der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke ermordet. Bisweilen scheint es, als ob hier systematisch ein Klima der Angst erzeugt werden solle. Derlei physischen Gewaltakten voraus geht dabei häufig ein verbales Trommelfeuer, das die Grenzen des bislang Sagbaren nach und nach, noch unmerklich zunächst, sprengt und den Diskurs nachhaltig verroht. Beinahe fühlt man sich an Weimar erinnert, an (rechte) Klassenjustiz gegen Demokraten und Linke. Und an die bekanntesten Opfer solcher medialer Hetze, Matthias Erzberger und Friedrich Ebert. Der eine bezahlte diesen Kampf gegen Beleidigung und Verleumdung direkt mit seinem Leben, der andere mit seiner Gesundheit.

Nun ist Berlin (noch?) nicht Weimar. Gleichwohl kann es einem  ineressierten Zeitgenossen bisweilen angst und bang werden ob solcher Entscheide. Art. 1 GG in seinen Absätzen besagt bekanntlich:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Die Grenze dessen, was durch freie Meinungsäußerung gedeckt ist, sollte also durch die Würde eines jeden Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Überzeugung etc., eindeutig markiert sein. Doch diese wird hier bei weitem überspannt. Denn das Urteil jenes Landgerichts gegen Renate Künast stellt nichts anderes als einen Freibrief dar, überhaupt alles über alle und alles sagen zu dürfen. Denn beim besten Willen läßt sich wohl nicht bloß meines Erachtens nach in Äußerungen wie den obig zitierten keine zulässige Sachkritik mehr erkennen. Ganz im Gegenteil, bedeutet solch ein ignorantes Zu-Kreuze-Kriechen vor einer verabsolutierten Meinungsfreiheit letzten Endes nichts anderes als sehenden Auges die bürgerliche Ordnung aufzugeben.

Eine Pointe indes noch zum Schluß: Bekanntlich handelt es sich bei unserer Bundesrepublik ja um einen demokratischen Rechtsstaat, was, wie bereits erwähnt, auch besagt, daß vor dem Gesetz alle gleich sind. Wer oder was sollte künftig also einen Angeklagten, einen Verurteilten, einen Prozeßbeteiligten, einen Prozeßbeobachter, einen Kommentator oder schlichtweg Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller daran hindern, den zuständigen Richter als Person der Öffentlichkeit in zulässiger Sachkritik an seiner Verhandlungsführung oder seinem Urteil bspw. als „Hurensohn“ oder „olle Toppsau“ zu bezeichnen und zu bedrohen?

PS, 09.10.2019: Die Blindheit ist wohl weiter verbreitet als man denken sollte angesichts zahlreicher Parlamentarierinnen des Bundestags, welche laut einer Umfrage durch die ARD Opfer von „Hate Speech“ geworden sind. Hat Deutschland etwa ein Problem mit einer indifferenten oder misogynen Rechtsprechung, ist die Justiz in Berlin eventuell gar unterwandert von rechten Richtern?

PPS, 28.04.2020:

Der vorerst letzte Akt dieses Dramas: Künast gewinnt gegen rechten Blogger

Erweitern, den Horizont?

Kürzlich im Restaurant, Abendessen, gut-bürgerlich, einfach lecker. Der Alte-Herren-Freund phantasiert, er wolle einmal auf Weltreise gehen, den Horizont zu erweitern. Zugegeben, ich machte ihm seinen Tagtraum sogleich etwas madig, denn ich zog entschieden in Zweifel, ob solch Er-Fahrung heutzutage überhaupt noch möglich sei. Denn ist nicht beinah der gesamte Globus ein einziges Dorf? Hat sich nicht eine einzige Kultur, nämlich die kapitalistisch-westliche, nahezu aller Orten durchgesetzt und ist nicht der gesamte Erdball medial-pop-kulturell durch-amerikanisiert? Und herrschen nicht all überall ähnliche Alltagsvergnügungen oder Konsumwünsche vor, nähern sich nicht Perspektiven und Ziele stetig einander an? Wo kann man da ernsthaft noch auf Horizonterweiterung rechnen?

