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Drei Wochen bloß oder unverhältnismäßig über die Verhältnisse

Drei Wochen bloß haben die weltweiten Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie den sogenannten „Erdüberlastungstag“ nach hinten verschoben. Dieser wird jährlich von der Non-Profit-Organisation Global Footprint Network berechnet und ausgerufen und heuer fällt er eben auf den heutigen Samstag. Dieses Datum markiert den Zeitpunkt im Verlaufe eines Jahres, ab dem man mehr Ressourcen verbraucht hat, als bis zum Jahresende noch nachwachsen können. Allein auf Deutschland bezogen, wurde diese Linie bereits Anfang Mai überschritten.  Würden Menschen überall auf Erden so in Saus und Braus leben können wie wir Mitteleuropäer, benötigte die Menschheit ganze  d r e i  Erden, diesen gewaltigen Verbrauch auszugleichen. Wir leben also gehörig über unsere Verhältnisse.

Bild: Global Footprint Network, National Footprint and Biocapacity Accounts 2019, Foto: Imago, zit. n. FAZ

Eine Maßnahme, hier gegenzusteuern, wäre eine Kreislaufwirtschaft. Das bedeutet, Rohstoffe sollten möglichst oft wiederverwertet werden. Konsumgüter seien auf Langlebigkeit hin zu entwerfen; anstatt daß sie alsbald wieder auf dem Müll landeten – man denke beispielsweise an Wasserkocher, Bügeleisen, aber auch Smartphones (die Akkus!), Fernseher u. dgl. – , sollte der Fokus also darauf gerichtet werden, diese Produkte reparaturfähig zu machen bzw ihre einzelnen Komponenten austauschbar zu halten.

Eine solch umischtiger Umgang mit endlichen Rohstoffen muß auch keineswegs nur Mehraufwand und -kosten bedeuten. Nein, ganz im Gegenteil, wie der Artikel weiter ausführt. Denn wie

„eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) (zeige), beläuft sich das Wertschöpfungspotential durch eine Kreislaufwirtschaft in Deutschland bis 2030 auf 140 bis 200 Milliarden Euro im Jahr – vorausgesetzt, es werden mindestens 50 bis 70 Prozent der Ressourcen zirkulär wiederverwendet. Eine Kreislaufwirtschaft dieser Größenordnung braucht es nach Einschätzung der Autoren, damit Deutschland seine Ressourcen nicht übernutzt. Derzeit seien lediglich 10,4 Prozent der eingesetzten Produktionsmittel sekundäre, also wiederverwertete, Rohstoffe.

Doch die Entwicklung hierzulande geht nur schleppend voran. Selbst wenn Deutschland seine Bemühungen verdoppeln würde, wäre das Ziel einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft erst in 195 Jahren erreicht (…)“

Also handelt es sich um nichts anderes denn eine Mär, wonach wir Deutsche Recycling-Weltmeister seien. Und auch zahlreiche weitere Mitgliedstaaten der EU können laut obiger Grafik kaum als Vorbild dienen. Es gibt noch viel zu tun, packen wir es hoffentlich alsbald an und verstecken wir uns nicht andauernd hinter irgendwelchen vermeintlichen Sachzwängen oder welch ein Glück, daß Corona über uns hereinbrach?

 

 

Der Gemeinschaft in den A… getreten!

Was ist die ganze Solidargemeinschafts-PR auch über den engeren Bereich des eigenen Metiers hinaus denn wert, wenn die Fußball-Bundesliga auf Biegen und Brechen ihr Gekicke und Getrete wieder aufzunehmen gewillt ist, dabei aber anscheinend völlig außer Acht läßt, daß sie, um die Wiederaufnahme des Spielbetriebs überhaupt bewerkstelligen zu können, derzeit ohnehin rare Gesundheits-Ressourcen, die schwächeren und bedürftigeren Gliedern der Gemeinschaft folglich abgingen, vornehmlich für sich reklamiert. Zumal der Ball auch bis zum Geht-nicht-Mehr rollen mußte, als das gesellschaftliche Leben schon deutlich zum Erliegen kam. Wobei mancher Fußball-Verantwortliche noch die Chuzpe besaß und ganz alternativlos forderte, die Saison müsse unbedingt zu Ende gespielt werden. Da verhielt sich das bundesdeutsche Eishockey schon deutlich aufgeweckter.

Der Profisport, an sich schon ein Widerspruch in sich, und dabei insbesondere der Fußball, ist viel zu lange schon viel zu abgehoben – man erinnere sich bloß an goldige Autos, Gold-Steaks, extra eingeflogene „Star“-Friseure, horrende Ablösesummen und TV-Gelder (diese werden im Übrigen nicht gleichmäßig unter den Bundesligisten verteilt, wie ich in unbekümmerter Naivität lange selbst vermutete, sondern gestaffelt mit den Bayern an der Spitze und Paderborn am Tabellenende: Wer hat, dem wird gegeben …), perverse Gehälter etc. pp. Vielleicht geht das nun dem ein oder der anderen auch einmal auf. Allein der belgische Fußballverband tat das einzig Richtige und brach die laufende Saison umgehend ab. Was wiederum die UEFA ob dieses Alleinganges und Präzedenzfalles erzürnen ließ. Fürchtet sie doch um ihr Melkmaschinen-Spektakulum von CL und EL. Weißrußland kickt da schon eher nach ihrem Geschmack weiter. Daß dorten ein Autokrat am Ruder steht – geschenkt. Auch auf die EM, diese Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln, kann man folglich völlig verzichten. Die schönste Nebensache der Welt, das war vielleicht einmal …

