Archiv für den Monat August 2017

Die Vorher-Nachher-Show oder Faschisierung des öffentlichen Raumes

Meine Geburtsstadt, vorher:

Vorher – der „alte“ Platz der alten Synagoge

 

Ein Platz im Rechteck, nach Süden und Osten hin durch Kollegiengebäude der hiesigen alma mater begrenzt, in den anderen Richtungen durch Gehweg und Straße. Eine ausgedehnte durchgehende Grünfläche, auf zwei Seiten eingefaßt von einer niedrigen Mauer, welche als Sitzgelegenheit dient. Am nördlichen Ende ein Obelisk zum Gedenken an einen Sohn der Stadt, Karl von Rotteck (1775-1840), liberaler Politiker, Staatswissenschaftler und Historiker (Dieser vertrat eine aus heutiger Sicht problematische Position bezüglich der Judenemanzipation; für damalige Verhältnisse war eine solche Haltung indes durchaus nicht unüblich). Einige Meter davor ein gelbes Hinweisschild nach Art der Straßenverkehrszeichen, Richtung und Entfernung nach Gurs / Frankreich angebend; ein Ort in den Pyrenäen, wohin im Oktober 1940 die badischen, pfälzischen und saarländischen Juden von den Nationalsozialisten nach der Niederlage Frankreichs im Juni jenen Jahres deportiert wurden.

Vorher – Rottteck, KG II & das Gurs-Schild

 

Am südlichen Ende schließlich eine Gedenkplatte in Erinnerung an den vormaligen Standort der von den lokalen NS-Größen in der Reichspogromnacht (09.11.1938) zerstörten Freiburger Synagoge.

Von Landesarchiv Baden-Württemberg, CC BY 3.0 de

Vorher – die alte Synagoge (1926) / Von Landesarchiv Baden-Württemberg, CC BY 3.0 de

 

Vorher – die Gedenkplatte zur alten Synagoge

 

Vorher – die Gedenkplatte / Von © Jörgens.mi /, CC BY-SA 3.0

 

Der Name: Platz der alten Synagoge. Ein Ort der Erinnerung und Mahnung mithin, vernachlässigt gewiß und ziemlich verschlafen, aber beschaulich auch, im besten Sinne also lang-weilig; eine Stätte des Innehaltens zwischen Großstadt-Treiben, Verkehr und kühlem akademischen Betrieb. Ein Platz, der eine behutsame Rekonstruktion und Modernisierung dufchaus verdiente, aus Respekt vor der Geschichte, vor den (jüdischen) Opfern des Nationalsozialismus.

 

Nachher, im August 2017:

Nacher — der „neue alte“ Platz bei der Übergabe (02.08.2017)

 

Besagter Platz wurde nun im Zuge des Stadtbahnausbaus und der Aussperrung des Durchgangsverkehrs tatsächlich umgestaltet und Anfang diesen Monats der Öffentlichkeit übergeben. Und man kann sagen, es wurde ganze Arbeit geleistet. Das Grün ist größtenteils verschwunden; zwei, drei dürre Bäumchen auf den Stirnseiten vermögen ihre Alibi-Funktion kaum zu kaschieren, zumal sie vom Boden an über den ersten Meter jeweils eingekastelt sind durch ein Sitzpodest aus Holz. Der Platz ist nun von allen Seiten aus zwar problemlos begehbar, gleicht mit seinen beigen Steinplatten indes einer wüsten Ödnis. Der Rotteck ist offenbar zur persona non grata erklärt, der Mahn-Weiser nach Südfrankreich gleichfalls mittlerweile unerwünscht. Zum Theater hin gen Westen spritzen stattdessen mehrere Wasserspiele auf zur Erquickung von Hund, Kind und Kegel. Gen Südwesten zu nun das Herzstück der Neuanlage, ein permanent überlaufendes Wasser-Bassin, das in seinen Maßen dem Grundriß der alten Synagoge nachempfunden ist. Darinnen, kaum zu erkennen, die alte Gedenkplatte, ertränkt – um sie herum sabbernde Hunde, planschende Kinder und diese knipsende entzückte Erwachsene. Im Übrigen keinerlei erhellende Angaben, was es mit diesem Orte, seiner Bedeutung und seiner Geschichte eigentlich auf sich hat, nirgends.

