oder wo schmucke Innenhöfe zum Verweilen einladen.
„Z‘ Friburg in de Stadt,
sufer isch’s un glatt“.
(Johann Peter Hebel)
– von wegen!
Photographie © LuxOr
Der leibhaftige Anti-Christ?
Der Tanz auf dem Vulkan?
„Pathologische Verdrängung“?
Das unbekannte Wesen in einem jeden von uns?
Abgründe der Spaßgesellschaft
Photographierte Reiseerinnerungen spiegeln häufig wohl doch bloß eine geschönte, um nicht zu sagen eine „unehrliche“ Realität paradiesischer Zustände wider, in der sich zivlisiert gebende Menschen, ineins mit der Natur, milde lächelnd und wohl temperiert Erholung und Erbauung suchen. Die Wahrheit schaut dann oft eher anders, nämlich fratzig aus. Ähnlich wie die eventualisierte Fasnet mit ihrer maskierenden Transformation wirkt der Ski-Zirkus-Tourismus, indem er den respektive das geneigte Haserl aus dem angepaßten Alltag in den komplett anderen Referenzrahmen der künstlichen Sorglosigkeit einer befreienden Almwelt versetzt, offenbar überaus enthemmend. Ein Virus hat hier demnach auch leichtes Spiel. Wer sich, auch infolge von Gruppendynamik und reichlich fließendem Alkohol, also so weit gehen lassen kann, ist auch zu ganz anderen Taten imstande.
Corona-Ausbruch in Ischgl : Einen Instinkt fürs Tier
- –Aktualisiert am
Warum das Coronavirus ausgerechnet in Ischgl perfekte Bedingungen vorfand, zeigen die Bilder des Fotografen Lois Hechenblaikner. Ein Interview mit dem Kronzeugen des institutionalisierten Wahnsinns.
Als „fotografischer Thomas Bernhard“ wurde der Tiroler Lois Hechenblaikner immer wieder mal bezeichnet, einer, der dahin geht, wo es weh tut und schonungslos mit seiner Kamera draufhält. 26 Jahre lang hat er in seiner Heimat den Après-Ski-Exzess fotografiert. Das Fotobuch „Ischgl“ zeigt nun das abgründige wie abstoßende Ergebnis. Und wer die Bilder sieht, versteht schnell, warum sich das Corona-Virus von Ischgl aus nach ganz Europa verbreiten konnte.
War Corona die Strafe Gottes für die sündhaften Skifahrer?
Jaja, das ist schon so. Ein Freund von mir hat Ischgl mal als die Partnergemeinde von Sodom und Gomorra bezeichnet. Aber nach dem Corona-Ausbruch taten alle so, als könnten sie nix dafür. Das ist dann der alpine Scheinkatholizismus.
(…)
Lois Hechenblaikner: „Ischgl“, Steidl Verlag, Göttingen, 2020
I want to ride my bicycle …
Es ist noch gar nicht so lange her, da ächzten Verantwortliche auf der Urlaubsinsel Mallorca über den kaum mehr zu stemmenden Andrang von Touristen auf ihrem Eilande. Angesichts ihres teils fragwürdigen Verhaltens besonders beliebt waren (und sind) dabei auch Gäste aus Großbritannien. So erschall dann auch der Ruf nach Begrenzung oder (Um-)Lenkung der Besucherströme. Im Verein mit Amsterdam oder Venedig wurden jedenfalls im Zuge dessen Begriff und Phänomen des Overtourism einer breiteren Öffentlichkeit bekannt.
