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Im Land der Zurückgebliebenen …

oder Digitale Verlustzone: Wie Deutschland den Anschluß verlor.

Wahrlich, ich bin bekanntermaßen kein Freund der totalen Durchnetzung, auch wenn ich selbst ausgiebigst digital photographiere, kommuniziere und hier eben die geneigte Leserschaft beblogge; die Aussichten einer umfassenden Entgeistigung, physischen Atomisierung, lückenlosen Überwachung und polit-ökonomischen Manipulation sind mir nämlich nicht geheuer.

Gleichwohl mutet es wie eine Geschichte aus Pleiten, Pech und Pannen an, was die Dokumentation Digitale Verlustzone: Wie Deutschland den Anschluß verlor, welche vergangenen Montagabend in der ARD ausgestrahlt wurde, vor der interessierten Öffentlichkeit ausbreitete. Zuse, Nixdorf, die Telefunken-Maus, das mp3-Format des Fraunhofer-Instituts, eine deutsche Suchmaschine, der bereits Anfang der 1980er Jahre angedachte flächendeckende Ausbau mit Glasfaserkabel – vielversprechende Beispiele einheimischer Pioniertätigkeit, welche aber nicht zuletzt auch immer wieder an patent-bürokratischer Ignoranz oder ideologisch-politischer Prioritäten-Verschiebung scheiterte. So weit, so schlecht.

Als Exempel wie man es denn besser machen kann, wird dagegen Norwegen angeführt. Wo die entlegensten Inseln „zum Wohle“ des Tourismus und der Fisch-Industrie schon seit gefühlt ewigen Zeiten ohne Funkloch an das schnelle weltweite Netz angeschlossen sind. Auch Estland wird immer gerne als europäisches Muschderländle der Durch-Digitalisierung gepriesen. Also kleine und/oder reiche Staaten, die im Vergleich mit einem „Supertanker“ wie unsere BRD sich als schneller und wendiger erweisen.

Und auch ich selbst kann eine derartige Erfahrung beisteuern. Mitte der 1990er Jahre verbrachte ich ein Jahr in Linköping/Schweden zum akademischen Austausch. Im Mai/Juni 1996 hatte ich dorten dann meine erste Begegnung mit einem Phänomen, das sich Internet nannte. Von einem befreundeten Austausch-Studenten aus England angestoßen, verbrachte ich damals einige Zeit im Knutpunkt, einem eigens für die Internet-Kommunikation vorgehaltenen großen Raum, der sicherlich über dreißig, vierzig vollausgestattete Arbeitsplätze verfügte. Zu meiner Schande muß ich heute allerdings gestehen, daß ich damals doch noch recht grün hinter den Ohren war und mich also ziemlich planlos durch das Netz bewegte, welches zu dem Zeitpunkt freilich auch noch lange nicht so tief war wie heute. (Heute weiß ich in der Regel zwar schon, wohin ich will, gerate darob gleichwohl bisweilen leicht vom Hundertsten ins Tausendste.) Ich erinnere mich aber zumindest, daß ich aus irgendeinem mir heute schleierhaften Grunde einen Post beim ORF, den ich als Südwestdeutscher niemals zuvor gehört hatte, hinterließ. Der freilich im Nirgendwo verschwand, wie es zunächst schien. (Vielleicht lag es ja einzig und allein an der Langsamkeit des damailigen Netzes, das noch dazu gerade Mittagspause hielt, und der schieren Entfernung, vem vet.) Drum schrieb ich den Post nochmals. Und noch einmal. Am Schluß hatte ich mich dann tatsächlich mit fünf leicht variierten Einträgen verewigt. Wie hochnotpeinlich! Dennoch klopfte alsbald eine Österreicherin, die damals gerade in den USA weilte, bei mir an, und wir mailten dann einige Tage hin und her. (Der Browser damals hieß übrigens „Netscape“, der ehemalige Marktführer, welcher freilich in den Jahren darauf von dem Konkurrenzprodukt einer Firma namens „Microsoft“, welche ihren „Internet Explorer“ in ihr weitverbreitetes eigenes Betriebsprogramm integriert hatte, vollends vom Markt verdrängt wurde – aber das ist eine andere Geschichte.) Zu diesem Zeitpunkt, also während der Semesterferien, wurden auch kilometerweise Kabel in unserem Viertel verlegt, um die dortigen Studentenwohnheime an das Internet anzuschließen. Aber da, Ende Juni, verließ ich Linköping auch schon wieder gen meine alte Heimat und konnte also nicht mehr die unbestrittenen Vorzüge eines eigenen Anschlusses an die große weite virtuelle Welt genießen.

