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Wenn die Tagesschau Geschichte macht …

15.04.2018, Sonntagabend, ARD, prime time, die Tagesschau, ca. 20:09h: Sprecher Thorsten Schröder berichtet über eine Gedenkveranstaltung anläßlich der Wiederkehr der Befreiung des Konzentrationslagers Bergen-Belsen vor nunmehr dreiundsiebzig Jahren. Dabei sagt er einen nachgerade merk-würdigen Satz: „Dort kamen während der NS-Zeit mindestens 52.000 Menschen zu Tode …“ Ach wie niedlich, zu Tode kommen, wie herrlich unbestimmt! Schwappte da vielleicht tragischerweise ein Tsunami von der Nordsee bis in die niedersächsische Tiefebene hinein und riß Tausende in den Tod? Oder irgendwelche andere Naturkatastrophen brachen über die bemitleidenswerten Insassen herein? Welch namenloses Schicksal kam da denn über die Opfer, welch tödlicher Zufall? Irgendwelche Täter, irgendwelche Verantwortliche? Iwo!  – Mitnichten, ERMORDET wurden sie! Und zwar VON DEUTSCHEN, muß es heißen, Herr Schröder, wir wollen die Wahrheit schon beim Namen nennen! (Bewußt wird hier frelich der bestimmte Artikel Dativ Plural „den“ nicht verwendet und auch nicht bloß von den sonst üblichen „Nazis“ gesprochen, denn wir sind ja trotzdem um Differenzierung bemüht …). Man fühlt sich jedenfalls sogleich an den berühmt-berüchtigten Aussetzer der Eva Herman erinnert, welche vor Jahren an gleicher Stelle  Dachau als das „erste von Amerikanern (!) auf deutschem Boden (!) errichtete (!!!) Konzentrationslager(!)“ bezeichnete. Was ist das nun: ein einmaliger, zwar fataler, gleichwohl im Grunde auch läßlicher Ausrutscher, oder spricht aus dieser Äußerung doch eher Ignoranz, Geschichtsvergessenheit, blanker Zynismus, Revisionismus, die neue öffentlich-rechtliche Geschichtspolitik gar? Liest denn da kein Redakteur mit etwas historischem Sachverstand, mit Sprachgefühl und Verantwortungsbewußtsein gegen? Es ist jedenfalls Wasser auf die Mühlen der Kubitscheks, Pegidalichen, Jung-Freiheitlichen, AfDler, Reichsbürger, Echo-Antisemiten und aller anderen verbohrt Deutschtümelnden. Und als betroffener Beobachter fragst Du Dich dann bisweilen doch: Deutschland wohin?

PS, 23.04.2018: Worin die folgenden Zahlen ihre Basis haben, entzieht sich meiner Kenntnis, ich halte sie aber leider für realistisch – und also äußerst bedenklich! Es fügt sich jedenfalls in das obig beschriebene Gesamtbild.

„Was ist mit denjenigen Bundesbürgern, immerhin sechs Prozent der Gesamtbevölkerung, die einem geschlossenen antisemitischen Weltbild anhängen? Was mit den 20 Prozent, die für einen Schlussstrich eintreten?“

 

Die Vorher-Nachher-Show oder Faschisierung des öffentlichen Raumes

Meine Geburtsstadt, vorher:

Vorher – der „alte“ Platz der alten Synagoge

 

Ein Platz im Rechteck, nach Süden und Osten hin durch Kollegiengebäude der hiesigen alma mater begrenzt, in den anderen Richtungen durch Gehweg und Straße. Eine ausgedehnte durchgehende Grünfläche, auf zwei Seiten eingefaßt von einer niedrigen Mauer, welche als Sitzgelegenheit dient. Am nördlichen Ende ein Obelisk zum Gedenken an einen Sohn der Stadt, Karl von Rotteck (1775-1840), liberaler Politiker, Staatswissenschaftler und Historiker (Dieser vertrat eine aus heutiger Sicht problematische Position bezüglich der Judenemanzipation; für damalige Verhältnisse war eine solche Haltung indes durchaus nicht unüblich). Einige Meter davor ein gelbes Hinweisschild nach Art der Straßenverkehrszeichen, Richtung und Entfernung nach Gurs / Frankreich angebend; ein Ort in den Pyrenäen, wohin im Oktober 1940 die badischen, pfälzischen und saarländischen Juden von den Nationalsozialisten nach der Niederlage Frankreichs im Juni jenen Jahres deportiert wurden.

Vorher – Rottteck, KG II & das Gurs-Schild

 

Am südlichen Ende schließlich eine Gedenkplatte in Erinnerung an den vormaligen Standort der von den lokalen NS-Größen in der Reichspogromnacht (09.11.1938) zerstörten Freiburger Synagoge.

Von Landesarchiv Baden-Württemberg, CC BY 3.0 de

Vorher – die alte Synagoge (1926) / Von Landesarchiv Baden-Württemberg, CC BY 3.0 de

 

Vorher – die Gedenkplatte zur alten Synagoge

 

Vorher – die Gedenkplatte / Von © Jörgens.mi /, CC BY-SA 3.0

 

Der Name: Platz der alten Synagoge. Ein Ort der Erinnerung und Mahnung mithin, vernachlässigt gewiß und ziemlich verschlafen, aber beschaulich auch, im besten Sinne also lang-weilig; eine Stätte des Innehaltens zwischen Großstadt-Treiben, Verkehr und kühlem akademischen Betrieb. Ein Platz, der eine behutsame Rekonstruktion und Modernisierung dufchaus verdiente, aus Respekt vor der Geschichte, vor den (jüdischen) Opfern des Nationalsozialismus.