Von Markus Wolter - Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0

Nachher – der „Gedenkbrunnen“ bei der Übergabe, im Hintergrund die neue UB / Von Markus Wolter – Eigenes Werk, CC-BY-SA 4.0

 

Nichts anderes als ein hitze-strahlender neuer Aufmarschplatz, der nicht atmet, der ohne Leben, ohne Farbe ist, ohne Identität, der keinen echten Widerhaken bietet für das Auge. Stattdessen vor Öde und Leere nur so trieft, vor Kälte, vor Härte. Kongenial bildet er daher nun eine Einheit mit dem im wahrsten Sinne des Wortes blendenden Monolithen der neuen hiesigen Universitätsbibliothek (UB) – in Stein, Glas und Beton gehauener Nihilismus, Faschisierung des öffentlichen Raumes in der Vertikalen wie der Horizontalen. (Stein)platt(e) gemachte Geschichte, Verwässerung des Geschehens, Verplanschung des Gedenkens (resp. Vereisung, denn eine besonders intelligente Zeitgenossin entblödete sich nicht vorzuschlagen, das Wasser-Bassin winters in eine Eisbahn umzuwandeln …).

Gegen begehbare, erfahrbare Mahnmale ist ja zunächst überhaupt nichts einzuwenden. So ist das Stelenfeld in Berlin, das nationale Hoocaust-Mahnmal, mit der Zeit auch zu einem Besuchermagneten geworden. Und es wird immer Menschen geben, die aus Unwissenheit oder Indifferenz (oder etwa Beklemmung?) sich für Dritte irritierend verhalten. Jenem Monument in seiner langsam ansteigenden Monströsität – als solche wiederum auch anfechtbar – ist freilich eine ernsthafte Intention, welche zum Ge-Denken herausfordert, durchaus abzulesen. Derweil das Freiburger Planschbecken vielleicht gut gemeint war, in seiner schlußendlichen Ausführung jedoch sein Heil allein in der oberflächlichen Zerstreuung sucht und also auf ganzer Linie scheitert. Die Stadt ist dabei Wiederholungstäter, man denke bloß an die unselige, da dermaßen inkonsequente Änderung von Straßennamen: Avanti, Dilletanti!

Und Stadtväter wie Rat, allesamt allzu laissez-faire-grün-bewegt, geben sich auf einmal ach so überrascht, daß ihre notorisch feiersüchtige und spaßwütige Bevölkerung das Gelände okkupiert, die Stadtreinigung tagsüber daher Extra-Touren über den Platz fegen und frühmorgens erst einmal die delikate Hinterlassenschaft der nächtlichen Gelage entsorgen darf. Doch Party-People sind heutzutage ja auch künstlerisch veranlagt und verewigen sich in hochprozentiger Laune gerne gekritzelt auf den Steinplatten. Weshalb sich die Stadtverwaltung nun genötigt sieht, hierfür eine spezielle Reinigungsmaschine über mehrere Hunderttausend Euro anzuschaffen. Ganz zu schweigen von der peinlichen Posse um die Namensgebung (warum nicht einfach den alten Namen beibehalten?) und die unsensible Terminierung der späteren öffentlichen Einweihung unter quasi-Ausschluß der jüdischen Gemeinde. Allüberall mithin (bewußte?) Geschichtsvergessenheit, oben wie unten, hier wie dort (Berlin läßt momentan bekanntlich das Stadtschloß wiederauferstehen, in Potsdam droht derweil neuerdings der Wiederaufbau der Garnisonskirche). Da beschleicht einen bisweilen unwillkürlich der Verdacht, daß wir eben doch deutschlandalternativer gestimmt sind, als weite Teile von uns sich gemeinhin eingestehen wollen. Denk ich also an Deutschland in der Nacht …

 

Das eigentliche Vergehen oder Verschwörung wider die Form

Wie die Bayerischen Werke für Motoren im Mai 2008 ein X6 getauftes Modell erstmals auf den Markt brachten, da konnte man noch von einem Solitär, von einer Eintagsfliege ausgehen.

