Unverkennbar, wir befinden uns auf dem Lande. Ein schmales Sträßchen ohne Mittelstreifen schlängelt sich saftigen Wiesen entlang durch sanft abfallende Hänge. Leitungsmasten säumen ihren Lauf. Im Vordergrund rechts zweigt eine Stichstraße ab, eventuell zu einem abseits gelegenen Bauernhof führend. Und über allem schweben wie hingetupft eine ganze Reihe schmucker Watte-Wolken. Eine Szenerie also, die Ruhe und Frieden ausstrahlt.
Aber tatsächlich? Ist dem wirklich so? Läßt es einen nicht stutzen, wie sich die erwähnte Stichstraße zuerst etwas verbreitert, nur um sich sogleich wieder zu verengen? Gut, das kann auch der Perspektive geschuldet sein. Aber wieso steht dann dieser Leitungsmast so ganz vereinzelt rechts? Und warum endet schließlich der Hauptweg scheinbar im Nichts bzw. strebt offenbar auf einen „Abgrund“ zu?
Des Rätsels mutmaßliche Lösung: Künstliche Intelligenz. Der ein oder die andere von uns wird es vielleicht – verwundert zuerst, dann aber zunehmend erfreut – auch schon festgestellt haben, daß manche Photo-Apps aus sich in der Perspektive überlappenden Einzelaufnahmen „künstliche“ Panoramen basteln. Das ist in den meisten Fällen auch durchaus hübsch anzusehen. Doch in manchen Augen-Blicken erweist sich auch die Überfoderung solch einer (billigen Kamera-) Technologie. Was wohl auch der Tatsache geschuldet sein mag, daß hier aus einem fahrenden Auto heraus photographiert worden ist. Damit sich einjede/r nun ein eigenes Bild von der Vor-Täuschung machen kann, seien an dieser Stelle nun auch die beiden Einzelaufnahmen dokumentiert, welche vermultich Pate gestanden haben dürften als vermeintlich vom selben Standpunkt aus aufgenommene.
Und schließlich sei hier noch ein weiteres Beispiel kruder Verzerrung der Realität durch ein fabriziertes Panorama gegeben. Dessen Unwirklichkeit allerdings von vornherein ersichtlich ist. Darum merke: Auch der harmlos scheinenden Hobby-Schönwetter-Natur-Sehenswürdigkeits-Photographie ist mitunter nicht zu trauen.
Wahrlich, ich bin bekanntermaßen kein Freund der totalen Durchnetzung, auch wenn ich selbst ausgiebigst digital photographiere, kommuniziere und hier eben die geneigte Leserschaft beblogge; die Aussichten einer umfassenden Entgeistigung, physischen Atomisierung, lückenlosen Überwachung und polit-ökonomischen Manipulation sind mir nämlich nicht geheuer.
Gleichwohl mutet es wie eine Geschichte aus Pleiten, Pech und Pannen an, was die Dokumentation Digitale Verlustzone: Wie Deutschland den Anschluß verlor, welche vergangenen Montagabend in der ARD ausgestrahlt wurde, vor der interessierten Öffentlichkeit ausbreitete. Zuse, Nixdorf, die Telefunken-Maus, das mp3-Format des Fraunhofer-Instituts, eine deutsche Suchmaschine, der bereits Anfang der 1980er Jahre angedachte flächendeckende Ausbau mit Glasfaserkabel – vielversprechende Beispiele einheimischer Pioniertätigkeit, welche aber nicht zuletzt auch immer wieder an patent-bürokratischer Ignoranz oder ideologisch-politischer Prioritäten-Verschiebung scheiterte. So weit, so schlecht.
Als Exempel wie man es denn besser machen kann, wird dagegen Norwegen angeführt. Wo die entlegensten Inseln „zum Wohle“ des Tourismus und der Fisch-Industrie schon seit gefühlt ewigen Zeiten ohne Funkloch an das schnelle weltweite Netz angeschlossen sind. Auch Estland wird immer gerne als europäisches Muschderländle der Durch-Digitalisierung gepriesen. Also kleine und/oder reiche Staaten, die im Vergleich mit einem „Supertanker“ wie unsere BRD sich als schneller und wendiger erweisen.
