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Eine Verschwörungstheorie der anderen Art.

Auszüge aus Artikeln der letzten zwei Wochen in der FAZ, die aufrütteln.

Wollte man nun zynisch sein und eine weitere gewagte Verschwörungstheorie in die Welt setzen, könnte man von einem avancierten Versuch sprechen, in diversen Regionen und Staaten jenseits des Ozeans sich der jeweiligen Unterschichten und Minderheiten – leider allzu häufig noch dazu deckungsgleich – auf elegante Weise zu entledigen … Darwin in seiner pseudo-sozialen Ausprägung scheint wieder en vogue. Die virale Auslöschung durch den Kolonialismus wiederholt sich. Willkommen zurück im neunzehnten / zwanzigsten Jahrhundert. Willkommen im Lande der von Regierungsseite exekutierten white supremacy Denn solange eine Gesellschaft eine endemische Durchsetzung insbesondere des Justiz- und Polizeiapparates mit strukturellem Rassismus duldet, wird es leider noch zahlreiche weitere unschuldige George Floyds geben.

Mord an Schwarzem in Georgia : „Immer nur einen Schritt vom Terror entfernt“

  • Von Frauke Steffens, New York
  • -Aktualisiert am 10.05.2020-19:43

Der Mord an dem jungen Jogger Ahmaud Arbery entsetzt viele Menschen in Amerika. Wieder haben Weiße einen unbewaffneten Schwarzen erschossen, der einfach nur laufen wollte.

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„Im Horrorfilm sterben wir auch zuerst“

Arberys Tod ist für viele Menschen Ausdruck des selben strukturellen Rassismus wie er sich auch in der Coronavirus-Krise äußert, weil besonders viele Schwarze an den Folgen einer Infektion sterben. Einer Analyse der Nachrichtenagentur Associated Press zufolge waren bis Mitte April 42 Prozent der an den Folgen des Coronavirus gestorbenen Amerikaner schwarz – ihr Bevölkerungsanteil liegt bei 13 Prozent. Von der schlechten Gesundheitsversorgung im ländlichen Mississippi bis zur Verteilung umweltbedingter Asthmafälle in New York, von den Pflegerinnen in Altenheimen über die Insassen der Gefängnisse bis zu den Arbeitern in den Fleischfabriken – Menschen mit mehr als einem Risikofaktor für einen schweren Coronavirus-Verlauf sind sehr häufig nicht weiß.

„Black Lives Matter“ und viele schwarze Bewegungen davor gründeten den Kampf gegen Rassismus auch auf die Beobachtung, dass schwarze Körper noch weit mehr als die der weißen Arbeiter „disposable“ seien – verzichtbar, austauschbar, „wegwerfbar“. Damit gingen sie über die oft von Weißen entwickelte linke Theorie hinaus und fügten ihr Dimensionen hinzu. Die sehen viele nun bestätigt, weil die Industrie und die Regierung auf die Öffnung von Fleischfabriken und ganzen Bundesstaaten drängen, in denen Schwarze besonders oft vom Coronavirus betroffen sind.

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Die aggressiven Proteste der Rechten gegen die Coronavirus-Schutzmaßnahmen und die schnelle Wiederöffnung republikanischer Bundesstaaten sehen manche Kommentatoren als Reaktion von Weißen auf die Tatsache an, dass das Coronavirus überproportional Minderheiten trifft. In Mississippi etwa, wo im April um die 70 Prozent der Verstorbenen schwarz waren, treibt die Regierung die Öffnung trotz leicht steigender Infektionszahlen voran. Die an der Rutgers Universität in New Jersey lehrende Kulturkritikerin Brittney Cooper nannte die schnelle Wiederöffnung der Wirtschaft auf Twitter gar eine „nekropolitische Kalkulation“, eine Inkaufnahme des Todes von mehr Schwarzen als Weißen.

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Indigene Völker : „Wir sind in Gefahr“

  • Von Tjerk Brühwiller
  • -Aktualisiert am 11.05.2020-10:57

Die Ankunft des Coronavirus in Amazonien bedroht die Urvölker. Ihr Immunsystem ist besonders anfällig. Quarantäne- oder verstärkte Hygienemaßnahmen sind dort kaum umzusetzen.

