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Eine sachliche Unterredung

Herbstzeit ist (Berg-)Wanderszeit. Doch sehe man sich für und halte die Ausrüstung stets ordentlich in Schuß, denn sonst droht einem Ungemach …

DIE BERATUNG

Es war einmal ein Bergsteiger, der vernachlässigte in gar arger Weise seine Ausrüstung. Das ließ sich diese aber nicht länger mehr gefallen und trat zusammen zur Beratung.

Die Nagelschuhe fletschten grimmig die Zähne und forderten, da er sie ständig fettlos ernähre, seinen sofortigen Tod. Darin wurden sie vom Seil unterstützt. Die Kletterschuhe zeigten ihre offenen Wunden dem Rucksack, der noch etwas ungläubig tat, da er erst gestern aus dem Laden gekommen war, und erzählten ihm erbebend den jeglicher Zivilisation hohnsprechenden Martertod seines Vorgängers. Der Eispickel bohrte sich gehaltvoll bedächtig in den Boden und sprach: „Es muß anders werden!“ Und die Windjacke kreischte empört: „Er zieht mich sogar in der Stadt an!“

Endlich ward man sich einig über seinen Tod bei der nächsten Tour:

Die Windjacke sollte sich zuhause verstecken um überhaupt nicht dabei zu sein. Zuerst müßten dann die Nagelschuhe, vornehmlich mit ihren besonders spitzen Absatzzähnen, seine Fersen und Sohlen blutig beißen. Später in der Wand wird ihn der Rucksack aus dem Gleichgewicht bringen, wobei sich die Kletterschuhe aalglatt zu benehmen haben – und sogleich wird der Pickel in seine Gedärme dringen und das Seil ihn mit einer Schlinge erwürgen.

Jedoch zu selbiger Zeit glitt der Bergsteiger auf der Straße über eine Apfelsinenschale und brach sich das Bein. Und – er würde sicher nicht mehr fluchen, daß er nun nie mehr in die Berge kann, wüßte er von der Beratung.


Ödön von Horváth: Sportmärchen, in: Ders: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Gedanken eines Aufrechten. Herausgegeben von Anna Schloss, Wiesbaden 2018, S. 130f.

 

Photographie © LuxOr

 

hart oder roh

Es regnet

Als ich am nächsten Morgen in das Gymnasium kam und die Treppe zum Lehrerzimmer emporstieg, hörte ich auf dem zweiten Stock einen wüsten Lärm. Ich eilte empor und sah, daß fünf Jungen, und zwar E, G, R, H, T, einen verprügelten, nämlich den F.

„Was fällt euch denn ein?‟ schrie ich sie an. „Wenn ihr schon glaubt, noch raufen zu müssen wie die Volksschüler, dann rauft doch gefälligst einer gegen einen, aber fünf gegen einen, also das ist eine Feigheit!‟

Sie sahen mich verständnislos an, auch der F, über den die fünf hergefallen waren. Sein Kragen war zerrissen. „Was hat er euch denn getan?‟ fragte ich weiter, doch die Helden wollten nicht recht heraus mit der Sprache und auch der Verprügelte nicht. Erst allmählich brachte ich es heraus, daß der F den fünfen nichts angetan hatte, sondern im Gegenteil: die fünf hatten ihm seine Buttersemmel gestohlen, nicht, um sie zu essen, sondern nur, damit er keine hat. Sie haben die Semmel durch das Fenster auf den Hof geschmissen.

Ich schaue hinab. Dort liegt sie auf dem grauen Stein. Es regnet noch immer, und die Semmel leuchtet hell herauf.

