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Der neue Volkssport?!

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Sie werden zum Löschen eines Feuers gerufen und sehen sich plötzlich massiver Gewalt ausgesetzt: Dutzende Angreifer attackieren in Dietzenbach Feuerwehrleute und Polizisten. Hessens Innenminister Peter Beuth spricht von einem Hinterhalt und fordert harte Strafen.

(…)

Ja wo leben wir denn, und in welchen Zeiten?

Ist das bloß ein Probelauf, aber einer von vielen?

Wird hier wie dort etwa für den Sturm auf die längst bedrohte Civitas geprobt?

Oder handelt es sich hierbei, falles es sich nicht um politisch motivierte Straftaten dreht, um mehr oder weniger (nach allem, was man mittlerweile so liest, wohl eher letzteres!) spontane gewalttätige Explosionen sozialer Perspektivlosigkeit und Langeweile? Oder auch pure Lust am Krawall? Oder eine Mischung aus alle dem? Wie dem auch sei, früher existierten jedenfalls noch Grenzen und Respekt vor Ersthelfern, vor Rettungskräften. Heute begibt sich zunehmend selbst in Gefahr, wer – teils gar ehrenamtlich – systemrelevant Dienst am Gemeinwesen leistet. Welcher vernünftige Mensch mag sich das hinfort dann noch antun? Und ein Staat sollte sich solch eine Herausforderung seiner Autoriät auch nicht so ohne weiteres bieten lassen, sonst drohen solch anarchische Zustände langsam, aber sicher zum Normalzustand zu werden.

Derweil es auf der anderen Seite des Atlantiks zum wiederholten Male lebensgefährlich zu sein scheint, als Angehöriger einer ohnehin benachteiligten Minderheit zur falschen Zeit am falschen Ort auf die „Polizei, Dein Freund und Helfer“ zu treffen …

 

Wenn eine naive Justiz das Geschäft von Rechtsextremen betreibt …

Heute in der Allgemeinen Zeitung für Deutschland zu lesen:

„Wahlplakate der NPD mit dem Aufdruck „Migration tötet“, die die rechtsextreme Partei während des Europawahlkampfes verwendet hatte, erfüllen nicht den Tatbestand der Volksverhetzung. Das geht aus einem Urteil des Verwaltungsgerichts Gießen (Az.: 4 K 2279/19.GI) hervor, das bereits Anfang August erging und über welches das Redaktionsnetzwerk Deutschland und das Rechtsmagazin „Legal Tribut Online“ am Samstag berichteten.

„Nach vorstehenden Ausführungen ist der Wortlaut des inkriminierten Wahlplakats ‚Migration tötet‘ nicht als volksverhetzend zu qualifizieren, sondern als die Realität teilweise darstellend zu bewerten“, heißt es in dem Beschluss. Zur Begründung führt der verantwortliche Richter den Verlauf von Wanderungsbewegungen aus der Zeit von 3000 vor Christi Geburt bis in die Gegenwart ins Feld. Zudem verweist er auf Zahlen, die für Deutschland belegen sollen, dass es durch Zuwanderer zu mehr Sexual- und Tötungsdelikten gekommen sei.

Einen besonderen Einfluss weist er den Folgen der Flüchtlingskrise von 2014 an zu. Sie habe die Gesellschaft verändert, zum Tode von Menschen geführt und könne langfristig das Ende der freiheitlich demokratischen Grundordnung in Deutschland nach sich ziehen.

Der NPD dürfe es daher nicht verwehrt werden, „mit den Plakaten auf möglicherweise in Deutschland herrschende Missstände hinzuweisen und für ihre Ziele zu werben“, sagte der Richter, der damit zugleich auf den Auslöser der Klage zurückkam. Vor der Europawahl waren in der hessischen Gemeinde Ranstadt (Wetteraukreis) im Mai dieses Jahres Plakate der rechtsextremen Partei entfernt worden. Bürgermeisterin Cäcillia Reichert (SPD) rechtfertigte die Aktion seinerzeit mit dem Hinweis darauf, dass die Plakate Angst vor Ausländern schüre. Zudem werde die Menschenwürde von Zuwanderern in Deutschland verletzt, indem sie als potentielle Mörder stigmatisiert würden.“

Formallogisch betrachtet, mag das teils in der Tat zutreffen. Aber diesem Slogan ist ganz offensichtlich eine gewissse Doppeldeutigkeit in der Aussage eigen. Und dieser Subtext trägt eine menschenverachtende rechtsextreme Botschaft in die Gesellschaft hinein. Wie kann man also derart naiv argumentieren und damit das Geschäft von Rechtsextremen, die sich darob wohl genüßlich ins Fäustchen lachen und sich artig bedanken, betreiben, als ob es keine Normen hinter dem Recht gebe? Und wieso existiert denn überhaupt ein Paragraph gegen Volksverhetzung, wenn die Hürden hierfür derart hoch sind?