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Immer mehr Corona-Tote : Brasiliens Jagd nach einem traurigen Rekord

  • Von Tjerk Brühwiller, São Paulo
  • -Aktualisiert am 21.05.2020-16:24

Das Coronavirus wurde von Brasilianern der oberen Einkommensschicht aus Europa ins Land getragen – und verbreitet sich nun rasant in den ärmeren Bevölkerungsschichten.

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Wessen Ausgrenzung?

Allenthalben hört oder liest man, die Wähler der AfD dürften nicht verunglimpft oder ausgegrenzt werden, zumal man einen Wähleranteil von bis zu einem Viertel der abgegebenen gültigen Stimmen aus demokratischer Sicht nicht so ohne Weiteres ignorieren könne oder dürfe. Die Parteien der alten Bonner Republik, insbesondere natürlich die CDU/CSU, versuchen denn auch, diese Wähler zurück in den Schoß der demokratischen Parteien-Familie zu führen, jedoch nicht allein aus altruistischen Motiven staatspolitischer Verantwortung. Häufig wird in diesem Zusammenhang behauptet, viele Menschen wählten die AfD nicht wegen, sondern trotz ihrer antidemokratischen oder völkisch-rassistischen Ausfälle. Dahinter mag wohl die Vermutung oder die Hoffnung stehen, daß das Gros dieser Wählerschaft nur vorübergehend bei der Alternative ihr Kreuzchen setzt – deren Anliegen und Programmatik (beispielsweise Infrastruktur und Grundversorgung in den östlichen Bundesländern) im Kern auch anzuerkennen sei (was freilich verkennt, daß diese Politikfelder auch bloß darum so intensiv alternativ bedient werden, um das angebliche Versagen des demokratischen Systems bundesrepublikanischer Prägung anzuprangern und damit also generell publikumswirksam verächtlich zu machen) -, ihre demokratische Seriosität ansonsten aber über jeden Zweifel erhaben sei.  Eine aktuelle Studie des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung der Universität Leipzig, basierend auf einer repräsentativen Umfrage unter 2416 Wahlberechtigten von Mai bis Juli 2018, scheint indes gerade das Gegenteil nahezulegen. Anhand des „Leipziger Fragebogen zur rechtsextremen Einstellung  (FR-LF)“ sollten sich die Probanden zu den folgenden Dimensionen (zu je drei Aussagen) positionieren:

  • Befürwortung einer rechtsautoritären Diktatur,
  • Chauvinismus,
  • Ausländerfeindlichkeit,
  • Sozialdarwinismus,
  • Antisemitismus sowie
  • Verharmlosung des Nationalsozialismus.

Die jeweilig Gewichtung der einzelnen Items durch Sympathisanten der AfD lassen demnach den Schluß zu, daß

„AfD-Wähler_innen über alle Dimensionen hinweg signifikant höhere Zustimmungswerte in Bezug auf die Dimensionen des Rechtsextremismus zeigten, als die Wähler_innen der anderen Parteien, Nichtwähler_innen und Unentschlossene. Neben der sehr hohen Zustimmung zu Chauvinismus und Ausländerfeindlichkeit unter AfD-Wähler_innen zeigt sich auch eine im Schnitt deutlich erhöhte Ablehnung der Demokratie (Befürwortung einer Rechtsautoritären Diktatur) sowie hoher Antisemitismus, Sozialdarwinismus und ein ausgeprägter Hang zur Verharmlosung des Nationalsozialismus.“ (Vgl. Leipziger Autoritarismus-Studien – Rechtsextremismus, Gewaltbereitschaft, Antisemitismus, Leipzig 2020, S. 8, Schaubilder auf den fortfolgenden Seiten)

Oder, mit anderen Worten, diese Wählerschichten haben sich selbst ausgegrenzt aus dem demokratischen Konsens, haben den einstigen Volksparteien CDU/CSU und SPD (sowie der Linken) bewußt den Rücken gekehrt und eine politische Heimat in der AfD gefunden, welche sie gerade w e g e n deren Aggressivität, politischen Unkorrektheit und systemsprengenden Tendenz unterstützen. Diese für sich zurückgewinnen zu wollen, bedeutete dann nichts anderes, die häufig bemühte und für sich selbst reklamierte Mitte tatsächlich zu verlassen, um den Preis freilich, eben dort empfindlich zu verlieren. Die Konsequenz daraus kann m. E. bloß sein, keinerlei inhaltliche oder andere Konzessionen nach rechts zu machen, denn ein Großteil dieser Wähler dürfte auf Dauer wohl verloren sein. Es dürfte aber wohl auch nicht schaden, tatsächlich einmal konsequent Politik für die große Mitte (worunter ich auch die soziale Unterschicht rechne!) zu machen, und nicht bloß für selbsternannte Möchtegern-Leistungsträger.

