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Von wegen Feuerszungen

Heutzutage wird das allzu leicht mißverstanden. Gefühlt vergeht mittlerweile kaum ein Tag, an dem nicht die sprichwörtliche Sau durchs Dorf getrieben wird. Rasch ist man da mit Vorwürfen zur Hand; entweder wird jemand als Sexist, Rassist, Faschist oder Antisemit oder ähnliches mehr gescholten. Nur um sich selbst zu erhöhen, da man sich ja auf der moralisch einwandfreien Seite wähnt. Und daraus für sich das Recht ableitet, eine (nicht einmal zwangsläufig) kritische Stimme zu diffamieren oder gleich mundtot zu machen. Daß man dadurch den inhärenten Tatbestand nur verwässert und die eigentliche Gefährdung aus dem Blick verliert, kommt erst gar nicht in den Sinn.

Die Kehrseite der Medaille ist, daß ein derart pauschal Verunglimpfter, anstatt diesen künstlich aufgebauschten Furor konsequent zu ignorieren, sich auch noch genötigt fühlt, zu Kreuze zu kriechen und blumig Abbitte zu leisten. Oder zumindest meint, sich erklären und rechtfertigen zu müssen. Sozialistische Debattenkultur in Reinkultur. Das geht dann so weit, daß man sich im Vorhinein, in vorauseilendem Gehorsam einen Maulkorb auferlegt und sich selbst zensiert. Ein Bärendienst.

Jede noch so zweifelhafte selbsternannte Minderheit stilisiert sich zum Opfer, um auf diese Weise (Diskurs-)Macht zu generieren; Individualisierung ex negativo, ein großangelegtes Ablenkungsmanöver, da systemkonform. Und Macht, die im Zeichen einer vermeintlich höheren Moral dazu mißbraucht wird, den „Gegner“ persönlich anzugreifen, um seine Argumente abzuwerten. Und also ein Gespräch, eine Auseinandersetzung von vornherein zu unterdrücken. Die berühmt berüchhtigte „Alternativlosigkeit“ läßt grüßen. Uneingeschränkte Redefreiheit gebührt bloß noch den Gleichgesinnten. Die gesamte Gesellschaft eine einzige Filterblase, eine kaum noch kaschierte Gleichrichtung des Diskurses. Das propagierte Ziel des Schutzes der sozial-liberalen Demokratie wird damit aber ad absurdum geführt.

Solch ein Gebaren ist dabei insbesondere auf Seiten des links-grünen Spektrums zu beobachten (dem sich der Schreiber dieser Zeilen eigentlich in weiten Teilen verbunden fühlt. – Die kategorische Ablehnung der sogenannten „political Correctness“ auf der Rechten ist freilich auch entschieden abzulehnen). Nur wird dabei geflissentlich übersehen, daß es angesichts einer derart drohenden fragmentierten, weil überindividualisierten und überrreizten Gesellschaft immer schwieriger wird, die nicht gerade unbedeutenden (globalen) Herausforderungen der Zukunft, welche ein Mindestmaß an unvoreingenommenen und konsensbereiten Gemeinsinn erfordern, zu meistern. Von dieser Warte aus betrachtet, sägt die vereinigte Linke also an dem Ast, auf dem sie sitzt …

Die treibens mit jedem.

Politisch liberal heißt heutzutage, keine Moral oder Verantwortung zu kennen und entweder heulsusige Leichtmatrosen zu sein  (Wie erinnerlich: nach der Bundestagswahl 2017 und dem mutwilligen Platzenlassen der schwarz-grün-gelben Koalitionsverhandlungen zog sich der Herr Lindner beleidigt (und wenig überzeugend!) auf den Standpunkt zurück, nach dem Wiedereinzug in den Bundestag könne man nicht sogleich Regierungsverantwortung übernehmen: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“. Dies scheint heute, bei ungleich diffizilerer staatspolitischer Ausgangs- und Gemengelage, freilich kein Hinderungsgrund mehr für Frei-von-Skrupeln-Demokraten zu sein.) Oder aber mit jedem sich ins politische Bett zu legen. Thüringen, der neue alte „Mustergau“; mit persönlich gerade einmal läppischen fünf Prozent sich zum Ministerpräsidenten aufschwingen zu lassen, welch Demokratie-Verständnis. Rechtsextrem ist das neue Bürgerlich. Auf welch gefährliches Spiel läßt man sich da ein, in wessen Abhängigkeit begibt man sich denn da ( in die des Landesverbands einer Partei, der auf dem Radar des Verfassungsschutzes ist nämlich ..) ! Der Damm ist jedenfalls schneller gebrochen. Daher frisch auf nun, alle aufrechten HamburgerInnen, schlagt sie, die neuen National-Demokraten, und werft sie aus der Bürgerschaft!

Plakat auf einer spontanen Gegen-Demonstration in Leipzig heute Abend – Quelle: faz.net/dpa

PS, 06.02.2020: Nicht die NSDAP war die größte Gefahr für die Demokratie am Ende der Weimarer Republik, sondern Männer vom Schlage eines Hugenberg oder von Papen. Und im Übrigen haben auch die wenigen verbliebenen Liberalen im März 1933 geschlossen – wie auch das Zentrum – für das Ermächtigungsgesetz gestimmt, darunter Theodor Heuss und Reinhold Maier …