Wie ich dann an meine damalige alma mater zurückkehrte, wurde ich allerdings erstmal gründlich enttäuscht. Statt dem liebgewonnenen bequemen Knutpunkt erwarteten mich mickrige fünf Stehplätze im Foyer der damaligen UB, an denen man noch dazu nicht viel mehr denn Mails verschicken konnte. Und jedes Mal, wenn man gedachte, eine längere Nachricht aufzusetzen und zu verschicken, spürte man im Nacken den heißen Atem der ungeduldig Wartenden, die einem schließlich einen strafenden Blick zuwarfen, sobald man seinen Kurzroman abgeschlossen hatte und sich anschickte endlich zu gehen. Die Elternschaft hatte dann glücklicherweise ein Einsehen und versorgte die Nachkommenschaft mit einer modalen Verbindung. (Was waren das übrigens noch für spannende Zeiten des Verbindungsaufbaus: Einwahl- und Anklopfsignale, zackige Tonfolgen, Rauschen, wie wenn man etwas Maschinelles erst zum Leben erwecken mußte. Heutzutage ist das alles zu einem gänzlich aseptischen Akt verkommen: ein Doppel-Klick, ein Fingertipp. Ähnlich wie beispielsweise auch bei Lokomotiven, die heuer beinah unbemerkt einfach losfahren, während ihnen einstmals mit Klopfen und Stampfen erst Leben ins Gestänge fahren mußte. Eine Art Entlebendigung und Entseelung des Technischen.) Die heimischen Wohnheime schließlich wurden erst um die Zweitausender herum mit dem notwendigen Kabelgewirr versorgt. Keine Atempause also, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Oder so ähnlich.

 

Und ein Epilog: Die Stunden unmittelbar vor Sendebeginn der erwähnten Reportage – es waren mindestens derer sieben – mußte der Tipper dieser Zeilen im Tal der Ahnungslosen verbringen, denn das ganze Viertel um ihn herum hatte den Totalausfall von Internet und Telephonie zu verkraften …

 

Justitia mit Blindheit geschlagen?

Schlagzeilen, in eigentümlicher Koinzidenz, aus meiner allgemeinen Hauspostille an einem x-beliebigen Donnerstag:

Physiker erweisen ihre gesellschaftspolitische Relevanz, indem sie Dynamiken des Hasses innerhalb rechtsextremer Neztwerke untersuchen und auch Gegenmaßnahmen entwerfen.

Rechtsextreme Netzwerke : Wie stoppt man den Hass?

Rechtsextreme Netzwerke stiften im Internet immer wieder zu blutigen Taten an. In einer neuen Studie untersuchen Physiker die Dynamiken des Hasses – und entwickeln vier Strategien dagegen.

Davon unabhängig gedenkt die Hessissche Landesregierung, ein Melderegister über Hass-Kommentare im Netz zu installieren; vielleicht, um die mutmaßlich sehr hohe Dunkelziffer solcherlei Äußerungen einmal publik zu machen.

Hass-Kommentare : Hessen geht gegen Hetze im Netz vor

Um Hass-Kommentare im Internet zu bekämpfen, will die hessische Landesregierung ein Meldesystem aufbauen. „Auch im Netz ist die Würde des Menschen zu wahren“, betont Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).