Ja, in den Elendsvierteln Südamerikas oder Südostasiens vielleicht, ganz zu schweigen vom gesamten afrikanischen Kontinent. Oder unter den Diktaturen dieser Welt abseits etwaiger Besucherströme. Aber diese Destinationen gehören wohl nicht gerade zu den Hotspots einer Weltreise. Ausnahmen davon mag es tatsächlich geben. Doch muß ich hierfür extra, sagen wir mal, in den australischen Busch aufbrechen oder zu einem Ashram nach Indien?

Außerdem nimmt man auf derlei Auszeiten wohl allzu häufig Speisen zu sich, welche einem von der Heimat her bekannt sind. Oder zumindest solche, welche dem westlichen Gaumen angepaßt sind. Und greift beim Einkauf resp. Shopping auf die üblichen Globalmarken zurück, welche in der Fremde (welche Fremde?) allenfalls unter einem anderen Namen firmieren. Und die Andenken-Industrie bietet auch wenig anderes denn folklorisierenden Kitsch feil. Und ich brauche auch keine bedrohten Tierarten – Wale, Eisbären od. dgl. – aus nächster Nähe in sogenannter „freier“ Wildbahn zu erleben. Ihnen ist mehr damit gedient, wenn sich der Mensch an ihrer nackten Existenz vom heimischen Sofa aus erfreut. Und wie vielen der Aktivitäten, die man dorten denn so betreibt, kann man nicht auch genauso gut im Heimatlande frönen? Und werden nicht die eigentlich erinnerungswürdigen Eindrücke, Augenblicke und Begegnungen durch eine schiere Reduplikation des Wunderbaren und Außergewöhnlichen in einer Art Endlosschleife letztlich allesamt dauerhaft entwertet?

(Welt-)Reisen scheinen daher häufig nichts anderes zu sein denn ein auf Dauer gesetzter Konsum materieller wie immaterieller Werte, ein einziger über Gebühr ausgedehnter Ego-Trip. Was unweigerlich in einer Übersättigung – ohnehin ein Charakteristikum unserer Zeit – resultiert, und also die eigentliche Absicht ad absurdum führt. Man mag schließlich zur Schau stellen, was man sich (vermeintlich?) leisten kann. Um sich aber noch irgendwie von der Masse abzusetzen, sucht man sich immer exotischere Reiseziele und dehnt die Reise-Abwesenheit immer weiter aus. Hierfür werden die letzten weißen Flecken der Welt-Tourismus-Karte weltmarktkonform gemacht, sei es nun der Kaukasus, Amazonien, Zimbabwe die arktische oder die Region um den Baikalsee. (Und mit dem Kosmos wartet bereits das nächste große Tourismus-Event auf solvente Exzentriker.) Und die schöne, bunte Netzwerkwelt bietet hierfür auch eine passende Bühne für like-able Selbstdarstellung und -vermarktung, mitunter jedoch hochnotpeinlich. „Ich und der Eiffelturm“, das war einmal, heute muß es mindestens „Ich auf der Golden Gate“, „Ich im Taj Mahal“, „Ich vor dem Ayers Rock“ heißen, wenn nicht gleich „Ich in Abu Ghraib“ oder „Wir in Auschwitz, Smiley“.