Und auch ich selbst kann eine derartige Erfahrung beisteuern. Mitte der 1990er Jahre verbrachte ich ein Jahr in Linköping/Schweden zum akademischen Austausch. Im Mai/Juni 1996 hatte ich dorten dann meine erste Begegnung mit einem Phänomen, das sich Internet nannte. Von einem befreundeten Austausch-Studenten aus England angestoßen, verbrachte ich damals einige Zeit im Knutpunkt, einem eigens für die Internet-Kommunikation vorgehaltenen großen Raum, der sicherlich über dreißig, vierzig vollausgestattete Arbeitsplätze verfügte. Zu meiner Schande muß ich heute allerdings gestehen, daß ich damals doch noch recht grün hinter den Ohren war und mich also ziemlich planlos durch das Netz bewegte, welches zu dem Zeitpunkt freilich auch noch lange nicht so tief war wie heute. (Heute weiß ich in der Regel zwar schon, wohin ich will, gerate darob gleichwohl bisweilen leicht vom Hundertsten ins Tausendste.) Ich erinnere mich aber zumindest, daß ich aus irgendeinem mir heute schleierhaften Grunde einen Post beim ORF, den ich als Südwestdeutscher niemals zuvor gehört hatte, hinterließ. Der freilich im Nirgendwo verschwand, wie es zunächst schien. (Vielleicht lag es ja einzig und allein an der Langsamkeit des damailigen Netzes, das noch dazu gerade Mittagspause hielt, und der schieren Entfernung, vem vet.) Drum schrieb ich den Post nochmals. Und noch einmal. Am Schluß hatte ich mich dann tatsächlich mit fünf leicht variierten Einträgen verewigt. Wie hochnotpeinlich! Dennoch klopfte alsbald eine Österreicherin, die damals gerade in den USA weilte, bei mir an, und wir mailten dann einige Tage hin und her. (Der Browser damals hieß übrigens „Netscape“, der ehemalige Marktführer, welcher freilich in den Jahren darauf von dem Konkurrenzprodukt einer Firma namens „Microsoft“, welche ihren „Internet Explorer“ in ihr weitverbreitetes eigenes Betriebsprogramm integriert hatte, vollends vom Markt verdrängt wurde – aber das ist eine andere Geschichte.) Zu diesem Zeitpunkt, also während der Semesterferien, wurden auch kilometerweise Kabel in unserem Viertel verlegt, um die dortigen Studentenwohnheime an das Internet anzuschließen. Aber da, Ende Juni, verließ ich Linköping auch schon wieder gen meine alte Heimat und konnte also nicht mehr die unbestrittenen Vorzüge eines eigenen Anschlusses an die große weite virtuelle Welt genießen.
Wie ich dann an meine damalige alma mater zurückkehrte, wurde ich allerdings erstmal gründlich enttäuscht. Statt dem liebgewonnenen bequemen Knutpunkt erwarteten mich mickrige fünf Stehplätze im Foyer der damaligen UB, an denen man noch dazu nicht viel mehr denn Mails verschicken konnte. Und jedes Mal, wenn man gedachte, eine längere Nachricht aufzusetzen und zu verschicken, spürte man im Nacken den heißen Atem der ungeduldig Wartenden, die einem schließlich einen strafenden Blick zuwarfen, sobald man seinen Kurzroman abgeschlossen hatte und sich anschickte endlich zu gehen. Die Elternschaft hatte dann glücklicherweise ein Einsehen und versorgte die Nachkommenschaft mit einer modalen Verbindung. (Was waren das übrigens noch für spannende Zeiten des Verbindungsaufbaus: Einwahl- und Anklopfsignale, zackige Tonfolgen, Rauschen, wie wenn man etwas Maschinelles erst zum Leben erwecken mußte. Heutzutage ist das alles zu einem gänzlich aseptischen Akt verkommen: ein Doppel-Klick, ein Fingertipp. Ähnlich wie beispielsweise auch bei Lokomotiven, die heuer beinah unbemerkt einfach losfahren, während ihnen einstmals mit Klopfen und Stampfen erst Leben ins Gestänge fahren mußte. Eine Art Entlebendigung und Entseelung des Technischen.) Die heimischen Wohnheime schließlich wurden erst um die Zweitausender herum mit dem notwendigen Kabelgewirr versorgt. Keine Atempause also, Geschichte wird gemacht, es geht voran. Oder so ähnlich.
Und ein Epilog: Die Stunden unmittelbar vor Sendebeginn der erwähnten Reportage – es waren mindestens derer sieben – mußte der Tipper dieser Zeilen im Tal der Ahnungslosen verbringen, denn das ganze Viertel um ihn herum hatte den Totalausfall von Internet und Telephonie zu verkraften …
… ich hasse sie.“ – „Warum?“ – Weil mit den Technologien die Gefühle verschwinden. Es ist, als hätten wir uns mit einer Krankheit angesteckt. Alles ist künstlich.“ (01:24:30ff).
Eine Uigurin aus dem Nordosten Chinas, die in einer sogenannten „Bildungsanstalt“ interniert war und nun in den USA lebt. Derlei Anstalten sind allem Anschein nach nichts anderes als Umerziehungslager zum Zwecke der kulturellen Auslöschung der Uiguren. Laut der Dokumentation setzen die Behörden zur lokalen Schikanierung und Unterdrückung der muslimischen turksprachigen Minderheit massiv auf künstliche Intelligenz. Wie ja auch das berühmt-berüchtigte Sozialkreditsystem, unter dem die chinesische Mehrheitsgesellschaft lebt, auf deren Grundlage funktioniert.