An sich aller Ehren wert, doch dürften dem ganz praktische Hürden im Wege stehen: Denn wer soll all die verborgenen Verbalentgleisungen eigentlich aufspüren und was geschieht hernach damit? Ganz abgesehen von einer allgemeingültigen und stichhaltigen Definition, was einen Hasskommentar eigentlich ausmacht.  Und damit sind wir bei der eigentlichen Frage angelangt. Denn das Landgericht trat am selben Tag mit einem aufsehenerregenden Urteil hervor:

Hass-Posts gegen Renate Künast : Erlaubt ist alles

„Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Drecksau“ – solche und noch krassere Kommentare prasselten auf Renate Künast ein. Das Landgericht Berlin sieht darin keine persönliche Schmähung, sondern nur zulässige Sachkritik.

Zunächst ist ganz generell festzuhalten, daß eine unabhängige Justiz ein hohes Gut darstellt und unter allen Umständen zu verteidigen ist. Zudem sind alle vor dem Gesetz gleich und niemand kann ein Urteil so mir nix, dir nix bestellen. Denn wir Deutsche haben leidvolle Erfahrungn gemacht mit vorauseilendem Gehorsam in der Rechtsprechung. Und positiv hervorzuheben ist bspw. auch die Tendenz in der aktuellen Rechtsprechung, Raser, welche bei illegalen Autorennen den Tod unbeteiligter Dritter verschulden, neuerdings des Mordes anzuklagen. Hierbei ergingen bekanntlich auch die ersten Verurteilungen.

Außer Frage steht jedenfalls die außerordentliche Rolle der Rechtsprechung für ein gedeihliches MIteinander aller Bürger untereinander. Da nimmt es freilich umso mehr wunder, wie das besagte Landgericht zu Berlin gerade jenes Verhalten höchstrichterlich sanktioniert, welches die beiden zuvor genannten Akteure wirksam einzuhegen versuchen. Unsere politische Kultur ist seit dem Auftreten der blauen Deutsch-Alternativen und Ihrer Brüder und Schwestern im Geiste nachhaltig vergiftet. Und das Erschreckende daran ist weniger das, was tatsächlich angesprochen, sondern vielmehr, wie es ausgeprochen wird. Und wie rücksichtlos dabei mit dem politischen „Gegner“ umgegangen wird. Als ob es sich um einen Kampf auf Biegen und Brechen handele, welcher nur mit der völligen Niederlage des Kontrahenten enden könne. Carl Schmitt und Konsorten lassen grüßen. Aller Orten werden mittlerweile engagierte Kommunalpolitiker bedrocht und auch tätlich angegriffen. Im Juni diesen Jahres wurde gar der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke ermordet. Bisweilen scheint es, als ob hier systematisch ein Klima der Angst erzeugt werden solle. Derlei physischen Gewaltakten voraus geht dabei häufig ein verbales Trommelfeuer, das die Grenzen des bislang Sagbaren nach und nach, noch unmerklich zunächst, sprengt und den Diskurs nachhaltig verroht. Beinahe fühlt man sich an Weimar erinnert, an (rechte) Klassenjustiz gegen Demokraten und Linke. Und an die bekanntesten Opfer solcher medialer Hetze, Matthias Erzberger und Friedrich Ebert. Der eine bezahlte diesen Kampf gegen Beleidigung und Verleumdung direkt mit seinem Leben, der andere mit seiner Gesundheit.

