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Zivilisation, welche Zivilisation?

Violette Endivien                                                                                                                       Steglitz

Ich trat in ein üppiges Schlemmergeschäft ein, weil eine im Schaufenster ausgestellte, ganz besondere violette Art von Endivien mir aufgefallen war. Es überraschte mich nicht, daß der Verkäufer mir erklärte, die einzige Sorte Fleisch, für die dieses Gericht als Zukost in Frage käme, sei Menschenfleisch – ich hatte das vielmehr schon dunkel vorausgeahnt.

Es entspann sich eine lange Unterhaltung über die Art der Zubereitung, dann stiegen wir in die Kühlräume hinab, in denen ich die Menschen, wie Hasen vor dem Laden eines Wildbrethändlers, an den Wänden hängen sah. Der Verkäufer hob besonders hervor, daß ich hier durchweg auf der Jagd erbeutete und nicht etwa in den Zuchtanstalten reihen- weise gemästete Stücke betrachtete: »Magerer, aber – ich sage das nicht, um Reklame zu machen – weit aromatischer«. Die Hände, Füße und Kopfe waren in besonderen Schüsseln ausgestellt und mit kleinen Preistäfelchen besteckt.

Als wir die Treppe wieder hinaufstiegen, machte ich die Bemerkung: »Ich wußte nicht, daß die Zivilisation in dieser Stadt schon so weit fortgeschritten ist« – worauf der Verkäufer einen Augenblick zu stutzen schien, um dann mit einem sehr verbindlichen Lächeln zu quittieren.

Jünger, Ernst: Violette Endivien, in Ders: Das Abenteuerliche Herz. Zweite Fassung: Figuren und Capriccios, Stuttgart 2010 (EV 1938), S. 18.

 

Das rechte Maß

Das rechte Maß

Wilde Schwermut

bei der Erinnerung

an Zeiten des Glückes.

Das Maß des Lebens und der Liebe

nicht bis zum Rande gefüllt?

 

Jäher Schrecken –

schon ein Glücksfall

in kleinen Gemeinschaften

dahinleben.

Das Füllhorn reich geöffnet.

 

Ein Montage-Gedicht

Basierend auf: Ernst Jünger (1939): Auf den Marmorklippen. Roman, Berlin 20068, S. 5.

Inspiriert durch Großstadtpoetin