Darüber haben wir freilich die Bindung, das Gespür, das Interesse an dem verloren, was man heutzutage wohl als die Welt des Dazwischen bezeichnen muß. Es existieren bloß noch Ziele, der Weg dorthin ist allenfalls notwendiges Übel, das Dazwischen wird abgehängt. Reisen ehedem, selbst noch zu Anfangszeiten der Eisenbahn mit ihrer vergleichsweise geringen Geschwindigkeit, war dagegen noch ein ganzheitliches, geradezu synästhetisches Erlebnis. Will heißen, der Weg war hier beinah schon das Ziel, weil beschwerlich genug. (Regen wir uns derweil heutzutage über Verspätungen oder ganze Ausfälle von Verkehrsmitteln aufgrund höherer Gewalt oder technischen Versagens auf, ist das vergleichsweise Jammern auf höchstem Niveau.) In gemächlichem Tempo zogen Ansiedlungen, Städte, Landschaften an einem vorüber. Eine Erfahrung zu schauen, zu hören und zu schmecken. Man war überdies in beengten Verhältnissen unterwegs und kam dadurch leichter über das Geschaute und darüber hinaus ins Gespräch. Heute starrt die Mehrheit indes mit gesenktem Kopf auf einen Bildschirm, oder mit einem Kopfhörer bewehrt ins Leere.

Und ganz allgemein, das Reisen um des Reisens willen, oder aus „nichtigem“ Anlaß, mal schnell zu Konzert und Party nach London, zum Coiffeur nach Paris, zum Couturier nach Milano, zum Wochenend-Kurztrip nach Stockholm, dann hier noch ein Kongreß, da ein Sport-Event oder ein Kultur-Ereignis, dort eine Lustreise, scheint sich in unseren Tagen überdies jedenfalls zu einem unhinterfragten Grundrecht entwickelt und verselbständigt zu haben. Erkennbar auch daran, daß die Personenfreizügigkeit einen Grundpfeiler der europäischen Vergemeinschaftung darstellt. In historischer Perspektive, man denke nur an den ehemaligen „antifaschistischen Schutzwall“, in der Tat ein hohes Gut. Nachhaltig befördert durch neoliberale Deregulierungen im Transportgewerbe, insbesondere im Flugverkehr, hat diese unbeschränkte Mobilität mittlerweile allerdings ein solches Ausmaß angenommen, daß man darin kaum mehr als einen kollektiven Drang nach Bespaßung oder Betäubung zu erkennen vermag – Opium, der globalen Kultur- und Sport-(TV-)Industrie ähnlich. (Was letzteren Punkt betrifft, ist der Schreiber dieser Zeilen stets hocherfreut, wenn wieder einmal die Bevölkerung einer Stadt die von lokalen Potentaten anvisierte Bewerbung um die Austragung Olympischer Spiele in einem Volksentscheid ablehnt.). Schon macht das Schlagwort von „Overtourism“ die Runde, erst Mallorca, nun bspw. auch Berlin. Lemmingen gleich, machen sich alle übers Jahr wiederholt auf die Reise. Und schert man aus diesem Herdentrieb doch einmal aus, wird man auch noch scheel von der Seite angeschaut. Welche Regierung oder supranationale Organisation wagt da schon, an dieses Treiben Hand anzulegen, durch höhere Preise resp. Gebühren und Steuern, auch zum Wohle der Umwelt, etwa? Denn dann sind die Reihen schnell geschlossen in der Verteidigung der bürgerlichen Freiheit, wird umstandslos mit der Keule von angeblich ansonsten bedrohten Arbeitsplätzen geschwungen. Ohne freilich zu registrieren, daß man mit seinem uneinsichtigen Gebaren letztlich an dem Aste sägt, auf dem man selber sitzt.

Szenenwechsel: Gottesdienst eines Sonntagabends. Der Pfarrer predigt von einer Begebenheit während einer Jugendfreizeit in den Schweizer Alpen – ebenfalls unter dem Motto der Horizonterweiterung. Die Gruppe machte sich auf zu einer Nachtwanderung, einen Mondaufgang über einem Bergsee in der Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Dunkelheit zu erleben. Die Teilnehmer mußten hierfür offenbar ziemlich viel Geduld aufbringen, denn das Nachtgestirn zierte sich wohl recht lange. Aber dann wurden sie umso reicher belohnt. Wie der Mond erst langsam über die Gipfel schlich und sich schließlich majestätisch über die Berge erhob, diese stimmungsvoll konturierend, um sich schließlich erhaben im Bergsee zu spiegeln. Dies muß ein eindrucksvolles Schauspiel gewesen sein. Denn eine junge Frau rief, offensichtlich von Rührung übermannt, unwillkürlich aus: „Gott ist groß.“