 

Nachher, im August 2017:

Nacher — der „neue alte“ Platz bei der Übergabe (02.08.2017)

 

Besagter Platz wurde nun im Zuge des Stadtbahnausbaus und der Aussperrung des Durchgangsverkehrs tatsächlich umgestaltet und Anfang diesen Monats der Öffentlichkeit übergeben. Und man kann sagen, es wurde ganze Arbeit geleistet. Das Grün ist größtenteils verschwunden; zwei, drei dürre Bäumchen auf den Stirnseiten vermögen ihre Alibi-Funktion kaum zu kaschieren, zumal sie vom Boden an über den ersten Meter jeweils eingekastelt sind durch ein Sitzpodest aus Holz. Der Platz ist nun von allen Seiten aus zwar problemlos begehbar, gleicht mit seinen beigen Steinplatten indes einer wüsten Ödnis. Der Rotteck ist offenbar zur persona non grata erklärt, der Mahn-Weiser nach Südfrankreich gleichfalls mittlerweile unerwünscht. Zum Theater hin gen Westen spritzen stattdessen mehrere Wasserspiele auf zur Erquickung von Hund, Kind und Kegel. Gen Südwesten zu nun das Herzstück der Neuanlage, ein permanent überlaufendes Wasser-Bassin, das in seinen Maßen dem Grundriß der alten Synagoge nachempfunden ist. Darinnen, kaum zu erkennen, die alte Gedenkplatte, ertränkt – um sie herum sabbernde Hunde, planschende Kinder und diese knipsende entzückte Erwachsene. Im Übrigen keinerlei erhellende Angaben, was es mit diesem Orte, seiner Bedeutung und seiner Geschichte eigentlich auf sich hat, nirgends.

Von Markus Wolter - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0

Nachher – der „Gedenkbrunnen“ bei der Übergabe, im Hintergrund die neue UB / Von Markus Wolter – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0

 

Nichts anderes als ein hitze-strahlender neuer Aufmarschplatz, der nicht atmet, der ohne Leben, ohne Farbe ist, ohne Identität, der keinen echten Widerhaken bietet für das Auge. Stattdessen vor Öde und Leere nur so trieft, vor Kälte, vor Härte. Kongenial bildet er daher nun eine Einheit mit dem im wahrsten Sinne des Wortes blendenden Monolithen der neuen hiesigen Universitätsbibliothek (UB) – in Stein, Glas und Beton gehauener Nihilismus, Faschisierung des öffentlichen Raumes in der Vertikalen wie der Horizontalen. (Stein)platt(e) gemachte Geschichte, Verwässerung des Geschehens, Verplanschung des Gedenkens (resp. Vereisung, denn eine besonders intelligente Zeitgenossin entblödete sich nicht vorzuschlagen, das Wasser-Bassin winters in eine Eisbahn umzuwandeln …).

Gegen begehbare, erfahrbare Mahnmale ist ja zunächst überhaupt nichts einzuwenden. So ist das Stelenfeld in Berlin, das nationale Hoocaust-Mahnmal, mit der Zeit auch zu einem Besuchermagneten geworden. Und es wird immer Menschen geben, die aus Unwissenheit oder Indifferenz (oder etwa Beklemmung?) sich für Dritte irritierend verhalten. Jenem Monument in seiner langsam ansteigenden Monströsität – als solche wiederum auch anfechtbar – ist freilich eine ernsthafte Intention, welche zum Ge-Denken herausfordert, durchaus abzulesen. Derweil das Freiburger Planschbecken vielleicht gut gemeint war, in seiner schlußendlichen Ausführung jedoch sein Heil allein in der oberflächlichen Zerstreuung sucht und also auf ganzer Linie scheitert. Die Stadt ist dabei Wiederholungstäter, man denke bloß an die unselige, da dermaßen inkonsequente Änderung von Straßennamen: Avanti, Dilletanti!

Und Stadtväter wie Rat, allesamt allzu laissez-faire-grün-bewegt, geben sich auf einmal ach so überrascht, daß ihre notorisch feiersüchtige und spaßwütige Bevölkerung das Gelände okkupiert, die Stadtreinigung tagsüber daher Extra-Touren über den Platz fegen und frühmorgens erst einmal die delikate Hinterlassenschaft der nächtlichen Gelage entsorgen darf. Doch Party-People sind heutzutage ja auch künstlerisch veranlagt und verewigen sich in hochprozentiger Laune gerne gekritzelt auf den Steinplatten. Weshalb sich die Stadtverwaltung nun genötigt sieht, hierfür eine spezielle Reinigungsmaschine über mehrere Hunderttausend Euro anzuschaffen. Ganz zu schweigen von der peinlichen Posse um die Namensgebung (warum nicht einfach den alten Namen beibehalten?) und die unsensible Terminierung der späteren öffentlichen Einweihung unter quasi-Ausschluß der jüdischen Gemeinde. Allüberall mithin (bewußte?) Geschichtsvergessenheit, oben wie unten, hier wie dort (Berlin läßt momentan bekanntlich das Stadtschloß wiederauferstehen, in Potsdam droht derweil neuerdings der Wiederaufbau der Garnisonskirche). Da beschleicht einen bisweilen unwillkürlich der Verdacht, daß wir eben doch deutschlandalternativer gestimmt sind, als weite Teile von uns sich gemeinhin eingestehen wollen. Denk ich also an Deutschland in der Nacht …