Des Rätsels Lösung: Der betreffende Richter am Verwaltungsgericht Gießen ist diesbezüglich offenbar kein Unbekannter und also leider keineswegs naiv zu nennen (PS, 02.12.2019).

PPS, 05.12.2019, nicht nur der Vollständigkeit halber: Der betreffende Richter teilt sich der dpa mit und plädiert auf Fehlinterpretation. Dabei bemerkt er aber bemerkenswert selbstkritisch:

„Als Richter muss man sich aber auch Kritik gefallen lassen und auch als Anlass nehmen, eigene Verhaltensweisen zu bedenken und gegebenenfalls künftig anders und unmissverständlicher zu formulieren.“

Justitia mit Blindheit geschlagen?

Schlagzeilen, in eigentümlicher Koinzidenz, aus meiner allgemeinen Hauspostille an einem x-beliebigen Donnerstag:

Physiker erweisen ihre gesellschaftspolitische Relevanz, indem sie Dynamiken des Hasses innerhalb rechtsextremer Neztwerke untersuchen und auch Gegenmaßnahmen entwerfen.

Rechtsextreme Netzwerke : Wie stoppt man den Hass?

Rechtsextreme Netzwerke stiften im Internet immer wieder zu blutigen Taten an. In einer neuen Studie untersuchen Physiker die Dynamiken des Hasses – und entwickeln vier Strategien dagegen.

Davon unabhängig gedenkt die Hessissche Landesregierung, ein Melderegister über Hass-Kommentare im Netz zu installieren; vielleicht, um die mutmaßlich sehr hohe Dunkelziffer solcherlei Äußerungen einmal publik zu machen.

Hass-Kommentare : Hessen geht gegen Hetze im Netz vor

Um Hass-Kommentare im Internet zu bekämpfen, will die hessische Landesregierung ein Meldesystem aufbauen. „Auch im Netz ist die Würde des Menschen zu wahren“, betont Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).

An sich aller Ehren wert, doch dürften dem ganz praktische Hürden im Wege stehen: Denn wer soll all die verborgenen Verbalentgleisungen eigentlich aufspüren und was geschieht hernach damit? Ganz abgesehen von einer allgemeingültigen und stichhaltigen Definition, was einen Hasskommentar eigentlich ausmacht.  Und damit sind wir bei der eigentlichen Frage angelangt. Denn das Landgericht trat am selben Tag mit einem aufsehenerregenden Urteil hervor:

Hass-Posts gegen Renate Künast : Erlaubt ist alles

„Stück Scheiße“, „Schlampe“, „Drecksau“ – solche und noch krassere Kommentare prasselten auf Renate Künast ein. Das Landgericht Berlin sieht darin keine persönliche Schmähung, sondern nur zulässige Sachkritik.

Zunächst ist ganz generell festzuhalten, daß eine unabhängige Justiz ein hohes Gut darstellt und unter allen Umständen zu verteidigen ist. Zudem sind alle vor dem Gesetz gleich und niemand kann ein Urteil so mir nix, dir nix bestellen. Denn wir Deutsche haben leidvolle Erfahrungn gemacht mit vorauseilendem Gehorsam in der Rechtsprechung. Und positiv hervorzuheben ist bspw. auch die Tendenz in der aktuellen Rechtsprechung, Raser, welche bei illegalen Autorennen den Tod unbeteiligter Dritter verschulden, neuerdings des Mordes anzuklagen. Hierbei ergingen bekanntlich auch die ersten Verurteilungen.