Solch eine Erfahrung läßt sich im Grunde an jedem beliebigen Ort erleben; Gewässer, Erhebungen oder Waldungen finden sich auch andernorts. Und andere Menschen, die sich von einer derartigen Szenerie ebenfalls ergreifen lassen. Oder überraschende Begegnungen, ein Plausch auf einer Bank am Wegesrand, der noch lange nachhallt, vermögen unseren Horizont zu erweitern. Und das scheint mir schließlich auch die eigentliche „Wahrheit“ zu sein. Es kommt absolut nicht darauf an, möglichst die entlegensten Flecken unserer Erde heimzusuchen. Nein, es kommt stattdessen allein auf die innere Haltung an, die individuelle Bereitschaft, Eindrücke, die einem der „göttliche“ Zufall vor der eigenen Haustüre schenkt, überhaupt demütig anzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Und dann ist die Welt unter Umständen wieder ein kleines Stückchen bunter und liebenswerter. Es kommt nur auf uns an.

 

Postscriptum: Damit keine Mißverständnisse aufkommen, ich wende mich nicht generell gegen das (Welt-)Reisen, gegen eine euphemistische Etikettierung dessen freilich schon. Mich würde, neben einer ausgedehnten Tour durch Skandinavien oder Kanada, beispielsweise reizen, einmal die Weiten Sibiriens zu entdecken, und dabei vor allem auch die Halbinsel Kamtschatka. Einer Weltreise auch nicht unähnlich, bedenkt man allein schon den aufwändigen Transfer. Es scheint wohl im Menschen zu liegen, das hektische und ruhelose Streben in die Weite, die Sehnsucht nach der Ferne, die Neugierde auf die Fremde. Ob das freilich unbedingt zu seiner inneren Balance und Harmonie beiträgt?

Aufgeschnappt: Gesichtsbuch-Peinlichkeiten …

Neulich gesehen im sozialen Netzwerk (tummelte mich dorten eigentlich nur um einer Radioshowplaylist willen, leider dann doch vergeblich :-():

Du bist das beste was mir je passieren konnte. Ich bin dir dankbar für jeden Tag, den ich mit dir verbringen darf. Ich werde dich ewig lieben! Und dir für immer dankbar sein für die beiden wundervollsten Geschenke in meinem Leben. DANKE für neun wunderbare Ehejahre und alles liebe zum Hochzeitstag! Ich liebe dich!

Aha, welch Anlaß für ein Posting unter eingenem Namen an Hinz und Kunz, ein schiefer Hochzeitstag, so, so: Aber warum erklärt sie ihm ihre unverbrüchliche Liebe dann nicht in einem anderen, geschlossenen, privaten Rahmen, live, Aug in Aug, in trauter Zweisamkeit? Es ist natürlich nicht jedem gegeben, offen über seine Geühle, noch dazu in Bezug auf das unmittelbare Gegenüber, zu sprechen. Dann könnte frau aber immerhin noch auf eine individuell adressierte Nachricht zurückgreifen oder auf andere verschwiegene Kanäle wechseln. Wenn sie schon nicht fingerfertig-liebevoll eine selbst entworfene Karte anfertigen mag. Doch womöglich ist das beste (Stück?) auch nicht unmittelbar greifbar, leider nicht zugegen, unterwegs auf Montage, im Auftrage ihrer Majestät oder hinter schwedischen Gardinen, wer weiß das schon. Gut, befände ich mich an seiner Stelle, freute ich mich unter Umständen auch ein kleines bißchen darüber, so kleinlich wollen wir dann doch nicht sein. Mutmaßlich wäre ich aber eher peinlich berührt: über den Drang meiner Angetrauten zur Selbstdarstellung, über das Nachaußenkehren ganz eigener, privater Angelegenheiten, über das Publikmachen meines Beziehungsstatus, über den vor Kitsch triefenden Gefühlserguß für die Galerie. Denn was ist solch ein Bekenntnis dann noch wert, welches offensichtlich deutlich auf Außenwirkung berechnet ist? Es ist nichts anderes als Reklame in eigener Sache, Extro-Propaganda, Emotionsveräußerung, Objektsdegradierung einer Beziehung. Oder Verlust der Fähigkeit zu direkter Kommunikation, die Unfähigkeit, Gefühle im direkten mündlichen Austausch zu teilen (und also nicht per Tastatur), sich mithin gegenseitig emotional zu beschenken. Dem ach so sozialen Netzwerk sei’s hiermit gedankt. Solch ein Paar sitzt vermutlich einträchtig nebeneinander – wenn es dann tatsächlich einmal vereint ist, siehe oben -, ein jeder starrt gebannt auf seinen smarten Screen, unablässig beschäftigt mit „Zewa wisch & weg“. Und ab und an wird pflichtschuldigst, mechanisch nur und ohne eigentliche Emotion, ein Liebesschwur für Hinz und Kunz veröffentlicht. Beruht die Netzwerk-Affinität indes nicht gänzlich auf Beiderseitigkeit, sei hier schließlich noch eine Empfehlung ausgesprochen: Drum prüfe, wer sich ewig bindet! und der anderen Seite: Drum prüfe, bevor Du postest!