Nun hat allerdings vergangenes Wochenende den ältesten Reisekonzern der Welt das Falliment ereilt. Das heißt zwar zunächst, die Herausforderung, tausende gestrandete Urlauber urplötzlich „evakuieren“ zu müssen, zu bestehen. Doch gleichzeitig bleibt ein weiterer Ansturm vergnügungssüchtiger Heerscharen von Urlaubern erstmal aus, insbesondere eben auch von der britischen Insel. Welch eine glückliche Fügung für die geschundene Insel, möchte man also meinen. Die Atmosphäre dort unten beruhigt sich nachhaltig und die Atmosphäre dort oben wird durch den Wegfall einer gewissen Anzahl von Ferienfliegern auch einmal etwas entlastet. Doch was machen die Verantwortlichen vor Ort? Fallen sogleich zurück in alte Muster und wissen nichts anderes als sich über mutmaßlich zu erwartende Verluste zu beklagen. Was wollen die denn nun eigentlich? Im Zweifel eben immer für den eigenen Geldbeutel …
PS, 25.09.2019: Wie ich gerade vorhin erst erfahren habe, war die Pleite des ollen Vergnügungsdampfers Thomas Cook der ARD doch tatsächlich ein akueller „Brennpunkt“ wert. Und nicht etwa der UN-Klimagipfel in New York, wie man eigentlich denken würde …
Kürzlich im Restaurant, Abendessen, gut-bürgerlich, einfach lecker. Der Alte-Herren-Freund phantasiert, er wolle einmal auf Weltreise gehen, den Horizont zu erweitern. Zugegeben, ich machte ihm seinen Tagtraum sogleich etwas madig, denn ich zog entschieden in Zweifel, ob solch Er-Fahrung heutzutage überhaupt noch möglich sei. Denn ist nicht beinah der gesamte Globus ein einziges Dorf? Hat sich nicht eine einzige Kultur, nämlich die kapitalistisch-westliche, nahezu aller Orten durchgesetzt und ist nicht der gesamte Erdball medial-pop-kulturell durch-amerikanisiert? Und herrschen nicht all überall ähnliche Alltagsvergnügungen oder Konsumwünsche vor, nähern sich nicht Perspektiven und Ziele stetig einander an? Wo kann man da ernsthaft noch auf Horizonterweiterung rechnen?
Ja, in den Elendsvierteln Südamerikas oder Südostasiens vielleicht, ganz zu schweigen vom gesamten afrikanischen Kontinent. Oder unter den Diktaturen dieser Welt abseits etwaiger Besucherströme. Aber diese Destinationen gehören wohl nicht gerade zu den Hotspots einer Weltreise. Ausnahmen davon mag es tatsächlich geben. Doch muß ich hierfür extra, sagen wir mal, in den australischen Busch aufbrechen oder zu einem Ashram nach Indien?
Außerdem nimmt man auf derlei Auszeiten wohl allzu häufig Speisen zu sich, welche einem von der Heimat her bekannt sind. Oder zumindest solche, welche dem westlichen Gaumen angepaßt sind. Und greift beim Einkauf resp. Shopping auf die üblichen Globalmarken zurück, welche in der Fremde (welche Fremde?) allenfalls unter einem anderen Namen firmieren. Und die Andenken-Industrie bietet auch wenig anderes denn folklorisierenden Kitsch feil. Und ich brauche auch keine bedrohten Tierarten – Wale, Eisbären od. dgl. – aus nächster Nähe in sogenannter „freier“ Wildbahn zu erleben. Ihnen ist mehr damit gedient, wenn sich der Mensch an ihrer nackten Existenz vom heimischen Sofa aus erfreut. Und wie vielen der Aktivitäten, die man dorten denn so betreibt, kann man nicht auch genauso gut im Heimatlande frönen? Und werden nicht die eigentlich erinnerungswürdigen Eindrücke, Augenblicke und Begegnungen durch eine schiere Reduplikation des Wunderbaren und Außergewöhnlichen in einer Art Endlosschleife letztlich allesamt dauerhaft entwertet?
