Archiv für den Monat Februar 2021

still und starr …

ruht der See – eine Winterspätlese

Am Waldsee

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Im Ried

 

Um den Litzelsee

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Photographie © LuxOr

 

 

Liebe immer …

Nicht jedem ist es vergönnt, seine Liebe zu teilen. Mag es Unbeholfenheit sein oder schlichtweg ein Mangel an Gelegenheit. Oder der/die Andere erwidert die entgegengebrachte Zuneigung einfach nicht. Keine Seltenheit heutzutage in modernen Single-Gesellschaften. Ein Zustand, jedenfalls, der auch krank machen kann. Doch hat nicht einjeder das Recht zu lieben – und geliebt zu werden? Das Recht auf ein bißchen Farbe und Lebendigkeit im Alltag, ja, auch auf Nähe, Wärme, Treue. Bedingungslose Liebe schenkt allein ein Tier dem Menschen.

Liebe immer, wenn nicht jemand, so doch etwas.

(K.H. Waggerl)

Photographie © LuxOr

PS: Auch zwei unserer Familienkaters, Kasperle und Balduin, liegen dorten anonym begraben. Mögen die beiden – als auch die göttliche Susi, genannt „Mubbi“, die geduldige Begleiterin meiner Kindheit, und das Julchen – auf ewig herumstromern, tollen und tapseln

 

ganz schön lings …

oder eine kleine Wortgeschichte

Wie ich kürzlich noch in meiner vergangenen Schönliteratur las, noch dazu eine Übersetzung aus dem Amerikanischen, stieß ich auf ein gar hübsches Adverb namens „rittlings“, was so viel wie: „In der Haltung, wie ein Reiter auf dem Pferd sitzt“, also bspw. auf einem Stuhl, bedeutet. Was mir aber durchaus schon bekannt war. Insbesondere „rittlings“ klingt dabei irgendwie lustig-verspielt, da es mich lautlich doch sehr an „Ribbling“, die alemannische Bezeichnung für „Murmel“, erinnert (Und damit oute ich mich auch, daß ich aus dem alemannischen Sprachraum stamme und zumindest mit einem deutlich vernehmbaren südwestdeutschen Akzent schwätze tu). Und dann reimt sich „-lings“ auch noch so hübsch auf „Dings“.

Aber wie dem auch sei, unweigerlich fragte ich mich, wie viele dieser Wörter mit ebendiesem außergewöhnlichen Suffix „-lings“ mir denn überhaupt einfallen würden. Also flugs mal meine grauen Zellen angeregt und angestrengt nachgedacht und siehe da, einige Vertreter dieser Klasse tauchten tatsächlich aus den Tiefen meines mentalen Lexikons auf, als da wären eben „rittlings“, dann „bäuchlings“ oder „blindlings“, schließlich noch „jählings“ und „hählings“*. Aber konnte das wirklich alles gewesen sein, sollten bloß so wenige linge Adverbien existieren? Und was soll -lings denn überhaupt bezeichnen und worauf läßt es sich überhaupt zurückführen. Nun wollte ich es also genauer wissen und konsultierte das Netz. Der Duden Online brachte keine große Erleuchtung. Darum sogleich das DWDS aufgerufen, wohinter sich das Digitale Wörterbuch der deutschen Sprache verbirgt. Die erste Adresse, wer der Etymologie eines Begriffes auf den Grund gehen möchte. Und siehe da, dorten wurde ich dann fündig.

„-lings“ sei im hochdeutschen Sprachgebiet seit Anfang des 15. Jh. belegt und eventuell unter Einfluß der niederdeutschen Sprache entstanden, das -s- sei dabei erstarrten Genitiven zu verdanken. Doch bereits im Mittelhochdeutschen (-lingen, bspw. vinsterlingen ‘im Finstern’) und sogar im Althochdeutschen (-lingūn, -lingon, z. B. stuzzelingūn ‘planlos’) ließen sich Vorformen nachweisen. Unsere Adverbialsuffixe gingen anscheinend auf nominale Flexionsformen zurück. Und waren noch zu Anfang des Neuhochdeutschen sowie in den Mundarten „recht produktiv“. Heute sind indes bloß wenige dieser Ableitungen noch gebräuchlich – und noch dazu leider ziemlich selten; so führt das DWDS eine sehr übersichtliche Liste auf:

 

blindlings

 

bäuchlings

 

hählings*

*regional schwäbisch, Nebenform zu hälingen

häuptlings

 

jählings

 

knielings

 

kopflings / köpflings

 

meuchlings

 

rittlings

 

rücklings

 

seitlings

 

sträcklings

 

vorlings

 

 

 Es überwiegen also Richtungsangaben in Verbindung mit der Nennung von Körperteilen. (Und die Modalität einer Handlung.) Dabei wäre freilich noch an andere Varianten zu denken, so bspw. händlings: „Händlings schlitterte er über das Eise.“.  Oder auch hüftlings: „Ausgelassen stieß sie ihn hüftlings an.“ Unter diese Kategorie einzuordnen ist schließlich noch mein persönlicher Favorit, den ich mir bis zuletzt aufgespart habe, da sich ein jeder gerade auch zu den jecken Tagen sicherlich lebhaft eine alberne Situation vorstellen kann „mit dem Hinterteil voran“   – oder eben ä r s c h l i n g s … 😊

 

Welch ein Tag!

Oder hübsch unnützes Wissen.

Das fehlte gerade noch, sich einfach so aus dem Staub zu machen. Aber nicht heute. Denn pünktlich zur Hochzeit der Fasnet wartet heuer auch der Kalender mit einem gar hübschen Ereignis auf, das schmunzeln macht. Unserer „christlichen“ Zeitrechnung gemäß ist heute nämlich nicht einfach nur der zwölfte Tag im zweiten Monat des Jahres Zwanzigeinundzwanzig nach Christi Geburt. Sondern dieser

12.02.2021

läßt sich von vorn wie von hinten gleich lesen, ein Palindrom gleichsam wie ABBA, Otto oder das Reittier. Da staunt der Fachmann, und der Laie wundert sich. Glücklich ist, wer an diesem Tage das Licht der Welt erblicken darf. Oder in den Hafen der Ehe einfährt. Was kann ein Zweiter Februar Zwanzigzwanzig denn schon bieten (außer vielleicht, daß dies Datum auch in der angelsächsischen Welt, der anderen Schreibweise wegen, als Palindrom bewundert werden konnte)? Viel zu äußerlich solch ein Reiz. (Vermutlich gehen aus diesem Grunde auch Ehen, welche an solch offensichtlichen Schnapszahlen geschlossen wurden, auch alsbald wieder in die Brüche … :-)) Magie enthüllt sich einem eben erst dann, wenn man einen Blick unter die Oberfläche riskiert.

PS: Den nächsten Palindromtag dürfen wir übrigens in (relativer) Bälde schon wieder begehen, am 22.02.2022 nämlich. Wer auf den nächsten globalen Feiertag spekuliert, muß sich allerdings etwas länger gedulden, denn jener tritt erst mit dem 12.12.2121 ein …

der Brüller des Tages …

 

Unsere kleine Gemeinschaften …

oder der einzige Mensch auf der Welt

III

 

„Wir müssen unsere Position kennen, um sie verteidigen zu können. Darum: Was hast uns zusammengebracht? Die Not! Miß Dolly und ihre Freunde, sie sind in Not. Und du, Riley? Wir beide sind in Not. Wir gehören in diesen Baum, oder wir wären nicht hier.“

Dolly beruhigte sich durch den zuversichtlichen Ton in der Stimme des Richters. Er fuhr fort: „Heute, als ich mit dem Trupp des Sheriffs aufbrach, war ich davon überzeugt, daß mein Leben spurlos vergehen würde und ohne daß jemand mich wirklich gekannt hätte. Jetzt glaube ich nicht mehr, daß ich so unglücklich sein werde. Miß Dolly, wie lange ist es her? Fünfzig, sechzig Jahre? So lange mag es her sein, daß ich mich an Sie erinnere, an ein verlegen errötendes Kind, das auf seines Vaters Pferdewagen zur Stadt fuhr und niemals von dem Wagen herunterkletterte, weil es nicht wollte, daß wir Stadtkinder sähen, daß es keine Schuhe hatte.“

„Sie hatten Schuhe, Dolly und ‚Die da‘, murmelte Catherine. „Ich war es, die keine Schuhe hatte.“

„Alle die Jahre, in denen ich Sie gesehen, aber nicht erkannt habe, wie ich es heute tue, als einen heidnischen Naturgeist …“

„Heidnisch?“ fragte Dolly erschreckt, aber aufmerksam.