 

Als dann aber die Horcher aus Ingolstadt knapp zwei Jahre später ihren 1er lancierten, mußte man schon stutzig werden.

 

Und wie nun schließlich der Hersteller mit dem Stern gleich zwei derartige Konstruktionen, das GLE Coupé (07.15) und das GLC Coupé (09.16), einführte,

 

 

lag der Tatbestand endgültig offen zutage: Die süddeutschen Premium-Automarken konspirierten miteinander. (Die Zuffenhausener Spottwagenschmiede übt derweil noch, zeigt jedoch mit dem Panamera Sport Turismo erste vielversprechende Ansätze.)

 

Doch nicht allein auf dem Gebiet der verborgenen und für den Laien letztlich undurchschaubaren Antriebstechnik erfolgten Absprachen, wie nun kürzlich erst medienwirksam ruchbar geworden ist. (Wer konnte denn tatsächlich die versprochenen Ausstoß-Werte für bare Münze nehmen, wo doch Verbrauchsangaben chronisch sehr optimistisch angesetzt waren?) Nein, ihr Vergehen ist viel eklatanter. Denn aufgrund eines Mangels an Unverwechselbarkeit (und technischer Innovationskraft, s. o.) verschworen sich die Hersteller gemeinschaftlich gegen die Form, nahmen in ihrer Ratlosigkeit sich das Bäckerhandwerk zum Vorbild und schufen – das Semmel-Auto. Wenn sie ihr Modell nicht gleich wie einen Gugelhupf aufgehen ließen.

Aus der Not gedachte man also unterschwellig eine Tugend zu machen durch einen ganzheitlichen, synästhetischen Zugriff. Denn die gelinde ausgedrückt gewagte Weckle-Optik verbindet sich mit einem mehr als sublimen gustatorischen Anreiz, dabei gewisse vollmundige Assoziationen weckend. Da Nahrungsaufnahme eine grundlegende, überlebenswichtige Kulturtechnik darstellt, erscheint das Führen eines solchen Gefährts beinahe schon folgerichtig, da naturnotwendig. Mit kräftigem Korn, vulgo Pferdestärken, angereichert, suggeriert die teils wuchtige Präsenz der Stullen-Architektur zudem Frische, Kraft und Ausdauer, damit auch Respekt heischend. Da mag sich der Brötchen-Liebhaber natürlich gerne dem kornigen Vehikel einverleiben. Und das am liebsten gleich jeden Tag, um dieser leistungsgesteigerten Potenz auch maximal teilhaftig zu werden. Und sollte der potentielle Konsument des Bäckerei-Charmes der mobilen Semmel wider Erwarten eines Tages doch überdrüssig sein, fährt er übrigens einfach stoisch weiter. Denn wer drinnen sitzt, kann rausschau’n und Licht und Landschaft genießen und vergißt darob vielleicht das Schrott-&-Korn-Design seines fahrbaren Untersatzes …

Frollein Meier oder über wahre Liebe, Teil II

 

Eigentlich sollte man stets einen Photo-Apparat in Reichweite haben, ob nun zur Beweissicherung in einer kritischen Situation oder um eine lustig-rührende Begebenheit festzuhalten. Doch was soll man tun, wenn einem das zu dokumentierende Objekt seiner Begierde gewichtige Gründe in den Weg legt? Aber der Reihe nach.

Vor ein paar Wochen erhielt unsere Familie Zuwachs, ein gerade einmal 13 Wochen altes Kätzchen, vor dem nichts sicher ist, wunderfitzig und verspielt, tapsig und tollkühn; auf den Namen „Frollein Meier“ getauft vom Verfasser dieser Zeilen (der Rest der Familie favorisiert indes den Namen „Hexle“). Heute um Mitternacht meint eben dieses Frollein nun, mich in meinem alten Zimmer beglücken zu sollen.