(Welt-)Reisen scheinen daher häufig nichts anderes zu sein denn ein auf Dauer gesetzter Konsum materieller wie immaterieller Werte, ein einziger über Gebühr ausgedehnter Ego-Trip. Was unweigerlich in einer Übersättigung – ohnehin ein Charakteristikum unserer Zeit – resultiert, und also die eigentliche Absicht ad absurdum führt. Man mag schließlich zur Schau stellen, was man sich (vermeintlich?) leisten kann. Um sich aber noch irgendwie von der Masse abzusetzen, sucht man sich immer exotischere Reiseziele und dehnt die Reise-Abwesenheit immer weiter aus. Hierfür werden die letzten weißen Flecken der Welt-Tourismus-Karte weltmarktkonform gemacht, sei es nun der Kaukasus, Amazonien, Zimbabwe die arktische oder die Region um den Baikalsee. (Und mit dem Kosmos wartet bereits das nächste große Tourismus-Event auf solvente Exzentriker.) Und die schöne, bunte Netzwerkwelt bietet hierfür auch eine passende Bühne für like-able Selbstdarstellung und -vermarktung, mitunter jedoch hochnotpeinlich. „Ich und der Eiffelturm“, das war einmal, heute muß es mindestens „Ich auf der Golden Gate“, „Ich im Taj Mahal“, „Ich vor dem Ayers Rock“ heißen, wenn nicht gleich „Ich in Abu Ghraib“ oder „Wir in Auschwitz, Smiley“.
Darüber haben wir freilich die Bindung, das Gespür, das Interesse an dem verloren, was man heutzutage wohl als die Welt des Dazwischen bezeichnen muß. Es existieren bloß noch Ziele, der Weg dorthin ist allenfalls notwendiges Übel, das Dazwischen wird abgehängt. Reisen ehedem, selbst noch zu Anfangszeiten der Eisenbahn mit ihrer vergleichsweise geringen Geschwindigkeit, war dagegen noch ein ganzheitliches, geradezu synästhetisches Erlebnis. Will heißen, der Weg war hier beinah schon das Ziel, weil beschwerlich genug. (Regen wir uns derweil heutzutage über Verspätungen oder ganze Ausfälle von Verkehrsmitteln aufgrund höherer Gewalt oder technischen Versagens auf, ist das vergleichsweise Jammern auf höchstem Niveau.) In gemächlichem Tempo zogen Ansiedlungen, Städte, Landschaften an einem vorüber. Eine Erfahrung zu schauen, zu hören und zu schmecken. Man war überdies in beengten Verhältnissen unterwegs und kam dadurch leichter über das Geschaute und darüber hinaus ins Gespräch. Heute starrt die Mehrheit indes mit gesenktem Kopf auf einen Bildschirm, oder mit einem Kopfhörer bewehrt ins Leere.
Und ganz allgemein, das Reisen um des Reisens willen, oder aus „nichtigem“ Anlaß, mal schnell zu Konzert und Party nach London, zum Coiffeur nach Paris, zum Couturier nach Milano, zum Wochenend-Kurztrip nach Stockholm, dann hier noch ein Kongreß, da ein Sport-Event oder ein Kultur-Ereignis, dort eine Lustreise, scheint sich in unseren Tagen überdies jedenfalls zu einem unhinterfragten Grundrecht entwickelt und verselbständigt zu haben. Erkennbar auch daran, daß die Personenfreizügigkeit einen Grundpfeiler der europäischen Vergemeinschaftung darstellt. In historischer Perspektive, man denke nur an den ehemaligen „antifaschistischen Schutzwall“, in der Tat ein hohes Gut. Nachhaltig befördert durch neoliberale Deregulierungen im Transportgewerbe, insbesondere im Flugverkehr, hat diese unbeschränkte Mobilität mittlerweile allerdings ein solches Ausmaß angenommen, daß man darin kaum mehr als einen kollektiven Drang nach Bespaßung oder Betäubung zu erkennen vermag – Opium, der globalen Kultur- und Sport-(TV-)Industrie ähnlich. (Was letzteren Punkt betrifft, ist der Schreiber dieser Zeilen stets hocherfreut, wenn wieder einmal die Bevölkerung einer Stadt die von lokalen Potentaten anvisierte Bewerbung um die Austragung Olympischer Spiele in einem Volksentscheid ablehnt.). Schon macht das Schlagwort von „Overtourism“ die Runde, erst Mallorca, nun bspw. auch Berlin. Lemmingen gleich, machen sich alle übers Jahr wiederholt auf die Reise. Und schert man aus diesem Herdentrieb doch einmal aus, wird man auch noch scheel von der Seite angeschaut. Welche Regierung oder supranationale Organisation wagt da schon, an dieses Treiben Hand anzulegen, durch höhere Preise resp. Gebühren und Steuern, auch zum Wohle der Umwelt, etwa? Denn dann sind die Reihen schnell geschlossen in der Verteidigung der bürgerlichen Freiheit, wird umstandslos mit der Keule von angeblich ansonsten bedrohten Arbeitsplätzen geschwungen. Ohne freilich zu registrieren, daß man mit seinem uneinsichtigen Gebaren letztlich an dem Aste sägt, auf dem man selber sitzt.