Und ich denke: vielleicht haben die fünf keine Semmeln, und es ärgert sie, daß der F eine hatte. Doch nein, sie hatten alle ihre Semmeln, und der G sogar zwei. Und ich frage nochmals: „Warum habt ihr das also getan?‟ Sie wissen es selber nicht. Sie stehen vor mir und grinsen verlegen. Ja, der Mensch dürfte wohl böse sein, und das steht auch schon in der Bibel. Als es aufhörte zu regnen und die Wasser der Sündflut wieder wichen, sagte Gott: „Ich will hinfort nicht mehr die Erde strafen um der Menschen willen, denn das Trachten des menschlichen Herzens ist böse von Jugend auf.‟

Hat Gott sein Versprechen gehalten? Ich weiß es noch nicht. Aber ich frage nun nicht mehr, warum sie die Semmel auf den Hof geworfen haben. Ich erkundige mich nur, ob sie es noch nie gehört hätten, daß sich seit Urzeiten her, seit tausend und tausend Jahren, seit dem Beginn der menschlichen Gesittung, immer stärker und stärker ein ungeschriebenes Gesetz herausgebildet hat, ein männliches Gesetz: Wenn ihr schon rauft, dann raufe nur / einer gegen einen! Bleibet immer ritterlich! Und ich wende mich wieder an die fünf und frage: „Schämt ihr euch denn nicht?‟

Sie schämen sich nicht. Ich rede eine andere Sprache. Sie sehen mich groß an, nur der

Verprügelte lächelt. Er lacht mich aus.

„Schließt das Fenster‟, sage ich, „sonst regnets noch herein!‟

Sie schließen es.

Was wird das für eine Generation? Eine harte oder nur eine rohe?

Ich sage kein Wort mehr und gehe ins Lehrerzimmer. Auf der Treppe bleibe ich stehen und lausche: ob sie wohl wieder raufen? Nein, es ist still. Sie wundern sich.

 

Ödön von Horváth (1901-1938): Jugend ohne Gott. Frankfurt a. M. 2008 (EV Amsterdam 1937), S. 10-12.

REGATTA

 

REGATTA

Tausend Fähnlein flattern im Wind

regettete regattata

In hundert Segel speit der Wind:

Huuuu –

Einer wird Erster, einer wird Letzter:

Regatta!

Einer ist munter:

regattattatatararaaa!!!

Einer geht unter:

r.

 

Ödön von Horváth: Sportmärchen, in: Ders: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Gedanken eines Aufrechten. Herausgegeben von Anna Schloss, Wiesbaden 2018, S. 114.

 

 

Photographie © LuxOr

 

Der sichere Stand.

Zum Vatertag

 

DER SICHERE STAND

Einst kletterte ein Kletterer über einen berüchtigten ungemein brüchigen Grat empor – und fürwahr! er war ein kühner Bursche: denn selbst von Zacken mit Zipperlein (die nur noch den erlösenden Rülps ersehnten, um die Fahrt nach dem Friedhof tief unten im Kar antreten zu können) rief er denen, die hinter ihm her kletterten, zu:

„Kommt immer nur nach! Habe sicheren Stand!“

Und einmal hielt er sich gar nur mit zwei Fingerspitzen der Hand an einem kaum sichtbaren Griff, doch schon rollte er rasch mit der Rechten das Seil ein und schrie:

„Sicherer Stand!“

– da seufzte sein Griff und brach ab: kopfüber flog er aus der Mutterwand und mit ihm unser Kletterer, während ein scharfer Stein schmunzelnd das Seil durchbiß – und erst nach fünfhundert Metern klatschte er wie eine reife Pflaume auf eine breite Geröllterrasse. Aber sterbend schrie er noch seinen Gefährten zu:

„Nachkommen! Sicherer Stand!“

War das ein Optimist!!

 

Ödön von Horváth: Der sichere Stand, Sportmärchen, in: Ders: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Gedanken eines Aufrechten. Herausgegeben von Anna Schloss, Wiesbaden 2018, S. 108.

 

„netzfund: neue weltordnung“

Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit.

(Ödön von Horváth, Geschichten aus dem Wiener Wald)

Überheblichkeit allerdings auch …

 

Für die Narretei, wichtige vierte Säule im Staate, tät ich aber unbedingt noch den Lindners ihr Christian nominieren wollen – oder gleich die gesamte Effdepe, da ist ist doch immer eine/r für unfreiwillige Komik gut … 😉

campogeno

dummheit ist nicht „wenig wissen“, auch nicht „wenig wissen wollen“,
dummheit ist „glauben, genug zu wissen“.

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