Vergiftetes Mitleid

Wer Sportsfreunde hat, braucht keine Feinde! So scheint es jedenfalls, betrachtet man Andi Köpkes vorgebliche Parteinahme zugunsten Sven Ulreichs anläßlich dessen unglücklichen Rettungsversuchs gegen Karim Benzema im CL-Semifinalrückspiel der Münchner Bayern gegen die königlichen Madrilenen am vergangenen Dienstag etwas genauer: „Ulreich hat vorher gut gehalten. Deshalb tut er mir auch leid“. Ja wie, ja was? Wäre er vorher mit weniger Fortune oder Können zwischen den Pfosten gestanden, könnte man kein Mitleid mit ihm empfinden? Und was soll uns denn das kleine Wörtchen „auch“ hier eigentlich sagen? Daß sich der Sprecher neben Häme und Spott a u c h zu etwas Mitleiden aufraffen kann? Köpke fährt dann fort: „Bei der Bewältigung dieser Szene kann dir keiner helfen. Das musst du für dich ausmachen.“ In der Tat, der arme Tormann sitzt gleich nach dem Schlußpfiff einsam und verlassen an den Pfosten gelehnt auf dem Rasen (Kapitän Thomas Müller versucht ihn später allerdings in Schutz zu nehmen). Unmittelbar danach bricht dann der Sturm los. Und auch der vermeintlich wohlmeinende Köpke kann es nicht unterlassen, zuvor nochmals dreinzuschlagen, denn es fällt der ominöse, völlig überflüssige Satz: „Das Bayern-Ausscheiden wird man immer mit ihm verbinden.“ Daß sich Köpke „sicher“ ist, „er (S. Ulreich) wird das schaffen“ und also über das Geschehene hinwegkommen, klingt vor diesem Hintergrund auch eher süffisant. Wahre Anteilnahme, echtes Mitgefühl sieht wohl etwas anders aus. Denn wer sagt uns im Übrigen, daß die Bayern andernfalls sicher noch ein zweites und drittes Tor hätten erzielen können und Madrid gleichzeitig leer ausgegangen wäre? Schon beim Ausgleich schlief nämlich die Münchner Abwehr bei Flanke und Kopfstoß gewaltig. Der mehr als dämliche Rückpass von Correntin Tolisso, welcher den armen Schlußmann ja erst in die Bredouille gebracht hat, wird dagegen kaum kritisiert. Das Ausscheiden nun also auf ewig mit einem einzigen Mann zu verbinden, einem einzigen unglücklichen Schritt anzulasten, zeugt nur mal wieder von einem von zu viel Geld korrumpierten, übersteigerten, sozialdarwinistischen Leistungsdenken im Millionenspiel. Si tacuisses …

Im rechten Glashaus …

Am späten Montagabend dieser Woche (resp. via Mediathek gestern Nachmittag): die ARD zeigt die Reportage „Kreuz ohne Haken. Die Kirche und die Rechten“, eine Dokumentation über die Auseinandersetzung einzelner aufrechter Pfarrer mit Rechtsextremen, nicht erst seit der Flüchtlingskrise. Das Ressentiment der Rechten gegenüber den christlichen Kirchen bringt ein katholischer Politikwissenschaftler und Publizist, A. Püttmann, darin wie folgt auf den Punkt:

 „Dann betrachten sie die Kirche auch als eine schützende Funktion für sogenannte minderwertige Menschen, die irgendein Handicap haben, die nicht dem Ideal des robusten, siegreichen, in der Regel ja auch Mannes entsprechen, sondern sich um das Gebrochene und Schwache kümmern.“ (A. Püttmann)

Nietzsche läßt grüßen. Dem aufmerksamem Zeitgenossen fällt dabei freilich unweigerlich die Tatsache ins Auge, daß auch manche Tiefbegabte, Mindebemittelte und Schwachmaten in den Reihen eben dieser Rechtsextremen mitmarschieren. Doch wenn es der „nationalen Befreiung“ dient, nimmt man offenbar manchen Widerspruch in Kauf. Und im Übrigen eignet sich das gemeine Fußvolk doch prima als Schlägertrupp, Kanonenfutter oder Folterknecht …