Szenenwechsel: Gottesdienst eines Sonntagabends. Der Pfarrer predigt von einer Begebenheit während einer Jugendfreizeit in den Schweizer Alpen – ebenfalls unter dem Motto der Horizonterweiterung. Die Gruppe machte sich auf zu einer Nachtwanderung, einen Mondaufgang über einem Bergsee in der Abgeschiedenheit und Einsamkeit der Dunkelheit zu erleben. Die Teilnehmer mußten hierfür offenbar ziemlich viel Geduld aufbringen, denn das Nachtgestirn zierte sich wohl recht lange. Aber dann wurden sie umso reicher belohnt. Wie der Mond erst langsam über die Gipfel schlich und sich schließlich majestätisch über die Berge erhob, diese stimmungsvoll konturierend, um sich schließlich erhaben im Bergsee zu spiegeln. Dies muß ein eindrucksvolles Schauspiel gewesen sein. Denn eine junge Frau rief, offensichtlich von Rührung übermannt, unwillkürlich aus: „Gott ist groß.“
Solch eine Erfahrung läßt sich im Grunde an jedem beliebigen Ort erleben; Gewässer, Erhebungen oder Waldungen finden sich auch andernorts. Und andere Menschen, die sich von einer derartigen Szenerie ebenfalls ergreifen lassen. Oder überraschende Begegnungen, ein Plausch auf einer Bank am Wegesrand, der noch lange nachhallt, vermögen unseren Horizont zu erweitern. Und das scheint mir schließlich auch die eigentliche „Wahrheit“ zu sein. Es kommt absolut nicht darauf an, möglichst die entlegensten Flecken unserer Erde heimzusuchen. Nein, es kommt stattdessen allein auf die innere Haltung an, die individuelle Bereitschaft, Eindrücke, die einem der „göttliche“ Zufall vor der eigenen Haustüre schenkt, überhaupt demütig anzunehmen und auf sich wirken zu lassen. Und dann ist die Welt unter Umständen wieder ein kleines Stückchen bunter und liebenswerter. Es kommt nur auf uns an.
Postscriptum: Damit keine Mißverständnisse aufkommen, ich wende mich nicht generell gegen das (Welt-)Reisen, gegen eine euphemistische Etikettierung dessen freilich schon. Mich würde, neben einer ausgedehnten Tour durch Skandinavien oder Kanada, beispielsweise reizen, einmal die Weiten Sibiriens zu entdecken, und dabei vor allem auch die Halbinsel Kamtschatka. Einer Weltreise auch nicht unähnlich, bedenkt man allein schon den aufwändigen Transfer. Es scheint wohl im Menschen zu liegen, das hektische und ruhelose Streben in die Weite, die Sehnsucht nach der Ferne, die Neugierde auf die Fremde. Ob das freilich unbedingt zu seiner inneren Balance und Harmonie beiträgt?
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Matthias Weisgerber online