Ich sitze am Schreibtisch und schaue via Laptop einen Fernsehfilm. Da ist sie noch weit, denn sie fegt auf meinem Bett hin und her, was immer dort auch so aufreizend für sie sein mag. Der Film ist zu Ende – und sie rückt näher. Ich will gerade noch den Link zu dem beeindruckenden Streifen an zwei Freundinnen schicken, tippst es urplötzlich vom benachbarten Stuhl aus sachte an meine rechte Kniescheibe und ein in seiner Intensität kaum für möglich gehaltenes Schnurren durchdringt den kleinen Körper und erfüllt den Raum. Ich bewege das linke Knie in ihre Richtung, worauf sie mit vereinten Kräften bald den Tisch erklimmt. Dort eröffnet sich dem grau-braun-weißen Irrwisch eine spannende Landschaft. Zettel, Bücher, Ablagen, Taschentücher – das Genie überblickt bekanntlich das Chaos 😉 – sind gewissenhaft zu inspizieren. Da wird geschaut, gedöbelet, gewühlt, umhergehüpft. Auch die Tastatur, der Klassiker schlechthin, wird ausprobiert. Und der Bildschirm weckt ebenfalls Interesse, wie da auf einmal irgendwelche Dinge aufpoppen. Doch unser lieber Stubentiger hat ein Erbarmen und kuschelt sich bald vor dem Laptop nieder, so daß ich endlich die angefangene Mail fertigschreiben und verschicken kann.

Über die Zwischenstation Eckbank landet das Frollein Meier schließlich auf dem Boden. Da könnte es freilich nochmals aufregend werden. Denn seit wir uns vor einer starken Woche kennenlernten, hat sie ein starkes Faible für meine Füße entwickelt! Da beginnt für gewöhnlich sogleich ein Anspringen, Umarmen, Betippsen, Anbeißen, daß es eine wahre Freude ist. Doch nun scheint es – wir haben mittlerweile kurz vor eins mitten in der Nacht -, als ob von einem Augenblick auf den nächsten Schluß mit lustig sei. Sie räkelt sich genüßlich zurecht und senkt schlaffertig ihr Köpfchen – mitten auf meinen rechten Fuß! Welch ein Glück, daß der Vierbeiner noch so jung ist, das Gewicht ist kaum zu spüren. Auch sitze ich einigermaßen bequem. Ganz gerührt, mag ich ihr daher das erste Kissen ihrer Wahl nicht sogleich entziehen. Zunächst fahre ich ganz entspannt den Laptop herunter. Dann sitze ich eine kleine Weile regungslos da, derweil sie immer mal wieder herzig nach oben blinzelt, Darauf schmökere ich etwas durch ein, zwei meiner antiquarischen Buchschätze, die sich auf der Seite stapeln, sie streckt – inzwischen auf dem Rücken liegend, den Hinterkopf noch immer auf meinem Fuße gebettet – alle Viere von sich. Dann warte ich nochmals eine Runde, sie scheint inzwischen eingeschlafen zu sein und liegt nun seitwärts. Da versuche ich mein Glück und ziehe meinen Fuß ganz langsam unter dem zarten Köpfchen hervor. Die Hex‘ scheint es kaum zu bemerken, zumindest nicht als Störung zu empfinden, denn sie bleibt ruhig liegen. Erst nachdem ich einige Schritte im Zimmer aufräumend umhergegangen und nochmals die Treppe hinuntergegangen bin in die Küche, meint sie mich mit einem Satz vom Absatz herab überraschen zu können. Doch bin ich bereits gewarnt, da sie vor ihrem kurzen konspirativen Stopp allzu vernehmlich die Treppe hinuntergehagelt ist. Ich verabschiede mich dann allerdings geschwind, verschwinde hoch in meine Kemenate und schließe die Türe. Denn spätestens mit dem Morgengrauen hätte die Madame mein Bett und mich abwechselnd als Sprungbrett und Zielgrube zu nutzen gewußt. Und so weit geht die Liebe dann doch (noch?) nicht …

PS: Heute Morgen schien sie mir ob meines schnöden Entweichens übrigens nicht gram zu sein.

 

Das Frollein – hier mal zu christlicher Zeit
© Mein Schwesterherz