Nun ist Berlin (noch?) nicht Weimar. Gleichwohl kann es einem  ineressierten Zeitgenossen bisweilen angst und bang werden ob solcher Entscheide. Art. 1 GG in seinen Absätzen besagt bekanntlich:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Die Grenze dessen, was durch freie Meinungsäußerung gedeckt ist, sollte also durch die Würde eines jeden Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Überzeugung etc., eindeutig markiert sein. Doch diese wird hier bei weitem überspannt. Denn das Urteil jenes Landgerichts gegen Renate Künast stellt nichts anderes als einen Freibrief dar, überhaupt alles über alle und alles sagen zu dürfen. Denn beim besten Willen läßt sich wohl nicht bloß meines Erachtens nach in Äußerungen wie den obig zitierten keine zulässige Sachkritik mehr erkennen. Ganz im Gegenteil, bedeutet solch ein ignorantes Zu-Kreuze-Kriechen vor einer verabsolutierten Meinungsfreiheit letzten Endes nichts anderes als sehenden Auges die bürgerliche Ordnung aufzugeben.

Eine Pointe indes noch zum Schluß: Bekanntlich handelt es sich bei unserer Bundesrepublik ja um einen demokratischen Rechtsstaat, was, wie bereits erwähnt, auch besagt, daß vor dem Gesetz alle gleich sind. Wer oder was sollte künftig also einen Angeklagten, einen Verurteilten, einen Prozeßbeteiligten, einen Prozeßbeobachter, einen Kommentator oder schlichtweg Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller daran hindern, den zuständigen Richter als Person der Öffentlichkeit in zulässiger Sachkritik an seiner Verhandlungsführung oder seinem Urteil bspw. als „Hurensohn“ oder „olle Toppsau“ zu bezeichnen und zu bedrohen?

PS, 09.10.2019: Die Blindheit ist wohl weiter verbreitet als man denken sollte angesichts zahlreicher Parlamentarierinnen des Bundestags, welche laut einer Umfrage durch die ARD Opfer von „Hate Speech“ geworden sind. Hat Deutschland etwa ein Problem mit einer indifferenten oder misogynen Rechtsprechung, ist die Justiz in Berlin eventuell gar unterwandert von rechten Richtern?

PPS, 28.04.2020:

Der vorerst letzte Akt dieses Dramas: Künast gewinnt gegen rechten Blogger

In flagranti?

Die professionelle Blogger-Gemeinde ist aufgeschreckt, die deutsche Bloggerszene in Aufruhr. Was ist geschehen? Den Netz-Schreiberlingen droht nämlich nicht allein von der allerorten voranschreitenden Roboterisierung Ungemach. Nein, es erwächst ihnen auch von bisher nicht als Bedrohung wahrgenommener Seite offenbar Konkurrenz. Denn wie wir aus stets gut unterrichteter Quelle erfahren durften, hat sich ein Vierbeiner eines Accounts bemächtigt und verbreitet dort unter menschlichem Pseudonym seine Polit-Prosa. Hinter LuxOr, dem vermeintlichen Autor des kleinen, aber feinen Blogs gleichen Namens („LuxOrs – Politik und Poesie des Alltags“) soll sich nämlich niemand Geringerer als der allseits bekannte und beliebte Mäx Meyer, welcher bislang allenfalls als Model für unsägliche Lebensposen in Erscheinung getreten ist, verbergen. Wie zum Beweise wurden uns denn auch kürzlich Photos zugespielt, welche besagten Kater in zumindest verdächtiger Pose zeigen. Erst nach skrupulöser Prüfung und nachfolgender kontroverser interner Diskussion entschieden wir uns, diese in dubio pro publico zu veröffentlichen.

 

Der Implikationen dieses Falles sind jedenfalls viele. Hat sich Mäx Meyer etwa in strafrechtlichem Sinne der arglistigen Täuschung des gemeinen Followers schuldig gemacht? Ist die im Netz vorherrschende Anonymität nicht das ideale Einfallstor für extra-humane Intelligenz, vor der zu warnen man nicht müde werden darf? Und ist der gewöhnliche digitale homo sapiens überhaupt noch in der Lage, jene von seinesgleichen zu unterscheiden? Der mutmaßliche Delinquent jedenfalls war bei Tageslicht nicht für eine Stellungnahme zu erreichen und hüllt sich auch weiterhin in Schweigen.

Photographie © LuxOr