Sollte es aber doch noch so weit kommen, daß der Staat dem Sport großzügige Unterstützung gewährt, dann bitteschön nicht den privatwirtschaftlichen Großunternehmen und den mit ihnen eng liierten Medienanbietern für ihr opiates Produkt, sondern den sich ehrenamtlich verdient machenden kleinen Vereinen vor Ort und auf dem platten Lande, die einen unschätzbaren Dienst für die Allgemeinheit leisten und damit tatsächlich „system-relevant“ sind. Die öffentlich-rechtlichen Anstalten sollten es daher fürderhin auch unterlassen, TV-Rechte für als Sportveranstaltungen deklarierte Glitzer-Shows zu erwerben. Denn für eine derartige Eventualisierung möchte ich keinen Rundfunkbeitrag bezahlen, zumal die Vergaben nach Rußland bzw. Quatar noch immer im Verdacht stehen, verschaukelt worden zu sein ..

Eine gehörige Portion modischen Zynismus zum Wochenbeginn ..

Gerade online gelesen in meiner startseitenden Hauspostille:

Das Coronavirus hat es in die Modewelt geschafft. Auf der London Fashion Week zeichnet sich zumindest ein neuer Trend ab: die aufgehübschte Atemschutzmaske. Doch hilft die überhaupt? …

Zwanghafte „Ästhetisierung“ des rein Funktionalen

Zynische Vermodung des Pathogenen

Ausschlachtung des Elends für den kurzfristigen Oha-Effekt

„Witzigkeit kennt keine Grenzen“? Erreger aber auch nicht

„Ein Symbol unserer Zeit“? Unserer kranken Zivilisation vielleicht

(Eine Regung wie MItgefühl ist der Modebranche wohl kaum zuzutrauen.)

Aber warum dann nicht ehrlicherweise – den drei Affen gleich –

zwei verschränkte Hände aufdrucken?

Erdverbunden – Ein Plädoyer*

Zusammenhänge aufzuzeigen in einer Zeit zunehmender Unübersichtlichkeit. Über den Tellerrand, den engen Horizont der einzelnen Disziplin hinausblicken und Interdepenzen augenscheinlich machen. Einen jeden dazu befähigen, sich ein eigenes (kritisches) Bild davon zu machen, was der Mensch aus dem Menschen und seiner Umwelt macht. Neben der Vermittlung von Werten demokratisch-humanistischer Natur könnte man dies als die wesentliche Aufgabe von Schule und Unterricht ansehen.

Nun werden alle paar Monate beinah Forderungen laut, dieses oder jenes Fach unbedingt neu in das Curriculum aufzunehmen, beispielsweise Gesundheit, Ernährung, Ökologie oder Wirtschaft. Das mag für sich allein alles wünschenswert sein. Doch schweigen sich derlei Aspirationen häufig darüber aus, woher denn die Lehrerstunden hierfür kommen sollen. Fachfremd sollen diese Fächer wohl auch nicht unterrichtet werden. Und da wohl niemand den Wochenstundenplan auszudehnen gewillt ist, sollen andere Fächer beschnitten werden. Beliebter Steinbruch derartiger Umverteilungsaktionen ist dabei das Fach Erdkunde, welches mittlerweile allzu häufig in allen Klassenstufen und Schulformen nur noch ein Schattendasein fristet, eventuell seiner einstigen Heimattümelei und nationalen Beschränktheit wegen. Was einen aktuell dann aber doch Wunder nimmt.

Denn was vermag schon ein Wunschfach wie Wirtschaft anderes zu bewirken, als die Schülerinnen und Schüler zu funktionierenden, da brav konsumierenden Kapitalisten heranzuziehen, ganz im Sinne wohl der Petenten, den Primat der Wirtschaft zu sichern und überhaupt die herrschende Wirtschaftsordnung durch die Weihe eines eigenen Schulfachs zu adeln und damit zu zementieren, so als wäre sie über jeden Zweifel erhaben?

Das traditionsreiche Fach Erdkunde aus seinem Dornröschenschlaf zu erwecken, wäre dagegen wohl aussichtsreicher. Denn hierbei ließen sich Fragen nach unserer Wirtschafts- und Lebensweise bestens in einen globalen wie lokalen Rahmen einbetten und Themen wie Ressourcenendlichkeit, asymmetrische Handelsbeziehungen vs. Entwicklung, Wirtschaft und Ernährung, Wirtschaft und Umwelt und der Mensch darinnen, Stadt vs. Land, Grenzen der Mobilität, Konsum vs. Nachhaltigkeit und nicht zuletzt der nahende Klimakollaps in einem ganzheitlichen Zugriff behandeln. Denn insbesondere hier wird evident, daß alles mit allem zusammenhängt und gewisse Entscheidungen an einem Ort große Auswirkungen anderswo zeitigen können. Künftige Generationen von SchülerInnen die Kunde von und die Auseinandersetzung mit diesem ganzen Komplex an brandaktuellen Problemstellungen um unsere Erde zu ermöglichen, dafür ist dieses bloß scheinbar so biedere Fach also mehr als andere prädestiniert.

Verschone man also die SuS von morgen vor einer allzu eindimensionalen Perspektive spezialisierter Disziplinen und Konzepte und priorisiere man stattdessen eine systemisches Denken fördernde Herangehensweise in einem revitalisierten Schulfach der Kunde von der Erde. Denn allein solch eine Investition in unser Humankapital macht sich noch zu unser aller Nutzen morgen und übermorgen bezahlt.

 

* Dieser Eintrag ist inspiriert durch den Debattenbeitrag eines der Herausgeber der F.A.Z., Jürgen Kaube, vom 17.12.2019.