„Unforgettable, that’s what we are!“

Das Internet vergißt bekanntlich nie. Dies Faktum eines grenzenlosen virtuellen Gedächtnisses machen sich bekanntlich Personaler zu nutze, indem sie sich im Web auf die Pirsch nach Leichen im Netz-Keller potentieller künftiger Mitarbeiter begeben. Und überhaupt: wer weiß schon wirklich, was Firmen wie google, facebook, ebay, und wie sie alle heißen und treiben, mit unseren Daten eigentlich anstellen. Die Büchse der Pandora scheint geöffnet, das Einfallstor ökonomischer Manipulation, ganz zu schweigen von organisierter Netzkriminalität, läßt sich kaum mehr schließen. Und so wie sich Extremisten modernster Informations- und Kommunikationstechnologien bedienen, vermögen autoritäre Regime (aber auch sog. Demokratien) ihre renitente (resp. gutgläubige) Bevölkerung um ein leichteres zu bespitzeln. Das Netz erweitert die Möglichkeiten von (Staats-)Terrorismus.

Und dennoch: Am Eingang in die schöne bunte virtuelle (Shopping-)Welt geben wir erst einmal unseren Verstand ab. Das mag sicherlich einer gehörigen Portion Naivität geschuldet sein. Wie soll man es sonst erklären, daß wir – nicht nur in sozialen Netzwerken – seltsam freigebig mit persönlichen Informationen umgehen. Oder ist die Spezies homo sapiens internetiens bloß ein buntes Völkchen eitler Selbstdarsteller? Warum erschaffen wir uns im Netz eine Art von Ideal- bzw. Wunschbild unserer selbst, warum dient uns das Internet gleichsam als virtueller Baukasten unserer multiplen Persönlichkeit? Oder fungiert es nicht vielmehr als Fluchtort vor der rauhen Realität? Oder ist Kommunikation auf herkömmlichen Wege nachhaltig gestört, weshalb alternative Kanäle gesucht werden im Verlangen nach Lob und Anerkennung oder schlichter: sozialem Anschluß, Gemeinschaft, Zweisamkeit? Wohl ist der Mensch ein „zoon politicon“, ein soziales Wesen, dessen Seele ohne Kontakte verkümmert. Online-Partnerbörsen haben darum Hochkonjunktur. Denn je weniger die Leistungsgesellschaft Raum und Zeit läßt für aktive, nicht allein konsumptive Freizeitgestaltung, für ein soziales Miteinander, desto mehr verlagert sich der Akt der Kontaktanbahnung auf unsichtbare Wege. Aber findet denn dort Kommunikation tatsächlich statt? Oder handelt es sich nicht vielmehr um eine Einbahnstraße?