Niemand, der hier immer wieder laut und vernehmlich schreit, Deutschland beziehungsweise Europa seien im Kampf um das aktuell „heißeste Ding“ KI bedenklich ins Hintertreffen geraten und müßten nun dringend und mit massiver staatlicher Aufrüstung aufholen, kann nachher mit Unschuldsmiene verkünden, er habe doch nicht wissen können, welche Büchse der Pandora er da öffnete. Die Freiheit der verschwindend wenigen nämlich, sich mit dem Geschäft mit der Angst ein goldenes Näschen zu verdienen. Derweil der gemeine Mensch wegrationalisiert, perlustriert, korrumpiert, gegängelt, ausgerichtet, ruhig gestellt, schikaniert, unterdrückt, ausgelöscht wird … brave new world. Aber mit Terminator: Hasta la vista, baby!
Dokumentarfilm Überwacht: Sieben Milliarden im Visier (F 2019)
Na, das schlägt doch dem Faß den Boden aus: da wird uns seitens dieser siechen Koalition diese Abstumpfungsindustrie und ihr stupides Produkt doch tatsächlich als Kulturgut verkauft!!! Und das aus dem Munde des Mitglieds einer Partei, die sich christlich nennt!!! Und dafür tatsächlich fünfzig Millionen locker gemacht!!! Wofür alles in diesem Lande doch Geld vorhanden ist, wundern sich sicherlich nicht bloß Lieschen Müller und Otto Normalverbraucher, Volksverdummung und Bevölkerungsbetäubung im Regierungsauftrag und auf Staats-Kosten, äh der Steuerzahler!!! Und ich pfeife auf Künstliche Intelligenz!!!
Da brauchen sich die Regierungsparteien auch nicht mehr wundern, daß ihnen die gemeinen Stimmbürger in Scharen weglaufen. Doch halt, jedes Volk hat ja bekanntlich die Regierung, die es verdient …
Frei nach Goethe seh ich mich genötigt mit dessen Faust-Figur zu klagen:
Habe nun, ach! Del.icio.us,
wiki und moodle,
Und leider auch igoogle
Durchaus eingericht’, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
So wie mir mag es wohl manch einem meiner wackeren IKT-MitstreiterInnen ergehen, der von Tuten und Blasen keine Ahnung hat. Doch halt: Der Schreiber dieser Zeilen hat sich nach spontaner Einkehr entschieden, keine neuerliche Blog-Philippika gegen die Undurchdringlichkeit und generelle Verderbtheit des weltweiten Netzes zu verfassen (darüber schwadroniere ich das nächste Mal wieder gern – versprochen!) Statt dessen sollen die restlichen der 300 Blog-Wörter durchaus ernsthaften Gedanken über die Einsatzmöglichkeiten solcher Plattformen im Bildungsbereich gewidmet sein (das sind immerhin noch stolze 180 Wörter und gleich kommt doch „Tatort“, da muß ich mich ran halten, aber jetzt brühe ich mir trotzdem erstmal nen Tee auf).
Prost! Wo war ich stehen geblieben? Ach ja! Der Vorteil einer (geschlossenen) Lernplattform liegt beinah auf der Hand. Denn in der relativen Anonymität dieser virtuellen Umgebung mag manchem die Kommunikation leichter fallen. Schüler, welche im klassischen Unterricht aus unterschiedlichen Gründen zu kurz kommen, finden in diesem Medium ihre persönliche Plattform sich auszudrücken. Ohne daß sie zu befürchten brauchen, im selben Augenblick vor Scham im Boden zu versinken. Gleichzeitig mag es auch Schüler geben, die sich mit dem schriftlichen Ausdruck schwer zu tun. Sind diese dann jedoch angehalten, so wie wir regelmäßige Einträge zu einem bestimmten, vielleicht vorgegebenen Thema abzufassen, schult dies Vorgehen auch ihre Schreibfähigkeit. Zumal die Form hier freier gewählt werden kann. Schließlich hat eine Lehrperson ein aussagekräftiges Instrument zur Eigenevaluation zur Hand. Wäre es doch denkbar, die Schüler eine gerade absolvierte Schulstunde über eine komplexere Thematik in einem solchen Forum inhaltlich zusammenfassen zu lassen. Die Lehrkraft könnte in solchem Falle viel unmittelbarer in welche Richtung auch immer reagieren. Das mögen nun idealistische Vorstellungen fernab jeglicher Realität sein und zugegeben habe ich keinen blassen Schimmer, ob heutzutage tatsächlich auf und mit diesen Plattformen in der beschriebenen Art und Weise im schulischen Bereich gearbeitet wird. Ein Versuch wäre es aber sicherlich wert. Und nun spannende Unterhaltung beim „Tatort“, ich habe fertig!
Geschichten mitten aus dem Leben; über Momente die uns prägen, Freude, Schmerz, Hoffnung und Schicksal dem wir täglich begegnen. Ein kleiner Blick ins Innere, ein Blick hinter die Tür.