Archiv für den Tag 22. August 2020

Vom armen B. B.

Vom armen B. B.

 

1

Ich, Bertolt Brecht, bin aus den schwarzen Wäldern.

Meine Mutter trug mich in die Städte hinein

Als ich in ihrem Leibe lag. Und die Kälte der Wälder

Wird in mir bis zu meinem Absterben sein.

 

2

In der Asphaltstadt bin ich daheim. Von allem Anfang

Versehen mit jedem Sterbsakrament:

Mit Zeitungen. Und Tabak. Und Branntwein.

Mißtrauisch und faul und zufrieden am End.

 

3

Ich bin zu den Leuten freundlich. Ich setze

Einen steifen Hut auf nach ihrem Brauch.

Ich sage: es sind ganz besonders riechende Tiere

Und ich sage: es macht nichts, ich bin es auch.

 

4

In meine leeren Schaukelstühle vormittags

Setze ich mir mitunter ein paar Frauen

Und ich betrachte sie sorglos und sage ihnen:

In mir habt ihr einen, auf den könnt ihr nicht bauen.

 

5

Gegen abends versammle ich um mich Männer

Wir reden uns da mit »Gentleman« an

Sie haben ihre Füße auf meinen Tischen

Und sagen: es wird besser mit uns. Und ich frage nicht: wann.

 

6

Gegen Morgen in der grauen Frühe pissen die Tannen

Und ihr Ungeziefer, die Vögel, fängt an zu schrein.

Um die Stunde trink ich mein Glas in der Stadt aus und schmeiße

Den Tabakstummel weg und schlafe beunruhigt ein.

 

7

Wir sind gesessen ein leichtes Geschlechte

In Häusern, die für unzerstörbare galten

(So haben wir gebaut die langen Gehäuse des Eilands Manhattan

Und die dünnen Antennen, die das Atlantische Meer unterhalten).

 

8

Von diesen Städten wird bleiben: der durch sie hindurchging, der Wind!

Fröhlich machet das Haus den Esser: er leert es.

Wir wissen, daß wir Vorläufige sind

Und nach uns wird kommen: nichts Nennenswertes.

 

9

Bei den Erdbeben, die kommen werden, werde ich hoffentlich

Meine Virginia nicht ausgehen lassen durch Bitterkeit

Ich, Bertolt Brecht, in die Asphaltstädte verschlagen

Aus den schwarzen Wäldern in meiner Mutter in früher Zeit.

 

Das Gedicht erschien unter dem Titel Vom armen B. B. im Anhang von

Brecht: Hauspostille 1927, 140-143* (→ Brecht: Taschenpostille 1926, 41)

Bertolt Brecht, Notizbücher (Elektronische Edition, Anhang NB 13), S. 21f

 

Photographie © LuxOr

 

Drei Wochen bloß oder unverhältnismäßig über die Verhältnisse

Drei Wochen bloß haben die weltweiten Einschränkungen infolge der Corona-Pandemie den sogenannten „Erdüberlastungstag“ nach hinten verschoben. Dieser wird jährlich von der Non-Profit-Organisation Global Footprint Network berechnet und ausgerufen und heuer fällt er eben auf den heutigen Samstag. Dieses Datum markiert den Zeitpunkt im Verlaufe eines Jahres, ab dem man mehr Ressourcen verbraucht hat, als bis zum Jahresende noch nachwachsen können. Allein auf Deutschland bezogen, wurde diese Linie bereits Anfang Mai überschritten.  Würden Menschen überall auf Erden so in Saus und Braus leben können wie wir Mitteleuropäer, benötigte die Menschheit ganze  d r e i  Erden, diesen gewaltigen Verbrauch auszugleichen. Wir leben also gehörig über unsere Verhältnisse.

Bild: Global Footprint Network, National Footprint and Biocapacity Accounts 2019, Foto: Imago, zit. n. FAZ

Eine Maßnahme, hier gegenzusteuern, wäre eine Kreislaufwirtschaft. Das bedeutet, Rohstoffe sollten möglichst oft wiederverwertet werden. Konsumgüter seien auf Langlebigkeit hin zu entwerfen; anstatt daß sie alsbald wieder auf dem Müll landeten – man denke beispielsweise an Wasserkocher, Bügeleisen, aber auch Smartphones (die Akkus!), Fernseher u. dgl. – , sollte der Fokus also darauf gerichtet werden, diese Produkte reparaturfähig zu machen bzw ihre einzelnen Komponenten austauschbar zu halten.

Eine solch umischtiger Umgang mit endlichen Rohstoffen muß auch keineswegs nur Mehraufwand und -kosten bedeuten. Nein, ganz im Gegenteil, wie der Artikel weiter ausführt. Denn wie

„eine Studie der Unternehmensberatung Boston Consulting Group (BCG) (zeige), beläuft sich das Wertschöpfungspotential durch eine Kreislaufwirtschaft in Deutschland bis 2030 auf 140 bis 200 Milliarden Euro im Jahr – vorausgesetzt, es werden mindestens 50 bis 70 Prozent der Ressourcen zirkulär wiederverwendet. Eine Kreislaufwirtschaft dieser Größenordnung braucht es nach Einschätzung der Autoren, damit Deutschland seine Ressourcen nicht übernutzt. Derzeit seien lediglich 10,4 Prozent der eingesetzten Produktionsmittel sekundäre, also wiederverwertete, Rohstoffe.

Doch die Entwicklung hierzulande geht nur schleppend voran. Selbst wenn Deutschland seine Bemühungen verdoppeln würde, wäre das Ziel einer nachhaltigen Kreislaufwirtschaft erst in 195 Jahren erreicht (…)“

Also handelt es sich um nichts anderes denn eine Mär, wonach wir Deutsche Recycling-Weltmeister seien. Und auch zahlreiche weitere Mitgliedstaaten der EU können laut obiger Grafik kaum als Vorbild dienen. Es gibt noch viel zu tun, packen wir es hoffentlich alsbald an und verstecken wir uns nicht andauernd hinter irgendwelchen vermeintlichen Sachzwängen oder welch ein Glück, daß Corona über uns hereinbrach?