Außer Frage steht jedenfalls die außerordentliche Rolle der Rechtsprechung für ein gedeihliches MIteinander aller Bürger untereinander. Da nimmt es freilich umso mehr wunder, wie das besagte Landgericht zu Berlin gerade jenes Verhalten höchstrichterlich sanktioniert, welches die beiden zuvor genannten Akteure wirksam einzuhegen versuchen. Unsere politische Kultur ist seit dem Auftreten der blauen Deutsch-Alternativen und Ihrer Brüder und Schwestern im Geiste nachhaltig vergiftet. Und das Erschreckende daran ist weniger das, was tatsächlich angesprochen, sondern vielmehr, wie es ausgeprochen wird. Und wie rücksichtlos dabei mit dem politischen „Gegner“ umgegangen wird. Als ob es sich um einen Kampf auf Biegen und Brechen handele, welcher nur mit der völligen Niederlage des Kontrahenten enden könne. Carl Schmitt und Konsorten lassen grüßen. Aller Orten werden mittlerweile engagierte Kommunalpolitiker bedrocht und auch tätlich angegriffen. Im Juni diesen Jahres wurde gar der Kasseler Regierungspräsident Walter Lübke ermordet. Bisweilen scheint es, als ob hier systematisch ein Klima der Angst erzeugt werden solle. Derlei physischen Gewaltakten voraus geht dabei häufig ein verbales Trommelfeuer, das die Grenzen des bislang Sagbaren nach und nach, noch unmerklich zunächst, sprengt und den Diskurs nachhaltig verroht. Beinahe fühlt man sich an Weimar erinnert, an (rechte) Klassenjustiz gegen Demokraten und Linke. Und an die bekanntesten Opfer solcher medialer Hetze, Matthias Erzberger und Friedrich Ebert. Der eine bezahlte diesen Kampf gegen Beleidigung und Verleumdung direkt mit seinem Leben, der andere mit seiner Gesundheit.

Nun ist Berlin (noch?) nicht Weimar. Gleichwohl kann es einem  ineressierten Zeitgenossen bisweilen angst und bang werden ob solcher Entscheide. Art. 1 GG in seinen Absätzen besagt bekanntlich:

(1) Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

(2) Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten als Grundlage jeder menschlichen Gemeinschaft, des Friedens und der Gerechtigkeit in der Welt.

(3) Die nachfolgenden Grundrechte binden Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht.

Die Grenze dessen, was durch freie Meinungsäußerung gedeckt ist, sollte also durch die Würde eines jeden Menschen, egal welchen Geschlechts, welcher Hautfarbe, welcher Herkunft, welcher Religion, welcher Überzeugung etc., eindeutig markiert sein. Doch diese wird hier bei weitem überspannt. Denn das Urteil jenes Landgerichts gegen Renate Künast stellt nichts anderes als einen Freibrief dar, überhaupt alles über alle und alles sagen zu dürfen. Denn beim besten Willen läßt sich wohl nicht bloß meines Erachtens nach in Äußerungen wie den obig zitierten keine zulässige Sachkritik mehr erkennen. Ganz im Gegenteil, bedeutet solch ein ignorantes Zu-Kreuze-Kriechen vor einer verabsolutierten Meinungsfreiheit letzten Endes nichts anderes als sehenden Auges die bürgerliche Ordnung aufzugeben.

Eine Pointe indes noch zum Schluß: Bekanntlich handelt es sich bei unserer Bundesrepublik ja um einen demokratischen Rechtsstaat, was, wie bereits erwähnt, auch besagt, daß vor dem Gesetz alle gleich sind. Wer oder was sollte künftig also einen Angeklagten, einen Verurteilten, einen Prozeßbeteiligten, einen Prozeßbeobachter, einen Kommentator oder schlichtweg Otto Normalverbraucher und Lieschen Müller daran hindern, den zuständigen Richter als Person der Öffentlichkeit in zulässiger Sachkritik an seiner Verhandlungsführung oder seinem Urteil bspw. als „Hurensohn“ oder „olle Toppsau“ zu bezeichnen und zu bedrohen?

PS, 09.10.2019: Die Blindheit ist wohl weiter verbreitet als man denken sollte angesichts zahlreicher Parlamentarierinnen des Bundestags, welche laut einer Umfrage durch die ARD Opfer von „Hate Speech“ geworden sind. Hat Deutschland etwa ein Problem mit einer indifferenten oder misogynen Rechtsprechung, ist die Justiz in Berlin eventuell gar unterwandert von rechten Richtern?