„Nun, wenigstens als einen Naturgeist, den man nicht durch die Augen allein wahrnehmen kann. Geister sind Vertraute des Lebens, sie leugnen nicht die Verschiedenheit seiner Erscheinungen – und sind dadurch ständig in Not. Ich, ich hätte niemals Richter sein dürfen; ich mußte dadurch zu oft auf der falschen Seite stehen, denn das Gesetz läßt keine Verschiedenheit zu. Erinnert ihr euch an den alten Carper, den Fischer, der ein Hausboot auf dem Fluß hatte? Er wurde aus der Stadt gejagt – er wollte das hübsche, kleine farbige Mädchen heiraten, jetzt arbeitet sie für Mrs. Postum, glaube ich; und ihr wißt alle, daß sie ihn liebte; ich sah sie immer, wenn ich fischen ging, sie waren sehr glücklich zusammen. Für ihn war sie das, was nie jemand für mich gewesen ist – der einzige Mensch auf der Welt, vor dem man nichts zu verbergen braucht. Und dennoch, wenn es ihm gelungen wäre, sie zu heiraten, wäre es die Pflicht des Sheriffs gewesen, sie zu verhaften, und meine Pflicht, sie zu verurteilen. Manchmal scheint es mir, als ob alle, die ich jemals schuldig gesprochen habe, die eigentliche Schuld auf mich gehäuft hätten, und in gewisser Weise ist es das, was mich wünschen läßt, einmal, bevor ich sterbe, wirklich gerecht und auf der richtigen Seite zu sein.“

„Sie sind auf der richtigen Seite jetzt. ‚Die da‘ und der Jude …“

„Pscht“, machte Dolly.

„Der einzige Mensch auf der Welt.“ Riley wiederholte diesen Satz des Richters in einem zögernden, prüfenden Ton.

„Ich meine“, erklärte der Richter, einen Menschen, dem man alles sagen kann. Ob ich wohl ein Narr bin, daß ich mir so etwas wünsche? Aber, ach, die Mühe, die wir darauf verwenden, uns voreinander zu verbergen, die Angst, daß wir erkannt werden könnten! Aber hier sind wir erkannt als das, was wir sind. Fünf Narren in einem Baum. Das ist ein großes Glück, vorausgesetzt, daß wir den richtigen Gebrauch davon machen, wenn wir unbesorgt darum sind, wie wir den anderen erscheinen, und frei herausfinden dürfen, wer wir in Wahrheit sind. Wenn wir das wissen, kann niemand uns verjagen; aus Unsicherheit über sich selbst verschwören sich unsere Freunde, die Verschiedenheit zu leugnen. In Bruchstückchen und Häppchen habe ich mich früher bisweilen an Fremde ausgeliefert – Menschen, die an der nächsten Station ausstiegen oder auf dem Schiffssteg wieder entschwanden; sie alle zusammen, in einer Person, hätten vielleicht der einzige Mensch auf der Welt sein können. Aber so wie es war, hatte er eben ein Dutzend verschiedener Gesichter, ging hundert getrennte Straßen hinunter. Jetzt habe ich die glückliche Möglichkeit, ihn zu finden – Sie sind es, Miß Dolly, Riley und ihr alle.“

Catherine widersprach: „Ich bin kein Mensch mit ein paar Dutzend Gesichtern, so ein Blödsinn“, und das ärgerte Dolly, die ihr riet, wenn sie nicht respektvoll reden könne, lieber schlafen zu gehen. „Aber, Richter“, fragte Dolly, „ich weiß nicht genau, was sie damit meinen: Wir sollten uns alles sagen. Geheimnisse vielleicht?“ schloß sie lahm.

„Nein, nein, keine Geheimnisse.“ Der Richter riß ein Streichholz an und entzündete die Kerze wieder. Sein Gesicht sprang uns mit einem unerwartet gequälten Ausdruck entgegen. Wir sollten ihm helfen, bat er.

„Sprecht von der Nacht, davon, daß sie mondlos ist. Über was man spricht, darauf kommt es kaum an, nur auf das Vertrauen, mit dem es gesagt wird, und auf das Wohlwollen, mit dem es aufgenommen wird. (…)“


Truman Capote (1951): Die Grasharfe. Roman. Aus dem Amerikanischen von Annemarie Seidel und Friedrich Podszus, neu durchgesehen von Birgit Krückels, Frankfurt a. M. 2000, S. 73-76.