Welch ein Glück, mag der interessierte, gleichwohl irritierte Beobachter der vergangenen Tage verzweifelt-erleichtert aufseufzen, daß sich nach all der (personal-)politischen Narretei der sozialdemokratischen Sandkastenkontrahenten noch eine bundespolitisch bislang unbekannte Parteifrau aus dem hohen Norden (wenn auch gebürtige Thüringerin) so weit ermannte, der personellen Sturzgeburt in Sachen Parteivorsitz wenigstens den Hauch einer demokratischen Wahl und damit eines Neuanfangs zu geben.
Andrea Nahles mag nach den Ereignissen der letzten Tage und Wochen tatsächlich die geeignete (weil wohl einzige) Kandidatin für den Parteivorsitz sein; mit Leidenschaft, Verve und Kampfgeist setzte sie sich nach innen wie außen für die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen (auch wenn der Verfasser dieser Zeilen aus den letzthin vielfach bemühten staatspolitischen Überlegungen heraus die Espede lieber zur Regeneration in der Opposition gewußt hätte) wie für die innerparteiliche Annahme des Koalitionsvertrages ein und konnte damit ihre Zuhörerschaft mitreißen, zumindest im Vergleich mit ihrem damaligen Vorsitzenden. Und auch als Ministerin für Arbeit und Soziales machte sie im Großen und Ganzen eine gute Figur. Dennoch haftete ihr im Falle einer allzu raschen Inthronisation der Makel an, nur dank der Kungelei mit dem gelinde gesagt unglücklich agierenden Martin Schulz auf das Schild gehoben worden zu sein. Nach dem gerade erlebten Hauen und Stechen präpotenter Möchtegerns wäre das kein überzeugendes Signal eines auf einem neuen Gemeinschaftsgeist aufbauenden programmatischen Neuanfangs an die ohnehin merklich grummelnde Basis wie die interessierte Öffentlichkeit gewesen. Der Aufruhr ist also durchaus nachvollziehbar. Nicht viel besser sähe es aus, wenn Frau Nahles am 22. April nun ganz ohne GegenkandidatIn in das schönste Amt neben dem Papst gewählt würde. Aus diesem Grunde ist die Kandidatur der Oberbürgermeisterin von Flensburg, Simone Lange, nur zu begrüßen.
Gut möglich, daß sie ein reiner Zählkandidat bleiben wird. Gänzlich aussichtlos scheint mir die Angelegenheit allerdings auch nicht zu sein, ein Achtungserfolg könnte immerhin drin sein. Klar, Frau Lange ist bundespolitisch bislang nicht präsent, demnach mutmaßlich wenig vernetzt und also ohne das, was man im Polit-Jargon gerne Seilschaft oder Hausmacht zu nennen pflegt. Gleichwohl ist dieser Mangel auch ihr großer Pluspunkt, geht sie doch als frisches Gesicht gänzlich unbelastet (nicht nur) von den Auseinandersetzungen um GroKo – oder eben nicht – ins Rennen. Sie ist jung, weiblich noch dazu und Mutter (was derlei Ambitionen freilich für eine Familie bedeutet, steht auf einem anderen Blatt), hat Parlamentserfahrung auf Kommunal- und Landesebene und amtiert seit einem Jahr als OB einer norddeutschen Mittelstadt. Was ihr zudem zum Vorteil gereicht, nicht zuletzt auch angesichts populistischer Vorwürfe an die Politikerkaste, ist, daß sie als ehemalige Sachbearbeiterin der Kriminalpolizei beruflich wie gesellschaftlich Bodenhaftung ausstrahlt und zugleich Kompetenzen auf dem immer wieder virulenten Gebiet der inneren Sicherheit mitbringt.
Das alles mag noch keine glücklich-souveräne Parteivorsitzende machen und fraglich bliebe zweifellos, wie sich eine Frau Vorsitzende Lange denn gegen altgediente mächtige Landesfürsten, Bundestagssenioren und erfolgreiche MinisterpräsidentInnen durchsetzen könnte (auch wenn es deren in den Reihen der Sozialdemokratie auch nicht mehr so viele gibt). Zumal sich die altehrwürdige, dieser Tage aber geschüttelte Espede wohl eher für die Bundes-Polit-Profin und eine damit verbundene, zumindest nicht gänzlich unwahrscheinliche Aussicht auf eine Rückkehr zu einem Plätzchen an der Sonne aussprechen wird denn für einen verhältnismäßig unsicheren, polit-romantischen Wechsel auf die Zukunft. Und dennoch: um die Wogen erstmal etwas zu glätten und die Partei wieder in ruhigere Gewässer zu bringen, indem man einen Parteitag zumindest vor eine echte Wahl stellt (die anstehende Mitgliederbefragung über den Koalitionsvertrag ist dagegen demokratie-theoretisch mehr als zweifelhaft), kann der gerupften sozialdemokratischen Führung eigentlich nichts Besseres widerfahren (auch wenn der ewige Stegner bereits wieder stichelt). Und schließlich sei noch daran erinnert: auch Helmuts Mädchen wurde einstmals unterschätzt …
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