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Der sichere Stand.

Zum Vatertag

 

DER SICHERE STAND

Einst kletterte ein Kletterer über einen berüchtigten ungemein brüchigen Grat empor – und fürwahr! er war ein kühner Bursche: denn selbst von Zacken mit Zipperlein (die nur noch den erlösenden Rülps ersehnten, um die Fahrt nach dem Friedhof tief unten im Kar antreten zu können) rief er denen, die hinter ihm her kletterten, zu:

„Kommt immer nur nach! Habe sicheren Stand!“

Und einmal hielt er sich gar nur mit zwei Fingerspitzen der Hand an einem kaum sichtbaren Griff, doch schon rollte er rasch mit der Rechten das Seil ein und schrie:

„Sicherer Stand!“

– da seufzte sein Griff und brach ab: kopfüber flog er aus der Mutterwand und mit ihm unser Kletterer, während ein scharfer Stein schmunzelnd das Seil durchbiß – und erst nach fünfhundert Metern klatschte er wie eine reife Pflaume auf eine breite Geröllterrasse. Aber sterbend schrie er noch seinen Gefährten zu:

„Nachkommen! Sicherer Stand!“

War das ein Optimist!!

 

Ödön von Horváth: Der sichere Stand, Sportmärchen, in: Ders: „Ich bin nämlich eigentlich ganz anders, aber ich komme nur so selten dazu.“ Gedanken eines Aufrechten. Herausgegeben von Anna Schloss, Wiesbaden 2018, S. 108.

 

Vergiftetes Mitleid

Wer Sportsfreunde hat, braucht keine Feinde! So scheint es jedenfalls, betrachtet man Andi Köpkes vorgebliche Parteinahme zugunsten Sven Ulreichs anläßlich dessen unglücklichen Rettungsversuchs gegen Karim Benzema im CL-Semifinalrückspiel der Münchner Bayern gegen die königlichen Madrilenen am vergangenen Dienstag etwas genauer: „Ulreich hat vorher gut gehalten. Deshalb tut er mir auch leid“. Ja wie, ja was? Wäre er vorher mit weniger Fortune oder Können zwischen den Pfosten gestanden, könnte man kein Mitleid mit ihm empfinden? Und was soll uns denn das kleine Wörtchen „auch“ hier eigentlich sagen? Daß sich der Sprecher neben Häme und Spott a u c h zu etwas Mitleiden aufraffen kann? Köpke fährt dann fort: „Bei der Bewältigung dieser Szene kann dir keiner helfen. Das musst du für dich ausmachen.“ In der Tat, der arme Tormann sitzt gleich nach dem Schlußpfiff einsam und verlassen an den Pfosten gelehnt auf dem Rasen (Kapitän Thomas Müller versucht ihn später allerdings in Schutz zu nehmen). Unmittelbar danach bricht dann der Sturm los. Und auch der vermeintlich wohlmeinende Köpke kann es nicht unterlassen, zuvor nochmals dreinzuschlagen, denn es fällt der ominöse, völlig überflüssige Satz: „Das Bayern-Ausscheiden wird man immer mit ihm verbinden.“ Daß sich Köpke „sicher“ ist, „er (S. Ulreich) wird das schaffen“ und also über das Geschehene hinwegkommen, klingt vor diesem Hintergrund auch eher süffisant. Wahre Anteilnahme, echtes Mitgefühl sieht wohl etwas anders aus. Denn wer sagt uns im Übrigen, daß die Bayern andernfalls sicher noch ein zweites und drittes Tor hätten erzielen können und Madrid gleichzeitig leer ausgegangen wäre? Schon beim Ausgleich schlief nämlich die Münchner Abwehr bei Flanke und Kopfstoß gewaltig. Der mehr als dämliche Rückpass von Correntin Tolisso, welcher den armen Schlußmann ja erst in die Bredouille gebracht hat, wird dagegen kaum kritisiert. Das Ausscheiden nun also auf ewig mit einem einzigen Mann zu verbinden, einem einzigen unglücklichen Schritt anzulasten, zeugt nur mal wieder von einem von zu viel Geld korrumpierten, übersteigerten, sozialdarwinistischen Leistungsdenken im Millionenspiel. Si tacuisses …