PPS, 28.04.2020:

Der vorerst letzte Akt dieses Dramas: Künast gewinnt gegen rechten Blogger

Welch Demokratie-Verständnis

Laut einer aktuellen EMNID-Umfrage im Auftrag der BamS stehen über ein Drittel (36%) bzw. ein Viertel (26%) der Erosion, dem Absterben der einstigen Volksparteien SPD und CDU positiv gegenüber, halten sie offenbar für verzichtbar. Und die Hälfte vermag in dieser Entwicklung gar einen Gewinn für die Demokratie zu erkennen. Worin dieser denn konkret bestehen mag, darüber schweigt sich der Artikel einer überregionalen Tageszeitung allerdings aus. Also spekulieren wir einmal.

Ganz grundsätzlich hat man wohl bei der hohen Zustimmungsrate für die weiter drohende Marginalisierung von Schwarz-Rot auch einen verspäteten Strafzettel für die damaligen und auch aktuellen Groß-Koalitionäre und ihre Politik der offenen Türe angesichts der Massenflucht nach Zentral- und Nordeuropa im Jahr 2015 in Rechnung zu stellen. Und in der dauerhaften Begrenzung der ehedem erfolgreichen beiden Volksparteien mit teils großer Historie auf bundesweit unter 30 bzw. gar 20 % ließe sich allenfalls dann ein Vorteil für die Demokratie erblicken, wenn bis dato kleinere Parteien dementsprechend ihre Attraktivität steigern können oder es neuen Parteien gelingt, in die Parlamente einzuziehen. Mit der zunehmenden Individualisierung und Ausdifferenzierung parallel gehend, würden demnach also mehr Meinungen im öffentlichen politischen Diskurs repräsentiert und dieser damit erweitert. Oder aus einer anderen Perspektive betrachtet, könnte der Stimmbürger folglich unter mehreren erfolgversprechenden (in dem Sinne, daß „seine“ Partei den Einzug in die Volksvertretung schafft) Möglichkeiten wählen.

Soweit der theoretische Idealfall. Die Realität dürfte aber vermutlich ganz anders aussehen. Denn mit hoher Wahrscheinlichkeit hätten wir es mittelfristig statt mit ein, zwei hoch-integrativen Volksparteien, die gerade darum das „Volk“ in ihrer Bezeichnung tragen, weil sie in der Lage sind, verschiedene Schichten und Milieus und also Meinungen, Überzeugungen und Interessen zusammenzubinden und auszugleichen, in solchem Falle eher mit vier, fünf, sechs oder noch mehr sogenannten One-Topic-Parteien zu tun. (Falls sich nicht noch die Grünen auf der einen und die AfD auf der anderen Seite auf Dauer zu den Erben von SPD resp. CDU aufschwingen). Verhältnismäßig kleine Einheiten, die sich allenfalls zwei, drei Herzensangelegenheiten, Partikularinteressen einer spezifischen Klientel, auf ihr Panier schreiben. Um eine ähnlich hohe Kohäsion und Integration zu generieren, neigen solche Parteien denn auch eher zu Maximalforderungen und sind häufig also weniger zu Kompromissen in der Lage. Damit einher gingen u. U. auch Nebenwirkungen wie Verpöbelung und Popularisierung. Die unweigerlich daraus folgende Konsequenz wäre also gerade nicht eine wie auch immer geartete Chance für die Demokratie, sondern ganz im Gegenteil deren Lähmung und Stillstand, weil Regierungsbildungen ohne klare Mehrheiten mangels großer Parteien samt einem Juniorpartner immer langwieriger und komplizierter würden. Wären jene Koalitionen dann nach Monaten endlich im Amt, litten sie aber mutmaßlich von Beginn an unter Instabilität, weil stets mit Querschüssen aus den eigenen Reihen zu rechnen wäre. Als Fazit ließe sich somit ziehen, daß sich eine Hälfte der Deutschen leider Gottes eher auf einen Weg vorwärts in die Vergangenheit zu begeben scheint  …

Abschließend ließe sich noch fragen, wieso eine derartig delikate Frage ausgerechnet eine Woche vor einer bedeutsamen Landtagswahl lanciert wird. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.